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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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essen schon bei dem letzten und vorletzten Jahreswechsel Ausdruck gefunden.
Seit dem 31. December 1851 ist man ja in Oestreich an politische Neujahrs-
gcschenke gewöhnt. Aber allerdings macht sich in dem gegenwärtigen Augen¬
blick das Gefährliche eines allgemeinen Provisoriums mit doppeltem Gewicht
geltend. Wir zweifeln nicht im Geringsten an der Schlagfertigkeit unseres
Heeres. Die Armeeorganisation ist das einzig Definitive, was Oestreich im
letzten Jahrzehnt geschaffen hat, hier allein wurden alle Vorurtheile, alle hal¬
ben Maßregeln beseitigt, rationelle Grundsätze in Ehren gehalten, in Spar¬
samkeit und Aufwand ein weises Maß eingehalten. Dank dem Muth und
der Einsicht, der sich in der Militärverwaltung geltend macht, besitzen wir ein
kriegsbereites, siegesgcwisses Heer. Es ist aber nicht genug, daß das Heer,
es muß das ganze Volk in Kriegsbereitschaft stehen. Und diese letztere Kriegs¬
bereitschaft müssen wir leider bezweifeln. Viele von den Männern, welche in
Oestreich das entscheidende Wort sprechen, gewahren wir in einem doppelten
Irrthum befangen. Sie verwechseln den gerechten Grimm der öffentlichen
Meinung Europas gegen den französischen Machthaber mit unbedingten Sym¬
pathien für Oestreich. Die herabgleitcnde Scala des Enthusiasmus sür die
wiener Cabinetspolitik, wie sich dieselbe in den leitenden deutschen Organen
geltend macht, dürfte sie unangenehm überrascht haben. Sie hegen ferner die
Ueberzeugung, ein gutgeschultes und zahlreiches Heer in das Feld gesendet,
verbürge den Ausgang des Krieges. Und doch sollten sie von England, wenn
nicht aus der Geschichte gelernt haben, daß nicht der Staat, dessen Heer
die Garantien eines ersten Sieges bietet, sondern jener, der die meisten Schläge
in seiner Kraft ungebrochen ertragen, die längste Kriegsdauer aushalten kann,
über seine Zukunft ohne Sorgen bestehen kann. Wir verzweifeln auch jetzt nicht,
würden aber viel kräftiger das Haupt emportragen, viel ruhiger den Wechsel¬
fällen des Krieges entgegensehen, wenn wir wüßten, daß unsere Regierung
die innern MachtqucUen Oestreichs zu entfalten und auszubeuten den Muth
und das Verständniß besitze.




essen schon bei dem letzten und vorletzten Jahreswechsel Ausdruck gefunden.
Seit dem 31. December 1851 ist man ja in Oestreich an politische Neujahrs-
gcschenke gewöhnt. Aber allerdings macht sich in dem gegenwärtigen Augen¬
blick das Gefährliche eines allgemeinen Provisoriums mit doppeltem Gewicht
geltend. Wir zweifeln nicht im Geringsten an der Schlagfertigkeit unseres
Heeres. Die Armeeorganisation ist das einzig Definitive, was Oestreich im
letzten Jahrzehnt geschaffen hat, hier allein wurden alle Vorurtheile, alle hal¬
ben Maßregeln beseitigt, rationelle Grundsätze in Ehren gehalten, in Spar¬
samkeit und Aufwand ein weises Maß eingehalten. Dank dem Muth und
der Einsicht, der sich in der Militärverwaltung geltend macht, besitzen wir ein
kriegsbereites, siegesgcwisses Heer. Es ist aber nicht genug, daß das Heer,
es muß das ganze Volk in Kriegsbereitschaft stehen. Und diese letztere Kriegs¬
bereitschaft müssen wir leider bezweifeln. Viele von den Männern, welche in
Oestreich das entscheidende Wort sprechen, gewahren wir in einem doppelten
