Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keit Italiens rekrutirt sich hauptsächlich in den unterirdischen Werkstätten der
geheimen Gesellschaften. die mit den französischen Jakobinern in enger Be¬
ziehung stehn. Ein Phantast im größten Stil. Mazzini. gründet für Eu¬
ropa eine revolutionäre Propaganda, die ihren Sitz in Italien hat. Wenn
man seitdem auf einem beliebigen Bilderbogen einen Italiener abmalt, so
hat er stets den spitzen Federhut tief in die Stirn gedrückt, den Mantel fest
zusammengefaltet, doch so daß ein Dolch daraus hervorblickt. Alle Legiti-
misten träumen von italienischen Banditen, und nicht am wenigsten besorgt
ist Karl Albert. König von Sardinien. Als junger Prinz hat er das Trei¬
ben der Carbonari genau kennen gelernt, er ist selber Carbonaro gewesen;
als König bietet er jeder Rcpressivmaßregel die Hand, die von Oestreich gegen
die Einheitsträumer ausgeführt wird; ja er ist in seinen Anforderungen noch
heftiger, in seiner Repression noch härter. Im Uebrigen dauert die alte Riva¬
lität zwischen Oestreich und Frankreich sort: Oestreich findet mehrfach Gelegen¬
heit, den Papst zu retten, und zu diesem löblichen Zweck päpstliche Legationen
militärisch zu besetzen; Ludwig Philipp, der dem Ruhm seiner Nation doch
auch etwas schuldig ist. rückt seinerseits in Ancona ein. Es.will zwar nicht
viel sagen, aber es ist doch immerhin eine Demonstration. Unter den Füh¬
rern der Carbonari zeichnen sich in jenen Jahren zwei Gebrüder Bonaparte
aus. die Neffen des großen Kaisers: der eine von ihnen trägt jetzt die fran¬
zösische Krone.

Es folgt die Aufregung über einen liberalen Papst, dann die Revolution
von 1848: die geheimen Gesellschaften ergreifen in Frankreich das Ruder,
ihre Freunde stehn in Mailand und Venedig auf. der östreichische Feldmarschall
muß weichen, es liegt nahe, daß die revolutionäre französische Negierung
ihren Glaubensgenossen in Italien zur Hilfe kommt. Dann geschieht das Un-
"hörte: Karl Albert, der alte Verbündete Oestreichs gegen die Carbonari.
rückt mit seiner Armee schnell entschlossen in die insurgirten Provinzen ein und
sie huldigen ihm als ihrem König. Zwar wird er zum ersten Mal und zum
Zweiten Mal geschlagen. Oestreich gewinnt seinen Länderbestand wieder und
Karl Albert selbst muß abdanken, aber die Zukunft Italiens hat eine andere
Physiognomie angenommen. Was bisher nur von stillen Gelehrten geträumt
wurde, die Einheit Italiens durch Absorption in einen bereits organisirten
Staat, ist heute das Stichwort der gebildeten Classen Italiens. Der Anhang
Mazzinis besteht zwar fort, aber er ist in den Hintergrund gedrängt; das
neue konstitutionelle Königreich Sardinien, welches auch den päpstlichen An¬
sprüchen gegenüber die Interessen seines Volkes vertritt, ist jetzt der Mittel¬
punkt der italienischen Einheitsidee; nicht mehr der Dolch der geheimen Ge¬
sellschaften, sondern das Schwert der piemontesischen Armee ist gegen Oestreich
gerichtet. Diese Armee hat den orientalischen Feldzug mitgemacht, der Leiter


keit Italiens rekrutirt sich hauptsächlich in den unterirdischen Werkstätten der
geheimen Gesellschaften. die mit den französischen Jakobinern in enger Be¬
ziehung stehn. Ein Phantast im größten Stil. Mazzini. gründet für Eu¬
ropa eine revolutionäre Propaganda, die ihren Sitz in Italien hat. Wenn
man seitdem auf einem beliebigen Bilderbogen einen Italiener abmalt, so
hat er stets den spitzen Federhut tief in die Stirn gedrückt, den Mantel fest
zusammengefaltet, doch so daß ein Dolch daraus hervorblickt. Alle Legiti-
misten träumen von italienischen Banditen, und nicht am wenigsten besorgt
ist Karl Albert. König von Sardinien. Als junger Prinz hat er das Trei¬
ben der Carbonari genau kennen gelernt, er ist selber Carbonaro gewesen;
als König bietet er jeder Rcpressivmaßregel die Hand, die von Oestreich gegen
die Einheitsträumer ausgeführt wird; ja er ist in seinen Anforderungen noch
heftiger, in seiner Repression noch härter. Im Uebrigen dauert die alte Riva¬
lität zwischen Oestreich und Frankreich sort: Oestreich findet mehrfach Gelegen¬
heit, den Papst zu retten, und zu diesem löblichen Zweck päpstliche Legationen
militärisch zu besetzen; Ludwig Philipp, der dem Ruhm seiner Nation doch
auch etwas schuldig ist. rückt seinerseits in Ancona ein. Es.will zwar nicht
viel sagen, aber es ist doch immerhin eine Demonstration. Unter den Füh¬
rern der Carbonari zeichnen sich in jenen Jahren zwei Gebrüder Bonaparte
aus. die Neffen des großen Kaisers: der eine von ihnen trägt jetzt die fran¬
zösische Krone.

