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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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abzubringen, daß dann auch die eben erst mit schwerem Geld abgelösten
Frohnden zurückgerufen würden. Und das weiß die Regierung. Der Masse
der ländlichen Bevölkerung kann man alles bieten, sie hat keinen Sinn für
politische Freiheit und Versassungsleben, sie beugt sich der Priester- und Be¬
amtenherrschaft, duldet die höchsten Steuern, bleibt stets treu und unterwürfig,
nur an die errungene Freiheit des Besitzes darf man ihr nicht greifen, selbst
den geringsten Schein, als ob man die Wiedereinführung der Unterthänigkeit
des Bauernstandes beabsichtigte, ihr nicht vorhalten. In einem solchen Fall
würde sie selbst vor der offnen Empörung nicht zurückschrecken. Weil dies die
Negierung weiß, wird auch dies von mächtigen Persönlichkeiten unterstützte
Project, das Gemcindeleben auf den altöstreichischen Fuß zurückzusetzen, niemals
verwirklicht werden. Aber dann sollen auch die entgegenstehenden Wünsche
ihre Verwirklichung nicht finden. Das Ministerium kann Thatsachen nicht
ungeschehen machen, nicht verhindern, daß in die jüdischen Ghetti christliche
Proletarier ziehen, israelitische Chefs der größten Jndustricanstalten und Banken
ihr Geld auch in besserm Licht und gesunderer Lust für ihre Wohnungen
anlegen. Das Ministerium muß zunächst für die Erweiterung der Steuerlast
sorgen, es kann nicht zugeben, daß der ländliche Credit durch die Einschränkung
der Besitzfähigkeit leide. Es wünscht daher, daß die im Wege des Gesetzes
eigentlich schon abgeschaffte Consignirung der Israeliten auf bestimmte Pro¬
vinzen, Städte und Stadtquartiere, auf die Erwerbung von beweglichem
Eigenthum auch thatsächlich beseitigt würde und kann von seinem Standpunkt
aus kein Gemeindegesetz vorschlagen, welches das Maß der bürgerlichen Rechte
nach Confessionen gliederte. Aber alle Vorschläge scheitern an dem Widerstand
einer mächtigen Partei, welche, bekannte Vorurtheile mit Geschicklichkeit be¬
nutzend, weil sie für ihre Standesgenossen die gewünschte Ausnahmestellung
nicht erreichen kann, wenigstens für die Juden eine solche mit Hartnäckigkeit
festhält. Das macht eben die Judenfrage in Oestreich zum Gegenstand so
ausgedehnter Debatte, erhöht das Interesse an derselben und erhitzt die Gemüther,
weil alle Welt weiß, daß die Juden nur den Vorwand abgeben, um jede de¬
finitive Regelung der Gemeindeangelegenheiten zu verhindern. Mit den Landcs¬
statuten ist es in gleicher Weise bestellt. Man kann nicht einfach die alten
Stände rehabilitiren, die Industrie, den Handel jetzt, wo Fürsten und Grafen
zu Dutzenden mit Actien speculiren, von der Vertretung nicht ausschließen,
ehe man sich aber zu diesem Zugeständiß herabläßt, läßt man lieber alle
Landesstatuten als Papier in den Ministerialbureaux vermodern. Nicht erst seit
heute und gestern beklagen die Vaterlandsfreunde diese Schwäche und voll¬
kommene Rathlosigkeit der Negierung. In die Form frommer Wünsche
gekleidet hat die berechtigte Forderung eines entschiedenen und vernünftigen
Auftretens des Ministeriums, der endlichen Befriedigung schwerwiegender Inder-


abzubringen, daß dann auch die eben erst mit schwerem Geld abgelösten
Frohnden zurückgerufen würden. Und das weiß die Regierung. Der Masse
der ländlichen Bevölkerung kann man alles bieten, sie hat keinen Sinn für
politische Freiheit und Versassungsleben, sie beugt sich der Priester- und Be¬
amtenherrschaft, duldet die höchsten Steuern, bleibt stets treu und unterwürfig,
nur an die errungene Freiheit des Besitzes darf man ihr nicht greifen, selbst
den geringsten Schein, als ob man die Wiedereinführung der Unterthänigkeit
des Bauernstandes beabsichtigte, ihr nicht vorhalten. In einem solchen Fall
würde sie selbst vor der offnen Empörung nicht zurückschrecken. Weil dies die
Negierung weiß, wird auch dies von mächtigen Persönlichkeiten unterstützte
Project, das Gemcindeleben auf den altöstreichischen Fuß zurückzusetzen, niemals
verwirklicht werden. Aber dann sollen auch die entgegenstehenden Wünsche
ihre Verwirklichung nicht finden. Das Ministerium kann Thatsachen nicht
ungeschehen machen, nicht verhindern, daß in die jüdischen Ghetti christliche
Proletarier ziehen, israelitische Chefs der größten Jndustricanstalten und Banken
ihr Geld auch in besserm Licht und gesunderer Lust für ihre Wohnungen
anlegen. Das Ministerium muß zunächst für die Erweiterung der Steuerlast
sorgen, es kann nicht zugeben, daß der ländliche Credit durch die Einschränkung
der Besitzfähigkeit leide. Es wünscht daher, daß die im Wege des Gesetzes
eigentlich schon abgeschaffte Consignirung der Israeliten auf bestimmte Pro¬
vinzen, Städte und Stadtquartiere, auf die Erwerbung von beweglichem
Eigenthum auch thatsächlich beseitigt würde und kann von seinem Standpunkt
aus kein Gemeindegesetz vorschlagen, welches das Maß der bürgerlichen Rechte
nach Confessionen gliederte. Aber alle Vorschläge scheitern an dem Widerstand
einer mächtigen Partei, welche, bekannte Vorurtheile mit Geschicklichkeit be¬
nutzend, weil sie für ihre Standesgenossen die gewünschte Ausnahmestellung
nicht erreichen kann, wenigstens für die Juden eine solche mit Hartnäckigkeit
festhält. Das macht eben die Judenfrage in Oestreich zum Gegenstand so
ausgedehnter Debatte, erhöht das Interesse an derselben und erhitzt die Gemüther,
weil alle Welt weiß, daß die Juden nur den Vorwand abgeben, um jede de¬
finitive Regelung der Gemeindeangelegenheiten zu verhindern. Mit den Landcs¬
statuten ist es in gleicher Weise bestellt. Man kann nicht einfach die alten
Stände rehabilitiren, die Industrie, den Handel jetzt, wo Fürsten und Grafen
zu Dutzenden mit Actien speculiren, von der Vertretung nicht ausschließen,
ehe man sich aber zu diesem Zugeständiß herabläßt, läßt man lieber alle
Landesstatuten als Papier in den Ministerialbureaux vermodern. Nicht erst seit
heute und gestern beklagen die Vaterlandsfreunde diese Schwäche und voll¬
kommene Rathlosigkeit der Negierung. In die Form frommer Wünsche
gekleidet hat die berechtigte Forderung eines entschiedenen und vernünftigen
Auftretens des Ministeriums, der endlichen Befriedigung schwerwiegender Inder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/497>, abgerufen am 24.07.2024.