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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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hergestellt war, den hauptstädtischen Pöbel zu unterhalten. In Griechenland,
wo genau dasselbe Verhältniß stattfand, hatte man das System der Sym-
machien: diese hatten ein wirkliches Leben, so lange ein Vorort in der Bundes-
genossenschaft despotisch regierte, Athen, Sparta, Theben; sie verloren sich in
eine leere Abstraction, als sie sich zu gleichberechtigten Eidgenossenschaften ver¬
edeln wollten, wie im achäischen Bunde. So ist im Mittelalter Italien der
glänzendste Boden sür alle politischen Fähigkeiten; man kann sagen, daß in
diesem Wirbel der italienischen Politik Talent und Genie auf eine unerhörte
Weise vergeudet wurden; aber immer ist der Staat nur die Stadt, bis end¬
lich die Entstehung großer Militärmächte außerhalb Italiens die Unterwerfung
Italiens herbeiführt. Als glänzender Ueberrest des alten staatenbildenden
Princips bleibt bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts nur noch Venedig
bestehen. Endlich fällt auch dieses als letztes Opfer sür den Frieden der bei¬
den rivalisirenden Mächte.

Italien ist seit dem Zuge Karls VIII. der Schauplatz für die Rivalität
der Häuser Frankreich und Oestreich. Bald geht man darauf aus, es ganz
oder theilweise dem eignen Ländergebiet einzuverleiben, bald macht man da¬
raus eine Entschädigung sür seine apanagirten Prinzen. Diese Beziehung zu
Italien, und was damit zusammenhängt, zum Papstthum, ist kein unwesent¬
licher Grund dafür, daß die beiden Dynastien katholisch blieben. Das Ueber¬
gewicht scheint sich mehr und mehr für das Haus Bourbon zu entscheiden,
bis endlich der Erbe dieses Hauses, Napoleon I., ein geborner Italiener, den
Plan seiner Vorgänger in großartigem Maßstabe ausführt: der größere Theil
Italiens wird dem französischen Kaiserthum einverleibt, der Rest wird zu
militärischen Lehen umgestaltet.

Der Sturz Napoleons gibt Oestreich in Italien das Uebergewicht; doch
wendet es dasselbe insofern mäßiger an, als es sich nur das lombardisch-
venetianische Königreich einverleibt, und daneben eine Reihe von Secundo-
genituren einrichtet. Mit dem stammverwandten Neapel bleibt die französische
Restauration in Beziehungen.

Aber den Haupteinfluß übt Oestreich in Italien als Vorfechter der Legi¬
timität aus. Legitim ist nach dem Princip Metternichs der durch den wiener
Frieden garantirte Besitzstand der Mächte; wer denselben in Frage stellt, ist
ein Jakobiner, ein Communist, ein Königsmörder-. Jakobiner, Communisten,
Königsmörder sind die Griechen, die Polen, die deutschen Unitarier, die Ita¬
liener. Metternich lehrt und für Europa wird es ein Glaubensartikel, daß
die Fortdauer des östreichischen Besitzstände? in Italien das Symbol des mon¬
archischen Princips überhaupt ist. In Griechenland 1829, in Belgien 183t
muß man freilich ein Auge zudrücken; desto strenger wird das Princip in Ita¬
lien festgehalten. Und in der That, die Partei der Einheit und Unabhängig-


hergestellt war, den hauptstädtischen Pöbel zu unterhalten. In Griechenland,
wo genau dasselbe Verhältniß stattfand, hatte man das System der Sym-
machien: diese hatten ein wirkliches Leben, so lange ein Vorort in der Bundes-
genossenschaft despotisch regierte, Athen, Sparta, Theben; sie verloren sich in
eine leere Abstraction, als sie sich zu gleichberechtigten Eidgenossenschaften ver¬
edeln wollten, wie im achäischen Bunde. So ist im Mittelalter Italien der
glänzendste Boden sür alle politischen Fähigkeiten; man kann sagen, daß in
diesem Wirbel der italienischen Politik Talent und Genie auf eine unerhörte
Weise vergeudet wurden; aber immer ist der Staat nur die Stadt, bis end¬
lich die Entstehung großer Militärmächte außerhalb Italiens die Unterwerfung
Italiens herbeiführt. Als glänzender Ueberrest des alten staatenbildenden
Princips bleibt bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts nur noch Venedig
bestehen. Endlich fällt auch dieses als letztes Opfer sür den Frieden der bei¬
den rivalisirenden Mächte.

Italien ist seit dem Zuge Karls VIII. der Schauplatz für die Rivalität
der Häuser Frankreich und Oestreich. Bald geht man darauf aus, es ganz
oder theilweise dem eignen Ländergebiet einzuverleiben, bald macht man da¬
raus eine Entschädigung sür seine apanagirten Prinzen. Diese Beziehung zu
Italien, und was damit zusammenhängt, zum Papstthum, ist kein unwesent¬
licher Grund dafür, daß die beiden Dynastien katholisch blieben. Das Ueber¬
gewicht scheint sich mehr und mehr für das Haus Bourbon zu entscheiden,
bis endlich der Erbe dieses Hauses, Napoleon I., ein geborner Italiener, den
Plan seiner Vorgänger in großartigem Maßstabe ausführt: der größere Theil
Italiens wird dem französischen Kaiserthum einverleibt, der Rest wird zu
militärischen Lehen umgestaltet.

Der Sturz Napoleons gibt Oestreich in Italien das Uebergewicht; doch
wendet es dasselbe insofern mäßiger an, als es sich nur das lombardisch-
venetianische Königreich einverleibt, und daneben eine Reihe von Secundo-
genituren einrichtet. Mit dem stammverwandten Neapel bleibt die französische
Restauration in Beziehungen.

Aber den Haupteinfluß übt Oestreich in Italien als Vorfechter der Legi¬
timität aus. Legitim ist nach dem Princip Metternichs der durch den wiener
Frieden garantirte Besitzstand der Mächte; wer denselben in Frage stellt, ist
ein Jakobiner, ein Communist, ein Königsmörder-. Jakobiner, Communisten,
Königsmörder sind die Griechen, die Polen, die deutschen Unitarier, die Ita¬
liener. Metternich lehrt und für Europa wird es ein Glaubensartikel, daß
die Fortdauer des östreichischen Besitzstände? in Italien das Symbol des mon¬
archischen Princips überhaupt ist. In Griechenland 1829, in Belgien 183t
muß man freilich ein Auge zudrücken; desto strenger wird das Princip in Ita¬
lien festgehalten. Und in der That, die Partei der Einheit und Unabhängig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/94>, abgerufen am 24.07.2024.