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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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der Baseler vor." Daß hier wiederum gerade Leipzig genannt wird, mag
neben der Universität namentlich der Messe zuzuschreiben sein, die ja jährlich
Tausende aus allen Landschaften hier zusammenführte und die auch damals
schon nächst Frankfurt den wichtigsten Büchermarkt darstellte; ein wirklicher
Borzug Leipzigs mag aber daraus doch auch zu entnehmen sein. Uebrigens
gewährt Gesners Angabe ein richtiges Bild von dein damaligen Stand der
Einigungsfrage. Das Schrifthochdeutsch, "unsere gemeine deutsche Sprache", wie
es die Zeitgenossen mit Selbstgefühl nennen, war noch in viele Spielarten
zerfallen, unter denen hauptsächlich drei hervortreten, nach der Bezeichnung von Seb.
Heider im Sylbenbuechlein von 1593 die mitteldeutsche, die auch er schon zu¬
erst stellt, die donauische und die oberrheinische; Gesners Eintheilung ist die¬
selbe, er nennt nur drei der bekanntesten und im Bücherdruck thätigsten Stätte,
Leipzig, Augsburg, Basel. Daß unter diesen drei Spielarten die mitteldeutsche
und gerade in der Form der meißnischen den Sieg davon tragen sollte, daran
hat Luthers Wirken einen sehr großen Antheil, und durch seinen Einfluß be¬
sonders geschah es, daß das obersüchsische Sprachgebiet sich früh durch den
Zutritt von Niederdeutschland verstärkte. Denn nach dem Norden hin entschied
sich der Sieg des Meißnischen im Princip schon im Lauf des 16. Jahrhunderts.
Das läßt sich, um kurz zu verfahren, in zwei kleinen Vorgängen aus dem
Privatleben zeigen. Im I. 1584 war in Nordheim bei Hildesheim ein Streit
im Gange zwischen dem dortigen und einem Venachbarten Pfarrer über die
Wahl des Niederdeutschen oder Hochdeutschen zur Kanzelsprache (s. Hormayrs
Taschenb. für die vnterl. Gesch. 1810 S. 390); der Nordheimer Pfarrer wird
vom Gegner u. a. mit den Worten angegriffen: "Du bist ein großer Fürsten-
prcdiger gewesen, führest hoche meißnische Sprache, bist freilich woll rü Meißen
nie gewesen, sondern hast die spräche etwa" ans einer Postille gefasset." --
Der Angriff also geschieht selbst auch hochdeutsch. Man ging nämlich vom
Norden nach Meißen, um hier an Ort und Stelle Hochdeutsch zu lernen. So
ließ im I. 1572 ein Maler aus Mecklenburg, Erhard Gaulrap. der bei Lucas
Cranach in Wittenberg gelernt hatte, seinen Bruder Lucas von der schweriner
Schule zu sich nach Meißen kommen, damit er besser die meißnische
Sprache erlerne (Lisch, über den Maler Erhard Gaulrnp, in den Jahrb.
des Vereins für nackt. Gesch. 21. 304); man wird annehmen dürfen, daß
das ein Gewinn war für das Fortkommen des jungen Mecklenburgers, und
daß dieser Fall nicht der einzige und wol nicht der erste war.

Zu diesem Stand der Dinge stimmt es denn auch, daß die erste wirkliche
Grammatik der deutschen Sprache aus Obersachsen hervorging; sie erschien zu
Leipzig i. I. 1578, in lateinischer Sprache, unter dem Titel: Srsinilmticg.
Oerinauieae I^ingug-e, ex bibliis Lutlreii Oelmairieis et, aliis vM8 libris
cvIleetiZ,. Der Verfasser Johann Clajus war ein Obersachse, gebürtig aus Herz.


der Baseler vor." Daß hier wiederum gerade Leipzig genannt wird, mag
neben der Universität namentlich der Messe zuzuschreiben sein, die ja jährlich
Tausende aus allen Landschaften hier zusammenführte und die auch damals
schon nächst Frankfurt den wichtigsten Büchermarkt darstellte; ein wirklicher
Borzug Leipzigs mag aber daraus doch auch zu entnehmen sein. Uebrigens
gewährt Gesners Angabe ein richtiges Bild von dein damaligen Stand der
Einigungsfrage. Das Schrifthochdeutsch, „unsere gemeine deutsche Sprache", wie
es die Zeitgenossen mit Selbstgefühl nennen, war noch in viele Spielarten
zerfallen, unter denen hauptsächlich drei hervortreten, nach der Bezeichnung von Seb.
Heider im Sylbenbuechlein von 1593 die mitteldeutsche, die auch er schon zu¬
erst stellt, die donauische und die oberrheinische; Gesners Eintheilung ist die¬
selbe, er nennt nur drei der bekanntesten und im Bücherdruck thätigsten Stätte,
Leipzig, Augsburg, Basel. Daß unter diesen drei Spielarten die mitteldeutsche
und gerade in der Form der meißnischen den Sieg davon tragen sollte, daran
hat Luthers Wirken einen sehr großen Antheil, und durch seinen Einfluß be¬
sonders geschah es, daß das obersüchsische Sprachgebiet sich früh durch den
Zutritt von Niederdeutschland verstärkte. Denn nach dem Norden hin entschied
sich der Sieg des Meißnischen im Princip schon im Lauf des 16. Jahrhunderts.
Das läßt sich, um kurz zu verfahren, in zwei kleinen Vorgängen aus dem
Privatleben zeigen. Im I. 1584 war in Nordheim bei Hildesheim ein Streit
im Gange zwischen dem dortigen und einem Venachbarten Pfarrer über die
Wahl des Niederdeutschen oder Hochdeutschen zur Kanzelsprache (s. Hormayrs
Taschenb. für die vnterl. Gesch. 1810 S. 390); der Nordheimer Pfarrer wird
vom Gegner u. a. mit den Worten angegriffen: „Du bist ein großer Fürsten-
prcdiger gewesen, führest hoche meißnische Sprache, bist freilich woll rü Meißen
nie gewesen, sondern hast die spräche etwa» ans einer Postille gefasset." —
Der Angriff also geschieht selbst auch hochdeutsch. Man ging nämlich vom
Norden nach Meißen, um hier an Ort und Stelle Hochdeutsch zu lernen. So
ließ im I. 1572 ein Maler aus Mecklenburg, Erhard Gaulrap. der bei Lucas
Cranach in Wittenberg gelernt hatte, seinen Bruder Lucas von der schweriner
Schule zu sich nach Meißen kommen, damit er besser die meißnische
Sprache erlerne (Lisch, über den Maler Erhard Gaulrnp, in den Jahrb.
des Vereins für nackt. Gesch. 21. 304); man wird annehmen dürfen, daß
das ein Gewinn war für das Fortkommen des jungen Mecklenburgers, und
daß dieser Fall nicht der einzige und wol nicht der erste war.

