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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Symbole enthalten könnte. So start wir noch immer den Gegensatz gegen
die eigentliche Demokratie empfinden, d. h. gegen diejenigen Männer, die in
des Volkes Stimme Gottes Stimme sehn und die das souveräne Volk rü jedem
Haufen wahrzunehmen glauben, der sich auf den Straßen umhertreibt, so
würde es uns schwer fallen, zwischen demjenigen Theil der preußischen Presse,
der sich heute demokratisch nennt, und der unabhängigen constitutionellen
Presse einen principiellen Unterschied zu entdecken, sobald wir nur von dem
Dogma des allgemeinen Wahlrechts absehn. das ja von beiden Seiten auf
längere Zeit vertagt worden ist. Im Jahr 1848 pflanzten die Grenzboten
die Fahne der "conservativen Demokratie" auf; damals fand diese Verbindung
Zweier Begriffe, die sich dem Anschein nach widersprechen, wenig Beifall;
hole taucht sie in allen demokratischen Zeitungen wieder auf. In der
That ,se das Streben nach rechtlicher Gleichheit der Staatsbürger und nach
Selbstverwaltung in der Geschichte des preußischen Staats tief begründet, und
so verstanden, hat selbst der frühere Ministerpräsident Herr v. Manteuffel die
Demokratie als ein wesentliches Moment des preußischen Staatslebens bezeichnet.

Der Landtag ist freilich nicht der Ort. wo sich dogmatische Gegensätze
hart aneinander'reiben sollen; es ist vielmehr der Ort der praktischen Politik,
d- h. der Kompromisse. Insofern sind wir ganz damit einverstanden, daß
un Gegensak zur Paulskirche. wo die Gelehrten und Staatskünstler das Wort
führten, diesmal der Landtag fast ausschließlich aus Männern des praktischen
^dens zusammengesetzt ist. die aus Erfahrung wissen, daß alle reale Tha-
t'gkeit eine bedingte ist. Indessen wäre es ein ungerechtfertigtes Vorurtheil.
anzunehmen, daß ein Vertrag nur zu Stande kommt, wenn von allen Seiten
cvnciliante Naturen, die in ihren Ansichten wenig auseinandergehn, vorhan¬
den sind. Zuweilen ist es im Gegentheil nöthig, daß. um einen dauerhaften
Frieden zu schließen, vorher ein recht lebhafter Krieg entbrennt, hier natürlich
nur em theoretischer. Das theoretische Moment ist diesmal zu wenig ver¬
treten, und es gereicht uns zur besondern Genugthuung, daß ein Mann wie
Professor G meist seine von dem herkömmlichen Liberalismus sehr abweichenden
Ueberzeugungen in der Legislatur zu vertreten Gelegenheit findet.

Bekanntlich hat Gneist im Anhang zu seinem Werk über das eng¬
lische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, einer der bedeutendsten Leistungen
der letzten Jahre auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte. seine Ansicht über die
gegenwärtige Entwicklung des parlamentarischen Lebens in Preußen ausein¬
andergesetzt. Er findet den wahren Keim der preußischen Verfassung in der
den richterlichen Kollegien nachgebildeten Form der Verwaltungsbehörden, und
stellt eine constitutionelle Parteiregierung, welche aus diese "Amtsgentry" keine
Rücksicht nehme, als einen Abweg von dem wahrhaft geschichtlichen Fort¬
schritt dar.


Symbole enthalten könnte. So start wir noch immer den Gegensatz gegen
die eigentliche Demokratie empfinden, d. h. gegen diejenigen Männer, die in
des Volkes Stimme Gottes Stimme sehn und die das souveräne Volk rü jedem
Haufen wahrzunehmen glauben, der sich auf den Straßen umhertreibt, so
würde es uns schwer fallen, zwischen demjenigen Theil der preußischen Presse,
der sich heute demokratisch nennt, und der unabhängigen constitutionellen
Presse einen principiellen Unterschied zu entdecken, sobald wir nur von dem
Dogma des allgemeinen Wahlrechts absehn. das ja von beiden Seiten auf
längere Zeit vertagt worden ist. Im Jahr 1848 pflanzten die Grenzboten
die Fahne der „conservativen Demokratie" auf; damals fand diese Verbindung
Zweier Begriffe, die sich dem Anschein nach widersprechen, wenig Beifall;
hole taucht sie in allen demokratischen Zeitungen wieder auf. In der
That ,se das Streben nach rechtlicher Gleichheit der Staatsbürger und nach
Selbstverwaltung in der Geschichte des preußischen Staats tief begründet, und
so verstanden, hat selbst der frühere Ministerpräsident Herr v. Manteuffel die
Demokratie als ein wesentliches Moment des preußischen Staatslebens bezeichnet.

Der Landtag ist freilich nicht der Ort. wo sich dogmatische Gegensätze
hart aneinander'reiben sollen; es ist vielmehr der Ort der praktischen Politik,
d- h. der Kompromisse. Insofern sind wir ganz damit einverstanden, daß
un Gegensak zur Paulskirche. wo die Gelehrten und Staatskünstler das Wort
führten, diesmal der Landtag fast ausschließlich aus Männern des praktischen
^dens zusammengesetzt ist. die aus Erfahrung wissen, daß alle reale Tha-
t'gkeit eine bedingte ist. Indessen wäre es ein ungerechtfertigtes Vorurtheil.
anzunehmen, daß ein Vertrag nur zu Stande kommt, wenn von allen Seiten
cvnciliante Naturen, die in ihren Ansichten wenig auseinandergehn, vorhan¬
den sind. Zuweilen ist es im Gegentheil nöthig, daß. um einen dauerhaften
Frieden zu schließen, vorher ein recht lebhafter Krieg entbrennt, hier natürlich
nur em theoretischer. Das theoretische Moment ist diesmal zu wenig ver¬
treten, und es gereicht uns zur besondern Genugthuung, daß ein Mann wie
Professor G meist seine von dem herkömmlichen Liberalismus sehr abweichenden
Ueberzeugungen in der Legislatur zu vertreten Gelegenheit findet.

Bekanntlich hat Gneist im Anhang zu seinem Werk über das eng¬
lische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, einer der bedeutendsten Leistungen
der letzten Jahre auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte. seine Ansicht über die
gegenwärtige Entwicklung des parlamentarischen Lebens in Preußen ausein¬
andergesetzt. Er findet den wahren Keim der preußischen Verfassung in der
den richterlichen Kollegien nachgebildeten Form der Verwaltungsbehörden, und
stellt eine constitutionelle Parteiregierung, welche aus diese „Amtsgentry" keine
Rücksicht nehme, als einen Abweg von dem wahrhaft geschichtlichen Fort¬
schritt dar.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/81>, abgerufen am 24.07.2024.