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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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vollem Einverständniß mit dem piemontesischen Ministerium, waren entschlossen,
alle Rathschläge, welche ihnen von Napoleon ertheilt werden möchten, höflich
und dankbar anzunehmen, aber nicht zu befolgen, im Uebrigen vollendete
Thatsachen in ihrem Sinne zu machen, soviel Leute als irgend möglich in den
Ländern sür die Jnsurrection zu compromittiren und sich am allerwenigsten
der Gefahr auszusetzen, daß die päpstlichen Truppen und die Truppen der
Herzöge sie wehrlos überfielen. Dem heiligen Vater war die Schmälerung
seiner Gewalt und seiner Einkünfte durch den Abfall der Romagna unzweifelhaft
sehr verdrießlich. Wie bereits erwähnt, hatte der Papst schon im Juni die Führer
der Jnsurrection in.der Romagna in den kirchlichen Verruf erklärt. Am 15. Juli
erließ er eine Bekanntmachung an die Bischöfe: die Gebete um Frieden seien
jetzt erhört; es solle Gott gedankt werden für den Frieden, aber noch sei es
nicht Zeit mit Beten aufzuhören, noch herrsche in den Legationen die Um¬
sturzpartei und sei hinwegzubcten. Mit Vertrauen aber sehe der heilige Vater
dem entgegen, was aus diesem Frieden entspringen werde, was immer es
sein möge. Nun schien er sich freilich mit dem bloßen Beten nicht begnügen
zu wollen. Die Schlüsselsvldaten wurden im August, soweit die Kräfte reichen
wollten, vermehrt. Einige Gelegenheit dazu gab die Meuterei der neapolita¬
nischen Schweizerregimenter am 7. Juli, welche deren vollständige Auflösung
wenigstens vorläufig zur Folge hatte. Der Papst ließ von den heimziehenden
Schweizern schon unterwegs Viele anwerben; andere, die wirklich in ihre Hei¬
mat zurückkehrten und sich dort vielleicht über die Aufnahme, welche sie er¬
wartet haben mochten, getäuscht sahen, stoben in Kurzem wieder in alle Welt¬
gegenden, um fremde Dienste zu nehmen,, auseinander. Auch der heilige
Vater erhielt sein Contingent davon. Viel helfen wollte das nicht. Man be¬
hauptete, daß die neuen Anwerbungen etwa hinreichten, den Abgang durch
Desertion nach der Romagna und Toscana zu decken. Strafen und Beloh¬
nungen wurden dagegen vergebens angewendet, die ersteren natürlich in grö¬
ßeren Umfange als die letzteren. Für den schmählichen Sieg von Perugia
erhielten hundert Schweizersoldatcn silberne Medaillen mit einem "Benemcrito"
darauf. Vielmehr an Prügeln aber erhielten diejenigen, welche auf Desertions¬
gelüsten ertappt waren. Und mit demselben geistlichen und geistigen Zuchtmittel
bedrohte General Kalbermattcn zu Ancona schon Ende Juli auch die Civilperso¬
nen, welche zur Dersertion verleiteten oder dabei behülflich wären. Es fehlt
nicht an Exempeln der Anwendung dieses Mittels. Dagegen wurden al¬
len Deserteuren aus den Reihen der Romagnolen die sämmtlichen Beloh¬
nungen des Himmels für ihre verdienstvolle That in Aussicht gestellt. Die
Soldzahlung in der päpstlichen Armee erfolgte um so weniger regelmüßig,
als durch den Abfall der Romagna, des betreibsamsten und wohlhabendsten
Theiles des Kirchenstaates, dem heiligen Vater viele Hilfsquellen verloren gingen.


vollem Einverständniß mit dem piemontesischen Ministerium, waren entschlossen,
alle Rathschläge, welche ihnen von Napoleon ertheilt werden möchten, höflich
und dankbar anzunehmen, aber nicht zu befolgen, im Uebrigen vollendete
Thatsachen in ihrem Sinne zu machen, soviel Leute als irgend möglich in den
Ländern sür die Jnsurrection zu compromittiren und sich am allerwenigsten
der Gefahr auszusetzen, daß die päpstlichen Truppen und die Truppen der
Herzöge sie wehrlos überfielen. Dem heiligen Vater war die Schmälerung
seiner Gewalt und seiner Einkünfte durch den Abfall der Romagna unzweifelhaft
sehr verdrießlich. Wie bereits erwähnt, hatte der Papst schon im Juni die Führer
der Jnsurrection in.der Romagna in den kirchlichen Verruf erklärt. Am 15. Juli
erließ er eine Bekanntmachung an die Bischöfe: die Gebete um Frieden seien
jetzt erhört; es solle Gott gedankt werden für den Frieden, aber noch sei es
nicht Zeit mit Beten aufzuhören, noch herrsche in den Legationen die Um¬
sturzpartei und sei hinwegzubcten. Mit Vertrauen aber sehe der heilige Vater
dem entgegen, was aus diesem Frieden entspringen werde, was immer es
sein möge. Nun schien er sich freilich mit dem bloßen Beten nicht begnügen
zu wollen. Die Schlüsselsvldaten wurden im August, soweit die Kräfte reichen
wollten, vermehrt. Einige Gelegenheit dazu gab die Meuterei der neapolita¬
nischen Schweizerregimenter am 7. Juli, welche deren vollständige Auflösung
wenigstens vorläufig zur Folge hatte. Der Papst ließ von den heimziehenden
Schweizern schon unterwegs Viele anwerben; andere, die wirklich in ihre Hei¬
mat zurückkehrten und sich dort vielleicht über die Aufnahme, welche sie er¬
wartet haben mochten, getäuscht sahen, stoben in Kurzem wieder in alle Welt¬
gegenden, um fremde Dienste zu nehmen,, auseinander. Auch der heilige
Vater erhielt sein Contingent davon. Viel helfen wollte das nicht. Man be¬
hauptete, daß die neuen Anwerbungen etwa hinreichten, den Abgang durch
Desertion nach der Romagna und Toscana zu decken. Strafen und Beloh¬
nungen wurden dagegen vergebens angewendet, die ersteren natürlich in grö¬
ßeren Umfange als die letzteren. Für den schmählichen Sieg von Perugia
erhielten hundert Schweizersoldatcn silberne Medaillen mit einem „Benemcrito"
darauf. Vielmehr an Prügeln aber erhielten diejenigen, welche auf Desertions¬
gelüsten ertappt waren. Und mit demselben geistlichen und geistigen Zuchtmittel
bedrohte General Kalbermattcn zu Ancona schon Ende Juli auch die Civilperso¬
nen, welche zur Dersertion verleiteten oder dabei behülflich wären. Es fehlt
nicht an Exempeln der Anwendung dieses Mittels. Dagegen wurden al¬
len Deserteuren aus den Reihen der Romagnolen die sämmtlichen Beloh¬
nungen des Himmels für ihre verdienstvolle That in Aussicht gestellt. Die
Soldzahlung in der päpstlichen Armee erfolgte um so weniger regelmüßig,
als durch den Abfall der Romagna, des betreibsamsten und wohlhabendsten
Theiles des Kirchenstaates, dem heiligen Vater viele Hilfsquellen verloren gingen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/152>, abgerufen am 23.07.2024.