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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die Fleischer, sich einige Beschränkungen gefallen lassen mußten, die Zünfte
stellen nach wie vor ihr Contingent zu dem Nach, und d.e Urkunde, in wel¬
cher er die Privilegien der Stadt bestätigt, enthält eine förmliche Lobrede auf
seine liebe Stadt Breslau, die recht deutlich zeigt, wie viel Werth er darauf
legte, in jener stürmischen Zeit, wo in seiner eigentlichen Hauptstadt der
Aufruhr kühn sein Haupt ers-ob. wenigstens die zweite ^-labt sich zur Freun¬
dn zu erhalten.

Ueberblicken wir nun noch einmal die ganze Geschichte deS Aufruhrs, so
"U'sser wir wiederholen, daß man Unrecht gethan hat. denselben einfach in
die Geschichte der Zunftunruheu. wie sie in jener Zeit so vielfach vorkommen,
"nzuregistriren und ihn aus dem Hasse der Handwerker gegen das kaufmän¬
nische Patriciat herzuleiten. Davon habe ich nirgend in den Urkunden Spu¬
ren finden können. Nirgend tritt der König als Schüler des Patriciats gegen
die Zünfte auf. nirgend klagen diese letztem über jene. Vielmehr richtet
Wenzel seine Briefe immer in ganz gleicher Weise an die Kaufmannschaft wie
an die Zünfte, und beide vereint machen dem König ihre Vorstellungen; bei
allen den Aufständen erscheinen nie die Patricier als solche dem Grimm der
Handwerker ausgeseift, und so wenig wie sie es nöthig haben, den Schutz
des Königs anzurufen, so wenig erscheinen sie auch als Ankläger der Uebel-
thäter. Es konnte ja auch d,as. um was die Zünste sonst zu kämpfen pfle-
Ken. die Theilnahme an der Negierung, hier nicht der Zweck des Aufstandes
sein, da ja schon seit 13"0 auch bei den Nathserncnnungen Wenzels
Wenigstens ein Drittel der Mitglieder aus ihrer Mitte genommen wird.

Der Gegensatz war freilich sicher vorhanden, es war anch. wie wir sahn,
die Unzufriedenheit einiger der Zünfte mit der Negierung das. was zuerst den
Aufstand hervorgerufen, aber im Verlauf der fast dreißigjährigen Kämpfe hatte
"wu die erste Ursache des Streites ganz aus dem Gesicht verloren, und die
Kaufmannschaft, mochte sie nun eingeschüchtert sein oder in schweigendem Ein¬
verständnis,, hielt sich wesentlich neutral und der Kampf wird nur von den
Zünften gegen die Anordnungen des Königs geführt, welche als Eingriff in
dle hergebrachte Selbständigkeit der Stadt erscheinen. Die Hauptschuld an der
Empörung haben aber die halben Maßregeln Wenzels und die Verwicklungen,
in welche ihn zu gleicher Zeit die böhmischen Unruhen stürzen, und welche dre
königliche Autorität allzusehr untergraben, um nicht den Widerstand über-
Haupt herauszufordern.

Seltsam ist dabei immer der ganze Kampf, diese durch dreißig Jahre
immer wiederkehrenden Eruptionen des Volköuuwillcns. nährend doch jedes¬
mal die Reaction sast ohne Widerstand eintritt; diese Mischung der hart¬
köpfigsten Verbissenheit und der vollständigsten Blindheit über die nothwendigen
Konsequenzen, jenes plötzliche und ruckweise Ausflammen eines äußerst reiz-


die Fleischer, sich einige Beschränkungen gefallen lassen mußten, die Zünfte
stellen nach wie vor ihr Contingent zu dem Nach, und d.e Urkunde, in wel¬
cher er die Privilegien der Stadt bestätigt, enthält eine förmliche Lobrede auf
seine liebe Stadt Breslau, die recht deutlich zeigt, wie viel Werth er darauf
legte, in jener stürmischen Zeit, wo in seiner eigentlichen Hauptstadt der
Aufruhr kühn sein Haupt ers-ob. wenigstens die zweite ^-labt sich zur Freun¬
dn zu erhalten.

Ueberblicken wir nun noch einmal die ganze Geschichte deS Aufruhrs, so
»U'sser wir wiederholen, daß man Unrecht gethan hat. denselben einfach in
die Geschichte der Zunftunruheu. wie sie in jener Zeit so vielfach vorkommen,
"nzuregistriren und ihn aus dem Hasse der Handwerker gegen das kaufmän¬
nische Patriciat herzuleiten. Davon habe ich nirgend in den Urkunden Spu¬
ren finden können. Nirgend tritt der König als Schüler des Patriciats gegen
die Zünfte auf. nirgend klagen diese letztem über jene. Vielmehr richtet
Wenzel seine Briefe immer in ganz gleicher Weise an die Kaufmannschaft wie
an die Zünfte, und beide vereint machen dem König ihre Vorstellungen; bei
allen den Aufständen erscheinen nie die Patricier als solche dem Grimm der
Handwerker ausgeseift, und so wenig wie sie es nöthig haben, den Schutz
des Königs anzurufen, so wenig erscheinen sie auch als Ankläger der Uebel-
thäter. Es konnte ja auch d,as. um was die Zünste sonst zu kämpfen pfle-
Ken. die Theilnahme an der Negierung, hier nicht der Zweck des Aufstandes
sein, da ja schon seit 13»0 auch bei den Nathserncnnungen Wenzels
Wenigstens ein Drittel der Mitglieder aus ihrer Mitte genommen wird.