Es folgt die Aufregung über einen liberalen Papst, dann die Revolution
von 1848: die geheimen Gesellschaften ergreifen in Frankreich das Ruder,
ihre Freunde stehn in Mailand und Venedig auf. der östreichische Feldmarschall
muß weichen, es liegt nahe, daß die revolutionäre französische Negierung
ihren Glaubensgenossen in Italien zur Hilfe kommt. Dann geschieht das Un-
«hörte: Karl Albert, der alte Verbündete Oestreichs gegen die Carbonari.
rückt mit seiner Armee schnell entschlossen in die insurgirten Provinzen ein und
sie huldigen ihm als ihrem König. Zwar wird er zum ersten Mal und zum
Zweiten Mal geschlagen. Oestreich gewinnt seinen Länderbestand wieder und
Karl Albert selbst muß abdanken, aber die Zukunft Italiens hat eine andere
Physiognomie angenommen. Was bisher nur von stillen Gelehrten geträumt
wurde, die Einheit Italiens durch Absorption in einen bereits organisirten
Staat, ist heute das Stichwort der gebildeten Classen Italiens. Der Anhang
Mazzinis besteht zwar fort, aber er ist in den Hintergrund gedrängt; das
neue konstitutionelle Königreich Sardinien, welches auch den päpstlichen An¬
sprüchen gegenüber die Interessen seines Volkes vertritt, ist jetzt der Mittel¬
punkt der italienischen Einheitsidee; nicht mehr der Dolch der geheimen Ge¬
sellschaften, sondern das Schwert der piemontesischen Armee ist gegen Oestreich
gerichtet. Diese Armee hat den orientalischen Feldzug mitgemacht, der Leiter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187046"/>
          <p xml:id="ID_277" prev="#ID_276"> keit Italiens rekrutirt sich hauptsächlich in den unterirdischen Werkstätten der<lb/>
geheimen Gesellschaften. die mit den französischen Jakobinern in enger Be¬<lb/>
ziehung stehn. Ein Phantast im größten Stil. Mazzini. gründet für Eu¬<lb/>
ropa eine revolutionäre Propaganda, die ihren Sitz in Italien hat. Wenn<lb/>
man seitdem auf einem beliebigen Bilderbogen einen Italiener abmalt, so<lb/>
hat er stets den spitzen Federhut tief in die Stirn gedrückt, den Mantel fest<lb/>
zusammengefaltet, doch so daß ein Dolch daraus hervorblickt. Alle Legiti-<lb/>
misten träumen von italienischen Banditen, und nicht am wenigsten besorgt<lb/>
ist Karl Albert. König von Sardinien. Als junger Prinz hat er das Trei¬<lb/>
ben der Carbonari genau kennen gelernt, er ist selber Carbonaro gewesen;<lb/>
als König bietet er jeder Rcpressivmaßregel die Hand, die von Oestreich gegen<lb/>
die Einheitsträumer ausgeführt wird; ja er ist in seinen Anforderungen noch<lb/>
heftiger, in seiner Repression noch härter. Im Uebrigen dauert die alte Riva¬<lb/>
lität zwischen Oestreich und Frankreich sort: Oestreich findet mehrfach Gelegen¬<lb/>
heit, den Papst zu retten, und zu diesem löblichen Zweck päpstliche Legationen<lb/>
militärisch zu besetzen; Ludwig Philipp, der dem Ruhm seiner Nation doch<lb/>
auch etwas schuldig ist. rückt seinerseits in Ancona ein. Es.will zwar nicht<lb/>
viel sagen, aber es ist doch immerhin eine Demonstration. Unter den Füh¬<lb/>
rern der Carbonari zeichnen sich in jenen Jahren zwei Gebrüder Bonaparte<lb/>
aus. die Neffen des großen Kaisers: der eine von ihnen trägt jetzt die fran¬<lb/>
zösische Krone.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> Es folgt die Aufregung über einen liberalen Papst, dann die Revolution<lb/>
von 1848: die geheimen Gesellschaften ergreifen in Frankreich das Ruder,<lb/>
ihre Freunde stehn in Mailand und Venedig auf. der östreichische Feldmarschall<lb/>
muß weichen, es liegt nahe, daß die revolutionäre französische Negierung<lb/>
ihren Glaubensgenossen in Italien zur Hilfe kommt. Dann geschieht das Un-<lb/>
«hörte: Karl Albert, der alte Verbündete Oestreichs gegen die Carbonari.<lb/>
rückt mit seiner Armee schnell entschlossen in die insurgirten Provinzen ein und<lb/>
sie huldigen ihm als ihrem König. Zwar wird er zum ersten Mal und zum<lb/>
Zweiten Mal geschlagen. Oestreich gewinnt seinen Länderbestand wieder und<lb/>
