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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die Aufhebung der Untertänigkeit verbitterten Aristokratie und den im Sturm¬
jahr zurückgesetzten hohen Beamten der alten Zeit nicht gedient. Die Aner¬
kennung, daß die von Bach begonnene neue Organisation seine rechte Lebens¬
fähigkeit besitze, deuteten sie als volle Berechtigung ihrer Ansprüche, an die
Stelle des Stillstandes in der definitiven Regelung der innern Verhältnisse
möchten sie den Rückgang zum alten System setzen oder, weil das im Augen¬
blick noch nicht möglich ist, den Stillstand, das Provisorium verewigen.
Diese Tendenzen haben auch ihr officielles Organ gefunden. Der Reichsrath,
so weit wenigstens die Kunde seiner Wirksamkeit reicht, ist der dem Ministerium
angehängte Hemmschuh, bestimmt, alle Thätigkeit des letztern zu Paralysiren,
alle definitiven Maßregeln zu verzögern.

Wer die Grundsätze der innern Politik Oestreichs seit den letzten sechs
Jahren verfolgen wollte, würde eine harte Mühe mit ihrer Auffindung haben.
Hat die Regierung das klare Bewußtsein, daß die Ausbreitung deutscher Cul¬
tur das einzige Mittel ist, das Einhcitsgefühl zu stärken und an die Stelle
blinder Nationalitütsliebhabcreien einen gesunden politischen Patriotismus zu
setzen? Jeder freie Act des Cultusministeriums ist Bürge dafür. Wie erklärt
man aber dann die auffallende Begünstigung der ultramontanen Partei, die
vom Haß gegen die ihren Bestrebungen allerdings feindselige deutsche Bildung
lebt und ihre Hoffnungen auf die dauernde Isolirung der kleinen culturarmcn
Nationalitäten stützt? Oder ist die Schonung der letzteren, ihre Erhaltung und
Pflege in den Absichten der Negierung gelegen? Man möchte es glauben, da
in den historischen Lehrbüchern auch die bloße Erwähnung des Bundesverhält¬
nisses Oestreichs mit Deutschland vermieden wird. Wie reimen sich aber
damit so kleinliche Maßregeln, wie die der Errichtung eines czcchischcn Thea¬
ters in den Weg gelegten Schwierigkeiten oder die Veränderung des Pro¬
gramms der ungarischen Akademie: "Pflege der Wissenschaften in magyarischer
Sprache" in Pflege der Wissenschaften und der magyarischen Sprache?" Kein
Mensch vermag zu sagen, welche Handelspolitik die Regierung befolgt, da die
entgegengesetztesten Bestrebungen das gleiche Wohlwollen, dieselbe Aufmun¬
terung genießen; niemand hat noch ihre eigentlichen Administrationsgrundsätze
ergründet. Der Beamtenstand ist lange nicht vollzählig genug, um ein bu-
reaukratischcs Regiment durchzuführen und doch ist Communen und Indivi¬
duen alle freie Selbstbestimmung genommen. Und ebenso hat noch niemand
das Wort der Lösung sür unsere räthselhafte äußere Politik gefunden. Sie
setzt sich seit Jahren aus einer Reihe verspäteter Kraftanstrengungen, zaghafter
und erfolgloser Proteste und übel angebrachter Zugeständnisse zusammen.
Wir haben im Interesse der Türkei eine schöne Armee durch Krankheiten de-
cimiren lassen und auf unsern Schuldenberg noch eine neue Last gethürmt,
um die Schwächung und tiefste Erniedrigung der Türkei durch ihren franzv-


die Aufhebung der Untertänigkeit verbitterten Aristokratie und den im Sturm¬
jahr zurückgesetzten hohen Beamten der alten Zeit nicht gedient. Die Aner¬
kennung, daß die von Bach begonnene neue Organisation seine rechte Lebens¬
fähigkeit besitze, deuteten sie als volle Berechtigung ihrer Ansprüche, an die
Stelle des Stillstandes in der definitiven Regelung der innern Verhältnisse
möchten sie den Rückgang zum alten System setzen oder, weil das im Augen¬
blick noch nicht möglich ist, den Stillstand, das Provisorium verewigen.
Diese Tendenzen haben auch ihr officielles Organ gefunden. Der Reichsrath,
so weit wenigstens die Kunde seiner Wirksamkeit reicht, ist der dem Ministerium
angehängte Hemmschuh, bestimmt, alle Thätigkeit des letztern zu Paralysiren,
alle definitiven Maßregeln zu verzögern.

