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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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überlassen. In dem, was sie auch ohnedies wohl gethan hatten, bestärkte
sie der Aufruf des Kaiser Napoleon am 8. Juni von Mailand. Dieser Auf¬
ruf war an die Italiener insgesammt gerichtet: sie sollten sich zur Befreiung
dieses Landes bewaffnen; für heute nur Soldaten sein, um morgen die Bürger
eines freien großen Landes zu werden. Napoleon sagte, er sei nickt gekommen,
um den Italienern ihre künftige politische Organisation vorzuschreiben, er
werde dem Ausdruck ihrer legitimen Wünsche keine Hindernisse in den Weg
legen. Toscana, Modena, Parma und die Romagna antworteten auf diese
Proclamation mit dem Rufe: Anschluß an Piemont! Dies war nicht ganz,
was der Kaiser Napoleon wollte. Indessen noch unsicher über den weitern
Gang der Dinge, ließ er die Sache gehen. Bald daraus gewann er den Sieg
von Solferino und schloß nun den Waffenstillstand und dann den Frieden von
Villafranca. Dieser Friede ließ zunächst Bcnctien mit den Festungen am
Mincio und an der Etsch in den Händen Oestreichs, er gab den offenen westlichen
Theil der Lombardei an Piemont, er stipulirte den Vorbehalt der Rückkehr
des Großherzogs von Toscana und des Herzogs von Modena in ihre Staaten,
er ließ die Frage der Romagna und Parmas offen. Von den Rvmagnolen
ward, wie es schien, stillschweigend angenommen, daß sie dem Papste verblie¬
ben. Sie konnten, wie man annehmen mußte, höchstens hoffen, daß die Re¬
formen, weiche die Kaiser von Frankreich und Oestreich vom Papste fordern
wollten, ihnen insofern zu Gute kommen würden, als sie ihnen ein weltliches
Vicekönigthum oder eine weltliche Statthalterschaft gäben.

Die nächste Folge des Friedens war eine allgemeine Unzufriedenheit; in
Piemont trat Graf Cavour sofort aus dem Ministerium, zuerst sollte ihn ein
Cabinet unter Graf Arche, einem Freunde Napoleons, ersetzen. Es kam nicht
zu Stande, weil das Mißtrauen gegen Arche zu groß war; man sprach offen
davon, daß er mit Napoleon einen Staatsstreich gegen die sardinische Verfas¬
sung verabredet habe, und war darüber einig, daß er sich absolut von Napo¬
leon werde leiten lassen. Dies aber wollten ^die Italiener nicht, weder in
Piemont und der Lombardei, noch in den Herzogtümern und der Romagna.
Es kam am 20. Juli dann ein Ministerium Ratazzi zu Stande, welches
versprach, die bisherige Politik, also die Cavours, fortzuführen. zugleich
aber für heilsame Reformen im Innern bezüglich der Freiheit der Ge¬
meinden und Provinzen zu sorgen. Doch mußte das Ministerium Ratazzi
seine äußere Thätigkeit damit eröffnen, daß es die Commissäre, welche Sardinien
während des Kriegs als vorläufige Spitzen der Verwaltung in die Herzog-
thümer und die Romagna gesendet hatte, zurückrief. Dies war nicht zu um¬
gehen, nachdem der Kriegszustand ein Ende gefunden hatte und der Friede
über diese Länder nicht zu Gunsten Piemonts verfügt hatte.

Die Herzogthümer wie die Romagna blieben einstweilen sich selbst über-


überlassen. In dem, was sie auch ohnedies wohl gethan hatten, bestärkte
sie der Aufruf des Kaiser Napoleon am 8. Juni von Mailand. Dieser Auf¬
ruf war an die Italiener insgesammt gerichtet: sie sollten sich zur Befreiung
dieses Landes bewaffnen; für heute nur Soldaten sein, um morgen die Bürger
eines freien großen Landes zu werden. Napoleon sagte, er sei nickt gekommen,
um den Italienern ihre künftige politische Organisation vorzuschreiben, er
werde dem Ausdruck ihrer legitimen Wünsche keine Hindernisse in den Weg
legen. Toscana, Modena, Parma und die Romagna antworteten auf diese
Proclamation mit dem Rufe: Anschluß an Piemont! Dies war nicht ganz,
was der Kaiser Napoleon wollte. Indessen noch unsicher über den weitern
Gang der Dinge, ließ er die Sache gehen. Bald daraus gewann er den Sieg
von Solferino und schloß nun den Waffenstillstand und dann den Frieden von
Villafranca. Dieser Friede ließ zunächst Bcnctien mit den Festungen am
Mincio und an der Etsch in den Händen Oestreichs, er gab den offenen westlichen
Theil der Lombardei an Piemont, er stipulirte den Vorbehalt der Rückkehr
des Großherzogs von Toscana und des Herzogs von Modena in ihre Staaten,
er ließ die Frage der Romagna und Parmas offen. Von den Rvmagnolen
ward, wie es schien, stillschweigend angenommen, daß sie dem Papste verblie¬
ben. Sie konnten, wie man annehmen mußte, höchstens hoffen, daß die Re¬
formen, weiche die Kaiser von Frankreich und Oestreich vom Papste fordern
wollten, ihnen insofern zu Gute kommen würden, als sie ihnen ein weltliches
Vicekönigthum oder eine weltliche Statthalterschaft gäben.

Die nächste Folge des Friedens war eine allgemeine Unzufriedenheit; in
Piemont trat Graf Cavour sofort aus dem Ministerium, zuerst sollte ihn ein
Cabinet unter Graf Arche, einem Freunde Napoleons, ersetzen. Es kam nicht
zu Stande, weil das Mißtrauen gegen Arche zu groß war; man sprach offen
davon, daß er mit Napoleon einen Staatsstreich gegen die sardinische Verfas¬
sung verabredet habe, und war darüber einig, daß er sich absolut von Napo¬
leon werde leiten lassen. Dies aber wollten ^die Italiener nicht, weder in
Piemont und der Lombardei, noch in den Herzogtümern und der Romagna.
Es kam am 20. Juli dann ein Ministerium Ratazzi zu Stande, welches
versprach, die bisherige Politik, also die Cavours, fortzuführen. zugleich
aber für heilsame Reformen im Innern bezüglich der Freiheit der Ge¬
meinden und Provinzen zu sorgen. Doch mußte das Ministerium Ratazzi
seine äußere Thätigkeit damit eröffnen, daß es die Commissäre, welche Sardinien
während des Kriegs als vorläufige Spitzen der Verwaltung in die Herzog-
thümer und die Romagna gesendet hatte, zurückrief. Dies war nicht zu um¬
gehen, nachdem der Kriegszustand ein Ende gefunden hatte und der Friede
über diese Länder nicht zu Gunsten Piemonts verfügt hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/100>, abgerufen am 25.08.2024.