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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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daran gelegen sein, den Zerfall des türkischen Reichs zu hintertreiben, und
es hat auch in der That in den meisten Fällen die Pforte zu Stufen gesucht.

Freilich ging es in schwachen Stunden von dieser Idee ad; es dachte
an die Möglichkeit, mit Nußland die Bente zu theilen, so namentlich 1790.
Metternich sah zu klar, um sich auf eine so abenteuerliche Politik einzulassen,
aber fein Wille war nicht stark genug, der offnen Gewalt etwas mehr als
diplomatische Intriguen entgegenzusetzen. Das junge, wiedergeborne Oestreich,
das nicht mehr an Erhaltung des Bestehenden, sondern an Eroberung dachte,
arbeitete durch die Sendung des Fürsten von Leiningen entschieden den
Russen in die Hände; ja vielleicht war diese Sendung der Umstand, der
den Kaiser von Rußland, im voreiligen Vertrauen auf Oestreichs Zustimmung,
zu dem herausfordernden Borgehn gegen die Pforte bestimmte. War das
vom wiener Cabinet Macchiavellistische Politik? sehnte es sich, wie Fürst
Schwarzenberg sagte, wirklich nach einer Gelegenheit, um an dem Ueberwinder
Ungarns einen "Act eclatanter Undankbarkeit" auszuüben? Es ist nicht wahr¬
scheinlich; vielmehr war es die nachträgliche, besonnene Ueberlegung, die Oest¬
reich zu der Rolle veranlaßte, die es in den folgenden Jahren gespielt. Und
auch da blieb es nicht streng conservativ; zu deutlich ließ es merken, daß es
in den Donaufürstenthümern mehr begehrte als die bloße Sicherung des Be¬
stehenden. Dem Anschein nach hatte es von den sämmtlichen am orientalischen
Krieg betheiligten Mächten mit den geringsten Opfern das Meiste erreicht;
in der That aber war grade durch den Verdruß der andern über diesen Erfolg
seine Stellung eine sehr bedenkliche geworden.

Es hatte Nußland nicht blos Schaden, sondern eine Kränkung zugefügt,
die man nicht wieder vergibt. Die englisch-französische Politik begriff mau
in Se. Petersburg als natürlich, die östreichische empfand man als einen
Treubruch; dort hatte man es mit einem offnen Feind zu thun, der Gut und
Blut für seine Sache einsetzte, hier mit einem Gegner, der, ohne einen Ein¬
satz zu wagen, dnrch geschickte Schachzüge seine Sache förderte. Mit den
Westmächten konnte wieder eine Verständigung erfolgen, sobald es der Vor¬
theil erheischte; mit Oestreich nicht.

In dem leidenschaftlichen Eifer, aus dem Bündniß mit den Westinächtcn
allein in Deutschland Vortheil zu ziehen, hatte man Preußen, dessen schwan¬
kende unselbstständige Politik allerdings zu dem gerechtesten Tadel Anlaß bot,
ans eine Weise bruskirt, die es immer feindseliger stimmen mußte. Während
vor dem orientalischen Krieg der Einfluß Rußlands entschieden für Oestreich
gegen Preußen in die Wagschale fiel, hatte sich nun das Verhältniß umgekehrt-

Eine innige Allianz mit den Westmächten war nicht zu Stande getönt
men. Die öffentliche Stimmung in England, schon früher dem östreichischen
Absolutismus entschieden abgeneigt, war durch die Haltung Oestreichs was-


daran gelegen sein, den Zerfall des türkischen Reichs zu hintertreiben, und
es hat auch in der That in den meisten Fällen die Pforte zu Stufen gesucht.

Freilich ging es in schwachen Stunden von dieser Idee ad; es dachte
an die Möglichkeit, mit Nußland die Bente zu theilen, so namentlich 1790.
Metternich sah zu klar, um sich auf eine so abenteuerliche Politik einzulassen,
aber fein Wille war nicht stark genug, der offnen Gewalt etwas mehr als
diplomatische Intriguen entgegenzusetzen. Das junge, wiedergeborne Oestreich,
das nicht mehr an Erhaltung des Bestehenden, sondern an Eroberung dachte,
arbeitete durch die Sendung des Fürsten von Leiningen entschieden den
Russen in die Hände; ja vielleicht war diese Sendung der Umstand, der
den Kaiser von Rußland, im voreiligen Vertrauen auf Oestreichs Zustimmung,
zu dem herausfordernden Borgehn gegen die Pforte bestimmte. War das
vom wiener Cabinet Macchiavellistische Politik? sehnte es sich, wie Fürst
Schwarzenberg sagte, wirklich nach einer Gelegenheit, um an dem Ueberwinder
Ungarns einen „Act eclatanter Undankbarkeit" auszuüben? Es ist nicht wahr¬
scheinlich; vielmehr war es die nachträgliche, besonnene Ueberlegung, die Oest¬
reich zu der Rolle veranlaßte, die es in den folgenden Jahren gespielt. Und
auch da blieb es nicht streng conservativ; zu deutlich ließ es merken, daß es
in den Donaufürstenthümern mehr begehrte als die bloße Sicherung des Be¬
stehenden. Dem Anschein nach hatte es von den sämmtlichen am orientalischen
Krieg betheiligten Mächten mit den geringsten Opfern das Meiste erreicht;
in der That aber war grade durch den Verdruß der andern über diesen Erfolg
seine Stellung eine sehr bedenkliche geworden.

Es hatte Nußland nicht blos Schaden, sondern eine Kränkung zugefügt,
die man nicht wieder vergibt. Die englisch-französische Politik begriff mau
in Se. Petersburg als natürlich, die östreichische empfand man als einen
Treubruch; dort hatte man es mit einem offnen Feind zu thun, der Gut und
Blut für seine Sache einsetzte, hier mit einem Gegner, der, ohne einen Ein¬
satz zu wagen, dnrch geschickte Schachzüge seine Sache förderte. Mit den
Westmächten konnte wieder eine Verständigung erfolgen, sobald es der Vor¬
theil erheischte; mit Oestreich nicht.

In dem leidenschaftlichen Eifer, aus dem Bündniß mit den Westinächtcn
allein in Deutschland Vortheil zu ziehen, hatte man Preußen, dessen schwan¬
kende unselbstständige Politik allerdings zu dem gerechtesten Tadel Anlaß bot,
ans eine Weise bruskirt, die es immer feindseliger stimmen mußte. Während
vor dem orientalischen Krieg der Einfluß Rußlands entschieden für Oestreich
gegen Preußen in die Wagschale fiel, hatte sich nun das Verhältniß umgekehrt-

Eine innige Allianz mit den Westmächten war nicht zu Stande getönt
men. Die öffentliche Stimmung in England, schon früher dem östreichischen
Absolutismus entschieden abgeneigt, war durch die Haltung Oestreichs was-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/92>, abgerufen am 24.07.2024.