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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Nachdem der König bereits auf der See gewesen war, kehrte er darum noch
ein mal ans Land zurück und hielt mit seinen Kriegsgefahren und "einigen
Andern" am 3. August 1345 eine äslibsrativ xlenior, wie er sie nannte, eine
ganz unconstitutionelle Versammlung, in der beschlossen wurde, die Großen
zur Kriegsfolge zu zwingen. Einige Furchtsame und Schwache mögen sich
losgekauft haben. Ein Heer konnte indessen nicht zusammengebracht werden,
bis endlich der König am 5. März 1346 unter dem Versprechen, es nie wie¬
der zu thun, einen eigenmächtigen Besehl an seine Amtsvögte erließ, Rekru¬
ten zu pressen. Auf diese Weise kam "das stattliche Heer" zusammen, das
den Sieg bei Crecy erfocht, und es mögen dabei manche Scenen vorgekom¬
men sein, wie wir sie aus Shakcspears Heinrich des Vierten kennen.
(Urkunden Sammlung von Nyma IV. 184 f. 193 f.)

Die halbe Seite, die wir eben einer näheren Untersuchung unterworfen
haben, macht keine Ausnahme. Der ganze erste Theil des vorliegenden Ban¬
des ist mit ähnlicher Ungenauigkeit und Gleichgültigkeit gegen die wirkliche
Geschichte Englands geschrieben. Jeder Fehler nimmt freilich nur einen klei¬
nen Raum ein, einen Satz, eine Zeile, zuweilen ist es ein einziges Wort: das
kann in einer gedrängten Darstellung nicht anders sein. Dem Inhalte nach
sind die Fehler aber groß. Und selbst wenn sie an sich weniger bedeutend
wären, so macht doch am Ende die Summe der einzelnen Striche und Züge
das Bild, und wo das Detail falsch ist, kann das Ganze nicht richtig sein.

Die fünf Regierungen aus dem Hause Tudor füllen etwas mehr als das
sechzehnte Jahrhundert aus. Der Verfasser ist hier also bei der Periode an¬
gekommen, die er so ost behandelt hat. Die Geschichte des Hauses Tudor
ist einer der interessantesten, zugleich aber auch schwierigsten Gegenstände, die
sich ein Historiker wählen kann. Nichts ist freilich leichter, als eine Lobschrist
auf Heinrich und Elisabeth abzufassen, wenn man, wie das so oft geschehen,
von dem praktisch-orthodoxen Grundsatze ausgeht, daß, wer gegen den Papst
ist, darum für Gott sein müsse und kein Unrecht thun könne. Aber auch von der
andern Seite ist es wahrlich nicht schwer, ein Gemälde in den schwärzesten
Farben zu produciren, wenn man sich an die Schriftsteller der entgegengesetzten
Schule hält. Geschichtsschreiber, die sich der Unparteilichkeit beflissen, haben
es wohl auch versucht, etwas von der einen und von der andern Seite zu
entnehmen. Aus diesem widersprechenden Material haben sie ein buntes Bild
zusammengesetzt, das durch nichts als die größere oder geringere Kunst der
Darstellung zusammengehalten wird. Es leuchtet von selbst ein, daß diese
Methode ganz unzulänglich ist. Die Folge der mangelhaften Behandlung ist,
daß jetzt nach dreihundert Jahren und nachdem ganze Bibliotheken darüber
zusammengeschrieben sind, der Gegenstand nicht mehr aufgeklärt ist als da¬
mals, wo die Leidenschaft so blind machte, daß man von der einen und von


Nachdem der König bereits auf der See gewesen war, kehrte er darum noch
ein mal ans Land zurück und hielt mit seinen Kriegsgefahren und „einigen
Andern" am 3. August 1345 eine äslibsrativ xlenior, wie er sie nannte, eine
ganz unconstitutionelle Versammlung, in der beschlossen wurde, die Großen
zur Kriegsfolge zu zwingen. Einige Furchtsame und Schwache mögen sich
losgekauft haben. Ein Heer konnte indessen nicht zusammengebracht werden,
bis endlich der König am 5. März 1346 unter dem Versprechen, es nie wie¬
der zu thun, einen eigenmächtigen Besehl an seine Amtsvögte erließ, Rekru¬
ten zu pressen. Auf diese Weise kam „das stattliche Heer" zusammen, das
den Sieg bei Crecy erfocht, und es mögen dabei manche Scenen vorgekom¬
men sein, wie wir sie aus Shakcspears Heinrich des Vierten kennen.
(Urkunden Sammlung von Nyma IV. 184 f. 193 f.)

Die halbe Seite, die wir eben einer näheren Untersuchung unterworfen
haben, macht keine Ausnahme. Der ganze erste Theil des vorliegenden Ban¬
des ist mit ähnlicher Ungenauigkeit und Gleichgültigkeit gegen die wirkliche
Geschichte Englands geschrieben. Jeder Fehler nimmt freilich nur einen klei¬
nen Raum ein, einen Satz, eine Zeile, zuweilen ist es ein einziges Wort: das
kann in einer gedrängten Darstellung nicht anders sein. Dem Inhalte nach
sind die Fehler aber groß. Und selbst wenn sie an sich weniger bedeutend
wären, so macht doch am Ende die Summe der einzelnen Striche und Züge
das Bild, und wo das Detail falsch ist, kann das Ganze nicht richtig sein.

Die fünf Regierungen aus dem Hause Tudor füllen etwas mehr als das
sechzehnte Jahrhundert aus. Der Verfasser ist hier also bei der Periode an¬
gekommen, die er so ost behandelt hat. Die Geschichte des Hauses Tudor
ist einer der interessantesten, zugleich aber auch schwierigsten Gegenstände, die
sich ein Historiker wählen kann. Nichts ist freilich leichter, als eine Lobschrist
auf Heinrich und Elisabeth abzufassen, wenn man, wie das so oft geschehen,
von dem praktisch-orthodoxen Grundsatze ausgeht, daß, wer gegen den Papst
ist, darum für Gott sein müsse und kein Unrecht thun könne. Aber auch von der
andern Seite ist es wahrlich nicht schwer, ein Gemälde in den schwärzesten
Farben zu produciren, wenn man sich an die Schriftsteller der entgegengesetzten
Schule hält. Geschichtsschreiber, die sich der Unparteilichkeit beflissen, haben
es wohl auch versucht, etwas von der einen und von der andern Seite zu
entnehmen. Aus diesem widersprechenden Material haben sie ein buntes Bild
zusammengesetzt, das durch nichts als die größere oder geringere Kunst der
Darstellung zusammengehalten wird. Es leuchtet von selbst ein, daß diese
Methode ganz unzulänglich ist. Die Folge der mangelhaften Behandlung ist,
daß jetzt nach dreihundert Jahren und nachdem ganze Bibliotheken darüber
zusammengeschrieben sind, der Gegenstand nicht mehr aufgeklärt ist als da¬
mals, wo die Leidenschaft so blind machte, daß man von der einen und von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/138>, abgerufen am 23.07.2024.