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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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rend des Krimfeldzugs keineswegs verändert. Die Volksstimmung. die sich
Hayncm gegenüber so nachdrücklich ausgesprochen hatte, wäre sehr leicht in
eine andere Fährte gelenkt worden, wenn sich die östreichischen und britischen
Feldzeichen zur Seite gestanden hätten. Das war nickt geschehn, das Publi¬
kum sah in Oestreich noch immer das Vaterland der Haynaus, und das
Publicum hat dort einen sehr erheblichen Einfluß auf den Gang der aus¬
wärtigen Politik.

Gegen das Ende des Krieges war es dem Königreich Sardinien gelungen,
sich durch das active Bündniß mit den Westmünster eine Position in Europa
Zu erwerben, die weit über seine Kräfte hinausging. Zum Schluß der pariser
Evnfevenzen durste Graf Cavonr es wagen, im Angesicht Europas eine
offne Anklage gegen die östreichische Politik in Italien zu erheben. Damit
>var gegen den wundesten Fleck Oestreichs die Spitze der europäischen Waffen
gelehrt.

Die italienische Frage spielt unzweifelhaft in der Zukunft Europas eine
ebenso wichtige Rolle als die orientalische, eine wichtigere als die polnische,
weil diese, was auch sentimentale Politiker dagegen sagen mögen, im Grund
der Sache bereits abgeurtheilt ist. Und sie hat in den letzten Jahren für
Oestreich eine um so bedrohlichere Wendung genommen, da sie aus dem Ge¬
riet der Wunsche und Träume in das Gebiet des planmäßigen Wirkens über¬
getreten ist.

Wenn man die Befähigung Italiens, einen unabhängigen Staat zu
bilden, untersucht, so muß man zweierlei unterscheiden. Wie der Italiener,
wenn er einen sogenannten Volkskrieg unternimmt, sich fast durchweg schlecht
schlägt, als Soldat dagegen in einer disciplinirten Armee Glänzendes leistet,
^ ist es auch in der Politik. Dem Italiener die politische Fähigkeit abzu¬
sprechen, wäre gradezu ein Wahnsinn; die größten Politiker Europas sind
aus Italien hervorgegangen, ja Italien ist das eigentliche Vaterland der mo-
dernen Politik. Aber das staatenbildende Princip Italiens leidet an einem
Mangel, den es mit dem classischen Alterthum überhaupt theilt: so viele und ver¬
schiedenartige Völker die Flut der Zeit über den Boden Italiens hinweggeweht
hat, in dieser Beziehung steht es noch immer auf dem Standpunkt Roms
und Griechenlands.

Das staatenbildende Princip des classischen Alterthums ging nicht über
das Weichbild der Stadt hinaus. Zwar haben sich die Städte erweitert, m-
e>u sie die Heiligthümer der eroberten Städte mit den vorzüglichsten Adels-
üeschlechtern in ihre eignen Mauern einführten und das unterworfene Land
eolonisivten, aber auch der fo erweiterte Staat blieb immer nur die Stadt.
Als Rom die Welt eroberte, diente die Welt nur dazu, während der Republik
Adel der römischen Stadt zu bereichern, und nachdem das Kaiserthum


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rend des Krimfeldzugs keineswegs verändert. Die Volksstimmung. die sich
Hayncm gegenüber so nachdrücklich ausgesprochen hatte, wäre sehr leicht in
eine andere Fährte gelenkt worden, wenn sich die östreichischen und britischen
Feldzeichen zur Seite gestanden hätten. Das war nickt geschehn, das Publi¬
kum sah in Oestreich noch immer das Vaterland der Haynaus, und das
Publicum hat dort einen sehr erheblichen Einfluß auf den Gang der aus¬
wärtigen Politik.

Gegen das Ende des Krieges war es dem Königreich Sardinien gelungen,
sich durch das active Bündniß mit den Westmünster eine Position in Europa
Zu erwerben, die weit über seine Kräfte hinausging. Zum Schluß der pariser
Evnfevenzen durste Graf Cavonr es wagen, im Angesicht Europas eine
offne Anklage gegen die östreichische Politik in Italien zu erheben. Damit
>var gegen den wundesten Fleck Oestreichs die Spitze der europäischen Waffen
gelehrt.

Die italienische Frage spielt unzweifelhaft in der Zukunft Europas eine
ebenso wichtige Rolle als die orientalische, eine wichtigere als die polnische,
weil diese, was auch sentimentale Politiker dagegen sagen mögen, im Grund
der Sache bereits abgeurtheilt ist. Und sie hat in den letzten Jahren für
Oestreich eine um so bedrohlichere Wendung genommen, da sie aus dem Ge¬
riet der Wunsche und Träume in das Gebiet des planmäßigen Wirkens über¬
getreten ist.

Wenn man die Befähigung Italiens, einen unabhängigen Staat zu
bilden, untersucht, so muß man zweierlei unterscheiden. Wie der Italiener,
wenn er einen sogenannten Volkskrieg unternimmt, sich fast durchweg schlecht
schlägt, als Soldat dagegen in einer disciplinirten Armee Glänzendes leistet,
^ ist es auch in der Politik. Dem Italiener die politische Fähigkeit abzu¬
sprechen, wäre gradezu ein Wahnsinn; die größten Politiker Europas sind
aus Italien hervorgegangen, ja Italien ist das eigentliche Vaterland der mo-
dernen Politik. Aber das staatenbildende Princip Italiens leidet an einem
Mangel, den es mit dem classischen Alterthum überhaupt theilt: so viele und ver¬
schiedenartige Völker die Flut der Zeit über den Boden Italiens hinweggeweht
hat, in dieser Beziehung steht es noch immer auf dem Standpunkt Roms
und Griechenlands.

Das staatenbildende Princip des classischen Alterthums ging nicht über
das Weichbild der Stadt hinaus. Zwar haben sich die Städte erweitert, m-
e>u sie die Heiligthümer der eroberten Städte mit den vorzüglichsten Adels-
üeschlechtern in ihre eignen Mauern einführten und das unterworfene Land
eolonisivten, aber auch der fo erweiterte Staat blieb immer nur die Stadt.
Als Rom die Welt eroberte, diente die Welt nur dazu, während der Republik
Adel der römischen Stadt zu bereichern, und nachdem das Kaiserthum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/93>, abgerufen am 24.07.2024.