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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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verlangend im Rathe, und ohne daß irgendwie Kämpfe vorangegangen zu sein
scheinen, gewährt nur ihnen Einlaß. l3>4 erscheinen sechs Männer aus den
verschiedenen Handwerken erwählt unter den bisherigen acht Mitgliedern im
Rathe, ja im folgenden Jahre machen die zünftigen Beisitzer sogar die Hälfte
aus. Seltsam daß dieses wichtige Ereigniß in keiner der sonst so trefflichen
Darstellungen der breslauer Geschichte eine Erwähnung gefunden hat, obwol
die Nachricht, aus einem gleichzeitigen uns noch in einer Abschrift erhaltenen
städtischen NcehnnngSbuche entnommen, in keiner Weise angezweifelt werden
kann.

Freilich war jenes Ereigniß nichts weniger als der Abschluß der innern
Kampfe; es trat vielmehr eine starke Reaction ein, das aristokratische Element
begann sich jetzt erst bestimmter und bewußter auszubilden, und daß dies ge¬
schah, war im Wesentlichen das Resultat der politischen Verhältnisse und des
Einflusses der luzembnrger Herrscher.

So wie es nämlich dem Kaiser Heinrich VII. gelungen war, seinen Sohn
Johann auf den böhmischen Königsthron zu bringen, strebte dieser danach,
einen Einfluß auf das schlesische Nachbarland zu gewinnen, welches unter
viele Fürsten getheilt in deren Streitigkeiten eine geeignete Handhabe für der¬
artige Einmischungen darbot. , Eben damals regierte über Breslnu Herzog
Heinrich VI., ein wohlwollender und humaner, aber nicht eben sehr energischer
Fürst. Dieser, von seinein habsüchtigen Bruder Boleslaus bedrängt, suchte den
Rückhalt eines mächtigen Fürsten und warf sich endlich ganz in die Arme
König Johanns, den er >?>27 als seinen Lehnsherrn anerkannte und für den
Fall seines kinderlosen Todes zum Erben seines Herzogthums einsetzte. Es
mußte dies nothwendig von dem größten Einflusse sein auf das Schicksal der
Stadt. Der vornehmere Theil der Bürgerschaft, in deren Händen doch noch
immer die Summe der Negierung lag, und welcher hautsächlich aus Kauf¬
leuten bestand, mußte in dem voraussichtlichen Heimfall an einen größern
Staat ein offenbares Glück sehen, welches ihrem Handel bedeutendere Aus¬
dehnung und Befreiung von manchen Fesseln verhieß. Sie waren also sehr
bereit zu einem Arrangement mit dem neuen Herrscher. Und was diesen selbst
anbetraf, so gehörte er keineswegs zu den Fürsten, welche in starrer Auffassung
des monarchischen Princips die Städte um jeden Preis unter ihren Willen
zu beugen und deren Selbständigkeit zu brechen strebten. Solcher Fürsten
hat es überhaupt damals nicht viele gegeben, man ließ sich zu solchem Ver¬
fahren hauptsächlich nur in sehr bestimmten Fällen drängen, wenn es z. B.
vielleicht die eigne Residenz betraf, wo der Fürst sich in seiner unmittelbarsten
Nähe fortwährend gehemmt sah, oder wenn ein fest geschlossenes Patriciat
mit stark ausgeprägtem aristokratischem Bewußtsein herausfordernd dem Landes-
fürsten entgegentrat.


verlangend im Rathe, und ohne daß irgendwie Kämpfe vorangegangen zu sein
scheinen, gewährt nur ihnen Einlaß. l3>4 erscheinen sechs Männer aus den
verschiedenen Handwerken erwählt unter den bisherigen acht Mitgliedern im
Rathe, ja im folgenden Jahre machen die zünftigen Beisitzer sogar die Hälfte
aus. Seltsam daß dieses wichtige Ereigniß in keiner der sonst so trefflichen
Darstellungen der breslauer Geschichte eine Erwähnung gefunden hat, obwol
die Nachricht, aus einem gleichzeitigen uns noch in einer Abschrift erhaltenen
städtischen NcehnnngSbuche entnommen, in keiner Weise angezweifelt werden
kann.

Freilich war jenes Ereigniß nichts weniger als der Abschluß der innern
Kampfe; es trat vielmehr eine starke Reaction ein, das aristokratische Element
begann sich jetzt erst bestimmter und bewußter auszubilden, und daß dies ge¬
schah, war im Wesentlichen das Resultat der politischen Verhältnisse und des
Einflusses der luzembnrger Herrscher.

So wie es nämlich dem Kaiser Heinrich VII. gelungen war, seinen Sohn
Johann auf den böhmischen Königsthron zu bringen, strebte dieser danach,
einen Einfluß auf das schlesische Nachbarland zu gewinnen, welches unter
viele Fürsten getheilt in deren Streitigkeiten eine geeignete Handhabe für der¬
artige Einmischungen darbot. , Eben damals regierte über Breslnu Herzog
Heinrich VI., ein wohlwollender und humaner, aber nicht eben sehr energischer
Fürst. Dieser, von seinein habsüchtigen Bruder Boleslaus bedrängt, suchte den
Rückhalt eines mächtigen Fürsten und warf sich endlich ganz in die Arme
König Johanns, den er >?>27 als seinen Lehnsherrn anerkannte und für den
Fall seines kinderlosen Todes zum Erben seines Herzogthums einsetzte. Es
mußte dies nothwendig von dem größten Einflusse sein auf das Schicksal der
Stadt. Der vornehmere Theil der Bürgerschaft, in deren Händen doch noch
immer die Summe der Negierung lag, und welcher hautsächlich aus Kauf¬
leuten bestand, mußte in dem voraussichtlichen Heimfall an einen größern
Staat ein offenbares Glück sehen, welches ihrem Handel bedeutendere Aus¬
dehnung und Befreiung von manchen Fesseln verhieß. Sie waren also sehr
bereit zu einem Arrangement mit dem neuen Herrscher. Und was diesen selbst
anbetraf, so gehörte er keineswegs zu den Fürsten, welche in starrer Auffassung
des monarchischen Princips die Städte um jeden Preis unter ihren Willen
zu beugen und deren Selbständigkeit zu brechen strebten. Solcher Fürsten
hat es überhaupt damals nicht viele gegeben, man ließ sich zu solchem Ver¬
fahren hauptsächlich nur in sehr bestimmten Fällen drängen, wenn es z. B.
vielleicht die eigne Residenz betraf, wo der Fürst sich in seiner unmittelbarsten
Nähe fortwährend gehemmt sah, oder wenn ein fest geschlossenes Patriciat
mit stark ausgeprägtem aristokratischem Bewußtsein herausfordernd dem Landes-
fürsten entgegentrat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/68>, abgerufen am 24.07.2024.