Der Gegensatz war freilich sicher vorhanden, es war anch. wie wir sahn,
die Unzufriedenheit einiger der Zünfte mit der Negierung das. was zuerst den
Aufstand hervorgerufen, aber im Verlauf der fast dreißigjährigen Kämpfe hatte
"wu die erste Ursache des Streites ganz aus dem Gesicht verloren, und die
Kaufmannschaft, mochte sie nun eingeschüchtert sein oder in schweigendem Ein¬
verständnis,, hielt sich wesentlich neutral und der Kampf wird nur von den
Zünften gegen die Anordnungen des Königs geführt, welche als Eingriff in
dle hergebrachte Selbständigkeit der Stadt erscheinen. Die Hauptschuld an der
Empörung haben aber die halben Maßregeln Wenzels und die Verwicklungen,
in welche ihn zu gleicher Zeit die böhmischen Unruhen stürzen, und welche dre
königliche Autorität allzusehr untergraben, um nicht den Widerstand über-
Haupt herauszufordern.

Seltsam ist dabei immer der ganze Kampf, diese durch dreißig Jahre
immer wiederkehrenden Eruptionen des Volköuuwillcns. nährend doch jedes¬
mal die Reaction sast ohne Widerstand eintritt; diese Mischung der hart¬
köpfigsten Verbissenheit und der vollständigsten Blindheit über die nothwendigen
Konsequenzen, jenes plötzliche und ruckweise Ausflammen eines äußerst reiz-


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[0079] die Fleischer, sich einige Beschränkungen gefallen lassen mußten, die Zünfte stellen nach wie vor ihr Contingent zu dem Nach, und d.e Urkunde, in wel¬ cher er die Privilegien der Stadt bestätigt, enthält eine förmliche Lobrede auf seine liebe Stadt Breslau, die recht deutlich zeigt, wie viel Werth er darauf legte, in jener stürmischen Zeit, wo in seiner eigentlichen Hauptstadt der Aufruhr kühn sein Haupt ers-ob. wenigstens die zweite ^-labt sich zur Freun¬ dn zu erhalten. Ueberblicken wir nun noch einmal die ganze Geschichte deS Aufruhrs, so »U'sser wir wiederholen, daß man Unrecht gethan hat. denselben einfach in die Geschichte der Zunftunruheu. wie sie in jener Zeit so vielfach vorkommen, "nzuregistriren und ihn aus dem Hasse der Handwerker gegen das kaufmän¬ nische Patriciat herzuleiten. Davon habe ich nirgend in den Urkunden Spu¬ ren finden können. Nirgend tritt der König als Schüler des Patriciats gegen die Zünfte auf. nirgend klagen diese letztem über jene. Vielmehr richtet Wenzel seine Briefe immer in ganz gleicher Weise an die Kaufmannschaft wie an die Zünfte, und beide vereint machen dem König ihre Vorstellungen; bei allen den Aufständen erscheinen nie die Patricier als solche dem Grimm der Handwerker ausgeseift, und so wenig wie sie es nöthig haben, den Schutz des Königs anzurufen, so wenig erscheinen sie auch als Ankläger der Uebel- thäter. Es konnte ja auch d,as. um was die Zünste sonst zu kämpfen pfle- Ken. die Theilnahme an der Negierung, hier nicht der Zweck des Aufstandes sein, da ja schon seit 13»0 auch bei den Nathserncnnungen Wenzels Wenigstens ein Drittel der Mitglieder aus ihrer Mitte genommen wird. Der Gegensatz war freilich sicher vorhanden, es war anch. wie wir sahn, die Unzufriedenheit einiger der Zünfte mit der Negierung das. was zuerst den Aufstand hervorgerufen, aber im Verlauf der fast dreißigjährigen Kämpfe hatte "wu die erste Ursache des Streites ganz aus dem Gesicht verloren, und die Kaufmannschaft, mochte sie nun eingeschüchtert sein oder in schweigendem Ein¬ verständnis,, hielt sich wesentlich neutral und der Kampf wird nur von den Zünften gegen die Anordnungen des Königs geführt, welche als Eingriff in dle hergebrachte Selbständigkeit der Stadt erscheinen. Die Hauptschuld an der Empörung haben aber die halben Maßregeln Wenzels und die Verwicklungen, in welche ihn zu gleicher Zeit die böhmischen Unruhen stürzen, und welche dre königliche Autorität allzusehr untergraben, um nicht den Widerstand über- Haupt herauszufordern. Seltsam ist dabei immer der ganze Kampf, diese durch dreißig Jahre immer wiederkehrenden Eruptionen des Volköuuwillcns. nährend doch jedes¬ mal die Reaction sast ohne Widerstand eintritt; diese Mischung der hart¬ köpfigsten Verbissenheit und der vollständigsten Blindheit über die nothwendigen Konsequenzen, jenes plötzliche und ruckweise Ausflammen eines äußerst reiz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/79>, abgerufen am 24.07.2024.