Wer die Grundsätze der innern Politik Oestreichs seit den letzten sechs
Jahren verfolgen wollte, würde eine harte Mühe mit ihrer Auffindung haben.
Hat die Regierung das klare Bewußtsein, daß die Ausbreitung deutscher Cul¬
tur das einzige Mittel ist, das Einhcitsgefühl zu stärken und an die Stelle
blinder Nationalitütsliebhabcreien einen gesunden politischen Patriotismus zu
setzen? Jeder freie Act des Cultusministeriums ist Bürge dafür. Wie erklärt
man aber dann die auffallende Begünstigung der ultramontanen Partei, die
vom Haß gegen die ihren Bestrebungen allerdings feindselige deutsche Bildung
lebt und ihre Hoffnungen auf die dauernde Isolirung der kleinen culturarmcn
Nationalitäten stützt? Oder ist die Schonung der letzteren, ihre Erhaltung und
Pflege in den Absichten der Negierung gelegen? Man möchte es glauben, da
in den historischen Lehrbüchern auch die bloße Erwähnung des Bundesverhält¬
nisses Oestreichs mit Deutschland vermieden wird. Wie reimen sich aber
damit so kleinliche Maßregeln, wie die der Errichtung eines czcchischcn Thea¬
ters in den Weg gelegten Schwierigkeiten oder die Veränderung des Pro¬
gramms der ungarischen Akademie: „Pflege der Wissenschaften in magyarischer
Sprache" in Pflege der Wissenschaften und der magyarischen Sprache?" Kein
Mensch vermag zu sagen, welche Handelspolitik die Regierung befolgt, da die
entgegengesetztesten Bestrebungen das gleiche Wohlwollen, dieselbe Aufmun¬
terung genießen; niemand hat noch ihre eigentlichen Administrationsgrundsätze
ergründet. Der Beamtenstand ist lange nicht vollzählig genug, um ein bu-
reaukratischcs Regiment durchzuführen und doch ist Communen und Indivi¬
duen alle freie Selbstbestimmung genommen. Und ebenso hat noch niemand
das Wort der Lösung sür unsere räthselhafte äußere Politik gefunden. Sie
setzt sich seit Jahren aus einer Reihe verspäteter Kraftanstrengungen, zaghafter
und erfolgloser Proteste und übel angebrachter Zugeständnisse zusammen.
Wir haben im Interesse der Türkei eine schöne Armee durch Krankheiten de-
cimiren lassen und auf unsern Schuldenberg noch eine neue Last gethürmt,
um die Schwächung und tiefste Erniedrigung der Türkei durch ihren franzv-


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[0495] die Aufhebung der Untertänigkeit verbitterten Aristokratie und den im Sturm¬ jahr zurückgesetzten hohen Beamten der alten Zeit nicht gedient. Die Aner¬ kennung, daß die von Bach begonnene neue Organisation seine rechte Lebens¬ fähigkeit besitze, deuteten sie als volle Berechtigung ihrer Ansprüche, an die Stelle des Stillstandes in der definitiven Regelung der innern Verhältnisse möchten sie den Rückgang zum alten System setzen oder, weil das im Augen¬ blick noch nicht möglich ist, den Stillstand, das Provisorium verewigen. Diese Tendenzen haben auch ihr officielles Organ gefunden. Der Reichsrath, so weit wenigstens die Kunde seiner Wirksamkeit reicht, ist der dem Ministerium angehängte Hemmschuh, bestimmt, alle Thätigkeit des letztern zu Paralysiren, alle definitiven Maßregeln zu verzögern. Wer die Grundsätze der innern Politik Oestreichs seit den letzten sechs Jahren verfolgen wollte, würde eine harte Mühe mit ihrer Auffindung haben. Hat die Regierung das klare Bewußtsein, daß die Ausbreitung deutscher Cul¬ tur das einzige Mittel ist, das Einhcitsgefühl zu stärken und an die Stelle blinder Nationalitütsliebhabcreien einen gesunden politischen Patriotismus zu setzen? Jeder freie Act des Cultusministeriums ist Bürge dafür. Wie erklärt man aber dann die auffallende Begünstigung der ultramontanen Partei, die vom Haß gegen die ihren Bestrebungen allerdings feindselige deutsche Bildung lebt und ihre Hoffnungen auf die dauernde Isolirung der kleinen culturarmcn Nationalitäten stützt? Oder ist die Schonung der letzteren, ihre Erhaltung und Pflege in den Absichten der Negierung gelegen? Man möchte es glauben, da in den historischen Lehrbüchern auch die bloße Erwähnung des Bundesverhält¬ nisses Oestreichs mit Deutschland vermieden wird. Wie reimen sich aber damit so kleinliche Maßregeln, wie die der Errichtung eines czcchischcn Thea¬ ters in den Weg gelegten Schwierigkeiten oder die Veränderung des Pro¬ gramms der ungarischen Akademie: „Pflege der Wissenschaften in magyarischer Sprache" in Pflege der Wissenschaften und der magyarischen Sprache?" Kein Mensch vermag zu sagen, welche Handelspolitik die Regierung befolgt, da die entgegengesetztesten Bestrebungen das gleiche Wohlwollen, dieselbe Aufmun¬ terung genießen; niemand hat noch ihre eigentlichen Administrationsgrundsätze ergründet. Der Beamtenstand ist lange nicht vollzählig genug, um ein bu- reaukratischcs Regiment durchzuführen und doch ist Communen und Indivi¬ duen alle freie Selbstbestimmung genommen. Und ebenso hat noch niemand das Wort der Lösung sür unsere räthselhafte äußere Politik gefunden. Sie setzt sich seit Jahren aus einer Reihe verspäteter Kraftanstrengungen, zaghafter und erfolgloser Proteste und übel angebrachter Zugeständnisse zusammen. Wir haben im Interesse der Türkei eine schöne Armee durch Krankheiten de- cimiren lassen und auf unsern Schuldenberg noch eine neue Last gethürmt, um die Schwächung und tiefste Erniedrigung der Türkei durch ihren franzv-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/495>, abgerufen am 24.07.2024.