Zu diesem Stand der Dinge stimmt es denn auch, daß die erste wirkliche
Grammatik der deutschen Sprache aus Obersachsen hervorging; sie erschien zu
Leipzig i. I. 1578, in lateinischer Sprache, unter dem Titel: Srsinilmticg.
Oerinauieae I^ingug-e, ex bibliis Lutlreii Oelmairieis et, aliis vM8 libris
cvIleetiZ,. Der Verfasser Johann Clajus war ein Obersachse, gebürtig aus Herz.


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[0123] der Baseler vor." Daß hier wiederum gerade Leipzig genannt wird, mag neben der Universität namentlich der Messe zuzuschreiben sein, die ja jährlich Tausende aus allen Landschaften hier zusammenführte und die auch damals schon nächst Frankfurt den wichtigsten Büchermarkt darstellte; ein wirklicher Borzug Leipzigs mag aber daraus doch auch zu entnehmen sein. Uebrigens gewährt Gesners Angabe ein richtiges Bild von dein damaligen Stand der Einigungsfrage. Das Schrifthochdeutsch, „unsere gemeine deutsche Sprache", wie es die Zeitgenossen mit Selbstgefühl nennen, war noch in viele Spielarten zerfallen, unter denen hauptsächlich drei hervortreten, nach der Bezeichnung von Seb. Heider im Sylbenbuechlein von 1593 die mitteldeutsche, die auch er schon zu¬ erst stellt, die donauische und die oberrheinische; Gesners Eintheilung ist die¬ selbe, er nennt nur drei der bekanntesten und im Bücherdruck thätigsten Stätte, Leipzig, Augsburg, Basel. Daß unter diesen drei Spielarten die mitteldeutsche und gerade in der Form der meißnischen den Sieg davon tragen sollte, daran hat Luthers Wirken einen sehr großen Antheil, und durch seinen Einfluß be¬ sonders geschah es, daß das obersüchsische Sprachgebiet sich früh durch den Zutritt von Niederdeutschland verstärkte. Denn nach dem Norden hin entschied sich der Sieg des Meißnischen im Princip schon im Lauf des 16. Jahrhunderts. Das läßt sich, um kurz zu verfahren, in zwei kleinen Vorgängen aus dem Privatleben zeigen. Im I. 1584 war in Nordheim bei Hildesheim ein Streit im Gange zwischen dem dortigen und einem Venachbarten Pfarrer über die Wahl des Niederdeutschen oder Hochdeutschen zur Kanzelsprache (s. Hormayrs Taschenb. für die vnterl. Gesch. 1810 S. 390); der Nordheimer Pfarrer wird vom Gegner u. a. mit den Worten angegriffen: „Du bist ein großer Fürsten- prcdiger gewesen, führest hoche meißnische Sprache, bist freilich woll rü Meißen nie gewesen, sondern hast die spräche etwa» ans einer Postille gefasset." — Der Angriff also geschieht selbst auch hochdeutsch. Man ging nämlich vom Norden nach Meißen, um hier an Ort und Stelle Hochdeutsch zu lernen. So ließ im I. 1572 ein Maler aus Mecklenburg, Erhard Gaulrap. der bei Lucas Cranach in Wittenberg gelernt hatte, seinen Bruder Lucas von der schweriner Schule zu sich nach Meißen kommen, damit er besser die meißnische Sprache erlerne (Lisch, über den Maler Erhard Gaulrnp, in den Jahrb. des Vereins für nackt. Gesch. 21. 304); man wird annehmen dürfen, daß das ein Gewinn war für das Fortkommen des jungen Mecklenburgers, und daß dieser Fall nicht der einzige und wol nicht der erste war. Zu diesem Stand der Dinge stimmt es denn auch, daß die erste wirkliche Grammatik der deutschen Sprache aus Obersachsen hervorging; sie erschien zu Leipzig i. I. 1578, in lateinischer Sprache, unter dem Titel: Srsinilmticg. Oerinauieae I^ingug-e, ex bibliis Lutlreii Oelmairieis et, aliis vM8 libris cvIleetiZ,. Der Verfasser Johann Clajus war ein Obersachse, gebürtig aus Herz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/123>, abgerufen am 23.07.2024.