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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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an manchem Orte sehr verderbt ist, . . . das Verderben besteht meistentheils
in der Aussprache, welche unsren Worten öfters durch ihren Uebelklang eine
Härtigkcit mittheilet, daran sie keine Schuld haben, und die sich in eine
sanfte Lieblichkeit verwandelt, wenn dieselben durch die zarten Organa eines
Meißners sublimiert werden." Zum Schluß: "Mit allen diesen Anmerkungen
aber suche ich nichts weiteres, als gegenwärtiger Schrift . . . ein aufmerksa¬
mes Gehör bei denjenigen zu erwerben, welche sie aus dein Hauptgründe ver¬
werfen möchten, daß der Verfasser kein Meißner, und was noch schlimmer ist,
daß er ein Schweizer ist. Ob er zwar ein Schweizer ist, so hat er doch als
ein Mensch geschrieben." Die Schärfe darin ist wesentlich gegen Gottsched
gerichtet; Bodmer selbst aber hatte z. B. seine Uebersetzung von Miltons Ver¬
lornen Paradies einem Obersachsen zur sprachlichen Durchsicht zugeschickt.

Gottsched weiter nahm ziemlich genau den Standpunkt Adelungs ein;
wie dieser war er selbst kein Sachse, sondern ein Norddeutscher von den Ge¬
staden der Ostsee, vertrat aber von Sachsen aus dessen Vorrang als Mittel¬
punkt der deutschen Sprache. Er sagt in der Deutschen Sprachkunst: "Ganz
Deutschland ist schon längst stillschweigend darüber eins geworden, ganz Obcr-
uud Niederdeutschland hat bereits den Ausspruch gethan: daß das mittellän¬
dische oder obcrsächsische Deutsch die beste hochdeutsche Mundart sei: indem es
dasselbe überall, von Bern in der Schweiz bis nach Neval in Liefland, und
von Schleswig bis nach Trident in Tyrol, ja von Brüssel bis Ungarn und
Siebenbürgen auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen suchet." Doch
bestimmt er vorher genauer: "Was ich hier von der obersächsischen Aussprache
sage, will ich keinesweges auf das einzige Meißen gedeutet haben, wie ein
gelehrter Mann zu Göttingen sMichaclis i. I. 1,750 in einer lateinischen
Rede as <za Liernmume ämleeto Hua, in Leribenäis tibiis utimurj unlängst
dafür gehalten hat. der dieser Landschaft die Grenzen zwischen der Elbe und
Saale angewiesen . . . Wir können sicher auch das ganze Voigtland, Thüringen,
Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und Niederschlesien dazu rechnen. In
allen diesen Landschaften wird in Städten, unter vornehmen, gelehrten und
gesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen: welches man i", xotiori,
nach dem Sitze des vornehmsten Hofes, das Obersächsische zu nennen Pflegt."
In der Erklärung dieser Erscheinung sagt er u. a,: "Der Sitz der deutschen
Gelehrsamkeit ist, seit der Glaubensrcinigung, . . . nach Obersachsen gewan¬
dert. Sonderlich ist er durch die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg,
Jena und Halle gleichsam in Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch
der aus Frankfurt am Main größtentheils nach Leipzig gezogene Bücherhandel
dazu beigetragen. Weil auch durch die fruchtbringende Gesellschaft in diesen
Gegenden die meisten und besten deutschen Bücher geschrieben und gedrücket
worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt in ganz Deutschland die


an manchem Orte sehr verderbt ist, . . . das Verderben besteht meistentheils
in der Aussprache, welche unsren Worten öfters durch ihren Uebelklang eine
Härtigkcit mittheilet, daran sie keine Schuld haben, und die sich in eine
sanfte Lieblichkeit verwandelt, wenn dieselben durch die zarten Organa eines
Meißners sublimiert werden." Zum Schluß: „Mit allen diesen Anmerkungen
aber suche ich nichts weiteres, als gegenwärtiger Schrift . . . ein aufmerksa¬
mes Gehör bei denjenigen zu erwerben, welche sie aus dein Hauptgründe ver¬
werfen möchten, daß der Verfasser kein Meißner, und was noch schlimmer ist,
daß er ein Schweizer ist. Ob er zwar ein Schweizer ist, so hat er doch als
ein Mensch geschrieben." Die Schärfe darin ist wesentlich gegen Gottsched
gerichtet; Bodmer selbst aber hatte z. B. seine Uebersetzung von Miltons Ver¬
lornen Paradies einem Obersachsen zur sprachlichen Durchsicht zugeschickt.