Irrthum befangen. Sie verwechseln den gerechten Grimm der öffentlichen
Meinung Europas gegen den französischen Machthaber mit unbedingten Sym¬
pathien für Oestreich. Die herabgleitcnde Scala des Enthusiasmus sür die
wiener Cabinetspolitik, wie sich dieselbe in den leitenden deutschen Organen
geltend macht, dürfte sie unangenehm überrascht haben. Sie hegen ferner die
Ueberzeugung, ein gutgeschultes und zahlreiches Heer in das Feld gesendet,
verbürge den Ausgang des Krieges. Und doch sollten sie von England, wenn
nicht aus der Geschichte gelernt haben, daß nicht der Staat, dessen Heer
die Garantien eines ersten Sieges bietet, sondern jener, der die meisten Schläge
in seiner Kraft ungebrochen ertragen, die längste Kriegsdauer aushalten kann,
über seine Zukunft ohne Sorgen bestehen kann. Wir verzweifeln auch jetzt nicht,
würden aber viel kräftiger das Haupt emportragen, viel ruhiger den Wechsel¬
fällen des Krieges entgegensehen, wenn wir wüßten, daß unsere Regierung
die innern MachtqucUen Oestreichs zu entfalten und auszubeuten den Muth
und das Verständniß besitze.




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[0498] essen schon bei dem letzten und vorletzten Jahreswechsel Ausdruck gefunden. Seit dem 31. December 1851 ist man ja in Oestreich an politische Neujahrs- gcschenke gewöhnt. Aber allerdings macht sich in dem gegenwärtigen Augen¬ blick das Gefährliche eines allgemeinen Provisoriums mit doppeltem Gewicht geltend. Wir zweifeln nicht im Geringsten an der Schlagfertigkeit unseres Heeres. Die Armeeorganisation ist das einzig Definitive, was Oestreich im letzten Jahrzehnt geschaffen hat, hier allein wurden alle Vorurtheile, alle hal¬ ben Maßregeln beseitigt, rationelle Grundsätze in Ehren gehalten, in Spar¬ samkeit und Aufwand ein weises Maß eingehalten. Dank dem Muth und der Einsicht, der sich in der Militärverwaltung geltend macht, besitzen wir ein kriegsbereites, siegesgcwisses Heer. Es ist aber nicht genug, daß das Heer, es muß das ganze Volk in Kriegsbereitschaft stehen. Und diese letztere Kriegs¬ bereitschaft müssen wir leider bezweifeln. Viele von den Männern, welche in Oestreich das entscheidende Wort sprechen, gewahren wir in einem doppelten Irrthum befangen. Sie verwechseln den gerechten Grimm der öffentlichen Meinung Europas gegen den französischen Machthaber mit unbedingten Sym¬ pathien für Oestreich. Die herabgleitcnde Scala des Enthusiasmus sür die wiener Cabinetspolitik, wie sich dieselbe in den leitenden deutschen Organen geltend macht, dürfte sie unangenehm überrascht haben. Sie hegen ferner die Ueberzeugung, ein gutgeschultes und zahlreiches Heer in das Feld gesendet, verbürge den Ausgang des Krieges. Und doch sollten sie von England, wenn nicht aus der Geschichte gelernt haben, daß nicht der Staat, dessen Heer die Garantien eines ersten Sieges bietet, sondern jener, der die meisten Schläge in seiner Kraft ungebrochen ertragen, die längste Kriegsdauer aushalten kann, über seine Zukunft ohne Sorgen bestehen kann. Wir verzweifeln auch jetzt nicht, würden aber viel kräftiger das Haupt emportragen, viel ruhiger den Wechsel¬ fällen des Krieges entgegensehen, wenn wir wüßten, daß unsere Regierung die innern MachtqucUen Oestreichs zu entfalten und auszubeuten den Muth und das Verständniß besitze.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/498>, abgerufen am 24.07.2024.