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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die Glocke hatte schon zur Tafel gerufen -- deren Preis in demjenigen der
Passage, fünfundzwanzig Piaster bis Tultscha -- einbegriffen ist --ich war der
letzte, der vom Verdeck hinabstieg in die nicht besonders geräumige Kajüte. Daher
fand ich denn auch die lange Haupttafel so vollständig besetzt, daß es unmög¬
lich gewesen wäre, selbst einen Aankce dazwischen hincinzuquetschcn, was doch
etwas heißen will. Einigermaßen veüegen blickte ich umher, denn Hunger
hat man auf dem Wasser immer -- doppelten vielleicht, wenn man für seine
Befriedigung vorausbezahlt hat? -- und suchte auf den gleichgiltigen Gesich¬
tern der Stewards Trost und Hoffnung. Der großen Tafel gegenüber war
in einer Ecke noch ein kleiner Tisch mit zwei Couverts servirt; eben nahmen
der Moldauer Oberst und ein Herr im schwarzen Frack diese Separatplätze
ein; als jener meine hilflose und sogar etwas spaßhafte Verlegenheit gewahrte,
gab er sofort dem Herrn Oberkellner einen Wink, dieser stürzte mit einem
Couvert herbei, und der Schwarzbefrackte lud mich in vortrefflichem Französisch
an den kleinen Tisch. Das nahm ich dankbar an, und saß um so behaglicher
dem Obersten gegenüber, als ich bemerkte, daß wir mit besonderer Aufmerk¬
samkeit, ja fast Auszeichnung bedient wurden. Ich wollte mich der vor mir
aufgepflanzten Flasche des leichten, fast wasserhellen Moldauer Weines be¬
dienen, da bat mich der Oberst so verbindlich um die Erlaubniß, mir ein
Glas Bordeaux einschenken zu dürfen, daß ich dankbar annehmen mußte, so
wenig auch der feurige Klarer ein Getränk ist bei dreißig Grad Hitze im Ka¬
jütenschatten. Die Kosten der Unterhaltung bei Tisch bestritt vorzugsweise
der schwarze Herr, mein Nachbar; sie begann mit dem Lobe des französischen
Weines und führte zu der kühnen Behauptung, daß man diesen nirgend
besser trinke, wie in Bukarest; dem eifrigen Redner schien es eine völlig aus¬
gemachte Sache, nicht des Streitens werth, zu sein, daß es überhaupt nur
zwei Städte in der Welt gäbe, Paris und Bukarest. Der Oberst, ein sehr
schweigsamer Gast, welcher gewohnt schien, unterhalten zu werden, gab seine
Bekräftigung dieser Ansicht mit energischem Kopfnicken und einem sehnsüchtigen
Blick in das rothe Licht des emporgehaltener Glases; ich wunderte mich ein
wenig darüber, daß Jassy nicht mindestens als dritte im Bund erwähnt wurde.
Nachdem ich die Resultate eines mehrwochentlichen Aufenthalts in Galatsch und
der Moldau mit einiger Noth zu einem kleinen Panegyrikus zusammengefloch¬
ten hatte, schien der Oberst etwas warm zu werden, und es kam die Rede auf
die jetzige und künftige Bedeutung der Donaufürstenthümer. Leider habe ich
damals nicht Acht genug gegeben, um den ganzen Inhalt des Gesprächs noch
im Gedächtniß zu haben; er lief aber darauf hinaus, daß sich hier, an der
untern Donau, die Geschicke, die Zukunft Europas und der Welt entscheiden
würden. Auch die Abstammung der Wlachen oder lieber Rumänen von den
alten Römern kam zur Sprache, und ward als viel sichrer betrachtet, wie


Die Glocke hatte schon zur Tafel gerufen — deren Preis in demjenigen der
Passage, fünfundzwanzig Piaster bis Tultscha — einbegriffen ist —ich war der
letzte, der vom Verdeck hinabstieg in die nicht besonders geräumige Kajüte. Daher
fand ich denn auch die lange Haupttafel so vollständig besetzt, daß es unmög¬
lich gewesen wäre, selbst einen Aankce dazwischen hincinzuquetschcn, was doch
etwas heißen will. Einigermaßen veüegen blickte ich umher, denn Hunger
hat man auf dem Wasser immer — doppelten vielleicht, wenn man für seine
Befriedigung vorausbezahlt hat? — und suchte auf den gleichgiltigen Gesich¬
tern der Stewards Trost und Hoffnung. Der großen Tafel gegenüber war
in einer Ecke noch ein kleiner Tisch mit zwei Couverts servirt; eben nahmen
der Moldauer Oberst und ein Herr im schwarzen Frack diese Separatplätze
ein; als jener meine hilflose und sogar etwas spaßhafte Verlegenheit gewahrte,
gab er sofort dem Herrn Oberkellner einen Wink, dieser stürzte mit einem
Couvert herbei, und der Schwarzbefrackte lud mich in vortrefflichem Französisch
an den kleinen Tisch. Das nahm ich dankbar an, und saß um so behaglicher
dem Obersten gegenüber, als ich bemerkte, daß wir mit besonderer Aufmerk¬
samkeit, ja fast Auszeichnung bedient wurden. Ich wollte mich der vor mir
aufgepflanzten Flasche des leichten, fast wasserhellen Moldauer Weines be¬
dienen, da bat mich der Oberst so verbindlich um die Erlaubniß, mir ein
Glas Bordeaux einschenken zu dürfen, daß ich dankbar annehmen mußte, so
wenig auch der feurige Klarer ein Getränk ist bei dreißig Grad Hitze im Ka¬
jütenschatten. Die Kosten der Unterhaltung bei Tisch bestritt vorzugsweise
der schwarze Herr, mein Nachbar; sie begann mit dem Lobe des französischen
Weines und führte zu der kühnen Behauptung, daß man diesen nirgend
besser trinke, wie in Bukarest; dem eifrigen Redner schien es eine völlig aus¬
gemachte Sache, nicht des Streitens werth, zu sein, daß es überhaupt nur
zwei Städte in der Welt gäbe, Paris und Bukarest. Der Oberst, ein sehr
schweigsamer Gast, welcher gewohnt schien, unterhalten zu werden, gab seine
Bekräftigung dieser Ansicht mit energischem Kopfnicken und einem sehnsüchtigen
Blick in das rothe Licht des emporgehaltener Glases; ich wunderte mich ein
wenig darüber, daß Jassy nicht mindestens als dritte im Bund erwähnt wurde.
Nachdem ich die Resultate eines mehrwochentlichen Aufenthalts in Galatsch und
der Moldau mit einiger Noth zu einem kleinen Panegyrikus zusammengefloch¬
ten hatte, schien der Oberst etwas warm zu werden, und es kam die Rede auf
die jetzige und künftige Bedeutung der Donaufürstenthümer. Leider habe ich
damals nicht Acht genug gegeben, um den ganzen Inhalt des Gesprächs noch
im Gedächtniß zu haben; er lief aber darauf hinaus, daß sich hier, an der
untern Donau, die Geschicke, die Zukunft Europas und der Welt entscheiden
würden. Auch die Abstammung der Wlachen oder lieber Rumänen von den
alten Römern kam zur Sprache, und ward als viel sichrer betrachtet, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/503>, abgerufen am 24.07.2024.