Gottsched weiter nahm ziemlich genau den Standpunkt Adelungs ein;
wie dieser war er selbst kein Sachse, sondern ein Norddeutscher von den Ge¬
staden der Ostsee, vertrat aber von Sachsen aus dessen Vorrang als Mittel¬
punkt der deutschen Sprache. Er sagt in der Deutschen Sprachkunst: „Ganz
Deutschland ist schon längst stillschweigend darüber eins geworden, ganz Obcr-
uud Niederdeutschland hat bereits den Ausspruch gethan: daß das mittellän¬
dische oder obcrsächsische Deutsch die beste hochdeutsche Mundart sei: indem es
dasselbe überall, von Bern in der Schweiz bis nach Neval in Liefland, und
von Schleswig bis nach Trident in Tyrol, ja von Brüssel bis Ungarn und
Siebenbürgen auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen suchet." Doch
bestimmt er vorher genauer: „Was ich hier von der obersächsischen Aussprache
sage, will ich keinesweges auf das einzige Meißen gedeutet haben, wie ein
gelehrter Mann zu Göttingen sMichaclis i. I. 1,750 in einer lateinischen
Rede as <za Liernmume ämleeto Hua, in Leribenäis tibiis utimurj unlängst
dafür gehalten hat. der dieser Landschaft die Grenzen zwischen der Elbe und
Saale angewiesen . . . Wir können sicher auch das ganze Voigtland, Thüringen,
Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und Niederschlesien dazu rechnen. In
allen diesen Landschaften wird in Städten, unter vornehmen, gelehrten und
gesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen: welches man i», xotiori,
nach dem Sitze des vornehmsten Hofes, das Obersächsische zu nennen Pflegt."
In der Erklärung dieser Erscheinung sagt er u. a,: „Der Sitz der deutschen
Gelehrsamkeit ist, seit der Glaubensrcinigung, . . . nach Obersachsen gewan¬
dert. Sonderlich ist er durch die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg,
Jena und Halle gleichsam in Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch
der aus Frankfurt am Main größtentheils nach Leipzig gezogene Bücherhandel
dazu beigetragen. Weil auch durch die fruchtbringende Gesellschaft in diesen
Gegenden die meisten und besten deutschen Bücher geschrieben und gedrücket
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[0118] an manchem Orte sehr verderbt ist, . . . das Verderben besteht meistentheils in der Aussprache, welche unsren Worten öfters durch ihren Uebelklang eine Härtigkcit mittheilet, daran sie keine Schuld haben, und die sich in eine sanfte Lieblichkeit verwandelt, wenn dieselben durch die zarten Organa eines Meißners sublimiert werden." Zum Schluß: „Mit allen diesen Anmerkungen aber suche ich nichts weiteres, als gegenwärtiger Schrift . . . ein aufmerksa¬ mes Gehör bei denjenigen zu erwerben, welche sie aus dein Hauptgründe ver¬ werfen möchten, daß der Verfasser kein Meißner, und was noch schlimmer ist, daß er ein Schweizer ist. Ob er zwar ein Schweizer ist, so hat er doch als ein Mensch geschrieben." Die Schärfe darin ist wesentlich gegen Gottsched gerichtet; Bodmer selbst aber hatte z. B. seine Uebersetzung von Miltons Ver¬ lornen Paradies einem Obersachsen zur sprachlichen Durchsicht zugeschickt. Gottsched weiter nahm ziemlich genau den Standpunkt Adelungs ein; wie dieser war er selbst kein Sachse, sondern ein Norddeutscher von den Ge¬ staden der Ostsee, vertrat aber von Sachsen aus dessen Vorrang als Mittel¬ punkt der deutschen Sprache. Er sagt in der Deutschen Sprachkunst: „Ganz Deutschland ist schon längst stillschweigend darüber eins geworden, ganz Obcr- uud Niederdeutschland hat bereits den Ausspruch gethan: daß das mittellän¬ dische oder obcrsächsische Deutsch die beste hochdeutsche Mundart sei: indem es dasselbe überall, von Bern in der Schweiz bis nach Neval in Liefland, und von Schleswig bis nach Trident in Tyrol, ja von Brüssel bis Ungarn und Siebenbürgen auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen suchet." Doch bestimmt er vorher genauer: „Was ich hier von der obersächsischen Aussprache sage, will ich keinesweges auf das einzige Meißen gedeutet haben, wie ein gelehrter Mann zu Göttingen sMichaclis i. I. 1,750 in einer lateinischen Rede as <za Liernmume ämleeto Hua, in Leribenäis tibiis utimurj unlängst dafür gehalten hat. der dieser Landschaft die Grenzen zwischen der Elbe und Saale angewiesen . . . Wir können sicher auch das ganze Voigtland, Thüringen, Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und Niederschlesien dazu rechnen. In allen diesen Landschaften wird in Städten, unter vornehmen, gelehrten und gesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen: welches man i», xotiori, nach dem Sitze des vornehmsten Hofes, das Obersächsische zu nennen Pflegt." In der Erklärung dieser Erscheinung sagt er u. a,: „Der Sitz der deutschen Gelehrsamkeit ist, seit der Glaubensrcinigung, . . . nach Obersachsen gewan¬ dert. Sonderlich ist er durch die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena und Halle gleichsam in Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt am Main größtentheils nach Leipzig gezogene Bücherhandel dazu beigetragen. Weil auch durch die fruchtbringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten und besten deutschen Bücher geschrieben und gedrücket worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt in ganz Deutschland die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/118>, abgerufen am 23.07.2024.