Karl Albert selbst muß abdanken, aber die Zukunft Italiens hat eine andere<lb/>
Physiognomie angenommen. Was bisher nur von stillen Gelehrten geträumt<lb/>
wurde, die Einheit Italiens durch Absorption in einen bereits organisirten<lb/>
Staat, ist heute das Stichwort der gebildeten Classen Italiens. Der Anhang<lb/>
Mazzinis besteht zwar fort, aber er ist in den Hintergrund gedrängt; das<lb/>
neue konstitutionelle Königreich Sardinien, welches auch den päpstlichen An¬<lb/>
sprüchen gegenüber die Interessen seines Volkes vertritt, ist jetzt der Mittel¬<lb/>
punkt der italienischen Einheitsidee; nicht mehr der Dolch der geheimen Ge¬<lb/>
sellschaften, sondern das Schwert der piemontesischen Armee ist gegen Oestreich<lb/>
gerichtet. Diese Armee hat den orientalischen Feldzug mitgemacht, der Leiter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] keit Italiens rekrutirt sich hauptsächlich in den unterirdischen Werkstätten der geheimen Gesellschaften. die mit den französischen Jakobinern in enger Be¬ ziehung stehn. Ein Phantast im größten Stil. Mazzini. gründet für Eu¬ ropa eine revolutionäre Propaganda, die ihren Sitz in Italien hat. Wenn man seitdem auf einem beliebigen Bilderbogen einen Italiener abmalt, so hat er stets den spitzen Federhut tief in die Stirn gedrückt, den Mantel fest zusammengefaltet, doch so daß ein Dolch daraus hervorblickt. Alle Legiti- misten träumen von italienischen Banditen, und nicht am wenigsten besorgt ist Karl Albert. König von Sardinien. Als junger Prinz hat er das Trei¬ ben der Carbonari genau kennen gelernt, er ist selber Carbonaro gewesen; als König bietet er jeder Rcpressivmaßregel die Hand, die von Oestreich gegen die Einheitsträumer ausgeführt wird; ja er ist in seinen Anforderungen noch heftiger, in seiner Repression noch härter. Im Uebrigen dauert die alte Riva¬ lität zwischen Oestreich und Frankreich sort: Oestreich findet mehrfach Gelegen¬ heit, den Papst zu retten, und zu diesem löblichen Zweck päpstliche Legationen militärisch zu besetzen; Ludwig Philipp, der dem Ruhm seiner Nation doch auch etwas schuldig ist. rückt seinerseits in Ancona ein. Es.will zwar nicht viel sagen, aber es ist doch immerhin eine Demonstration. Unter den Füh¬ rern der Carbonari zeichnen sich in jenen Jahren zwei Gebrüder Bonaparte aus. die Neffen des großen Kaisers: der eine von ihnen trägt jetzt die fran¬ zösische Krone. Es folgt die Aufregung über einen liberalen Papst, dann die Revolution von 1848: die geheimen Gesellschaften ergreifen in Frankreich das Ruder, ihre Freunde stehn in Mailand und Venedig auf. der östreichische Feldmarschall muß weichen, es liegt nahe, daß die revolutionäre französische Negierung ihren Glaubensgenossen in Italien zur Hilfe kommt. Dann geschieht das Un- «hörte: Karl Albert, der alte Verbündete Oestreichs gegen die Carbonari. rückt mit seiner Armee schnell entschlossen in die insurgirten Provinzen ein und sie huldigen ihm als ihrem König. Zwar wird er zum ersten Mal und zum Zweiten Mal geschlagen. Oestreich gewinnt seinen Länderbestand wieder und Karl Albert selbst muß abdanken, aber die Zukunft Italiens hat eine andere Physiognomie angenommen. Was bisher nur von stillen Gelehrten geträumt wurde, die Einheit Italiens durch Absorption in einen bereits organisirten Staat, ist heute das Stichwort der gebildeten Classen Italiens. Der Anhang Mazzinis besteht zwar fort, aber er ist in den Hintergrund gedrängt; das neue konstitutionelle Königreich Sardinien, welches auch den päpstlichen An¬ sprüchen gegenüber die Interessen seines Volkes vertritt, ist jetzt der Mittel¬ punkt der italienischen Einheitsidee; nicht mehr der Dolch der geheimen Ge¬ sellschaften, sondern das Schwert der piemontesischen Armee ist gegen Oestreich gerichtet. Diese Armee hat den orientalischen Feldzug mitgemacht, der Leiter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/95>, abgerufen am 24.07.2024.