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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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vollständiger Sieg Oestreichs geringere finanzielle Opfer kosten, und end¬
lich, so lautet das gewöhnliche Raisonnement, verdienen die Lombarden eine
empfindliche Züchtigung. Es mag den Fernstehenden komisch erscheinen, von
den Italienern selbst als frecher Hohn angesehen werden, es steht dennoch fest,
daß die Lombarden in dem übrigen Oestreich'vielfach Neid erregen und bitterer
Aerger über die verhältnißmäßig schonende Behandlung derselben sich in den
weitesten Kreisen kundgibt. Die italienischen Provinzen allein haben den her¬
ben Geschmack entwerteter Banknoten und hohen Silberagios nicht verkostet,
bei ihnen hörte der Goldregen nicht auf, während alle übrigen östreichischen
Länder unter jahrelanger Metalldürre schmachteten. Nur bei den Lombarden
war die freiwillige Anleihe thatsächlich, was ihr Name verhieß, nur hier
machten sich die Folgen derselben, die sonst überall bis zu dieser Stunde nach¬
klingen und die Geldnoth andauern lassen, nicht geltend. Die italienischen
Provinzen durften viele Jahre lang dnrch ein kolossales Schmuggelsystem die
östreichischen Schuhzölle in Freihandel verwandeln und ungestraft der östrei¬
chischen Industrie Wunden schlagen. Sie erhielten eine Provinzialverwaltung,
die Mit Eiser die besondern Interessen ihrer Untergebenen wahrnahm, ja wie
noch jüngst einzelne Ereignisse offenbarten, für diese selbst den Kampf mit
der Centralregierung nicht scheute. Allmächtig im übrigen Oestreich stieß das
wiener Ministerium in den italienischen Ländern allein auf feste Schranken
und wich z. B. bei dem Nckrutirungsgesetz, bei der Einführung der neuen
Währung hier dem Widerstand der öffentlichen Meinung. Das sind bekannte
Thatsachen, die oft genug das Murren der Altöstreicher hervorriefen und das
Sprichwort veranlaßten: Der Malcontcnte in Oestreich verstehe seinen Vortheil
schlecht, wenn er nicht zur offenen Empörung schreite. Jenem verzeihe die
Regierung nimmermehr, den Revolutionär begnadige sie nicht allein, sondern
überhäufe ihn auch noch mit Wohlwollen. Die Kosten dieses Wohlwollens
sind schon erklecklich, sollen nun auch jene der lombardischen Undankbarkeit ge¬
tragen werden? Das mundet den Bewohnern der übrigen Provinzen schlecht
und aus diesem Grunde wünschen sie den Lombarden alles Ueble auf den
Hals. Die feindselige Stimmung gegen Italien unter allen Classen der öst¬
reichischen Bevölkerung ist eine sichere Thatsache, ebenso gewiß, daß nur
Siegeswünsche das kaiserliche Heer im Kampf sei es gegen die Piemontesen, sei
es gegen die Franzosen begleiten werden. Auf der andern Seite verhehlt sich
aber auch niemand das Gefährliche der Lage. Der Krieg in Italien hat
keinen Ausgang. Der Sieg der östreichischen Waffen würde nur in dem Fall
politische Früchte bringen, wenn die sardinische Verfassung aufgehoben und
Sardinien wie Mittelitalien überhaupt dauernd besetzt werden könnten. Die
öffentliche Tribune in Turin, die sclbststündige Existenz der italienischen Klein¬
staaten sind mit der Ruhe in der Lombardei unverträglich. Kein Zweifel


61*

vollständiger Sieg Oestreichs geringere finanzielle Opfer kosten, und end¬
lich, so lautet das gewöhnliche Raisonnement, verdienen die Lombarden eine
empfindliche Züchtigung. Es mag den Fernstehenden komisch erscheinen, von
den Italienern selbst als frecher Hohn angesehen werden, es steht dennoch fest,
daß die Lombarden in dem übrigen Oestreich'vielfach Neid erregen und bitterer
Aerger über die verhältnißmäßig schonende Behandlung derselben sich in den
weitesten Kreisen kundgibt. Die italienischen Provinzen allein haben den her¬
ben Geschmack entwerteter Banknoten und hohen Silberagios nicht verkostet,
bei ihnen hörte der Goldregen nicht auf, während alle übrigen östreichischen
Länder unter jahrelanger Metalldürre schmachteten. Nur bei den Lombarden
war die freiwillige Anleihe thatsächlich, was ihr Name verhieß, nur hier
machten sich die Folgen derselben, die sonst überall bis zu dieser Stunde nach¬
klingen und die Geldnoth andauern lassen, nicht geltend. Die italienischen
Provinzen durften viele Jahre lang dnrch ein kolossales Schmuggelsystem die
östreichischen Schuhzölle in Freihandel verwandeln und ungestraft der östrei¬
chischen Industrie Wunden schlagen. Sie erhielten eine Provinzialverwaltung,
die Mit Eiser die besondern Interessen ihrer Untergebenen wahrnahm, ja wie
noch jüngst einzelne Ereignisse offenbarten, für diese selbst den Kampf mit
der Centralregierung nicht scheute. Allmächtig im übrigen Oestreich stieß das
wiener Ministerium in den italienischen Ländern allein auf feste Schranken
und wich z. B. bei dem Nckrutirungsgesetz, bei der Einführung der neuen
Währung hier dem Widerstand der öffentlichen Meinung. Das sind bekannte
Thatsachen, die oft genug das Murren der Altöstreicher hervorriefen und das
Sprichwort veranlaßten: Der Malcontcnte in Oestreich verstehe seinen Vortheil
schlecht, wenn er nicht zur offenen Empörung schreite. Jenem verzeihe die
Regierung nimmermehr, den Revolutionär begnadige sie nicht allein, sondern
überhäufe ihn auch noch mit Wohlwollen. Die Kosten dieses Wohlwollens
sind schon erklecklich, sollen nun auch jene der lombardischen Undankbarkeit ge¬
tragen werden? Das mundet den Bewohnern der übrigen Provinzen schlecht
und aus diesem Grunde wünschen sie den Lombarden alles Ueble auf den
Hals. Die feindselige Stimmung gegen Italien unter allen Classen der öst¬
reichischen Bevölkerung ist eine sichere Thatsache, ebenso gewiß, daß nur
Siegeswünsche das kaiserliche Heer im Kampf sei es gegen die Piemontesen, sei
es gegen die Franzosen begleiten werden. Auf der andern Seite verhehlt sich
aber auch niemand das Gefährliche der Lage. Der Krieg in Italien hat
keinen Ausgang. Der Sieg der östreichischen Waffen würde nur in dem Fall
politische Früchte bringen, wenn die sardinische Verfassung aufgehoben und
Sardinien wie Mittelitalien überhaupt dauernd besetzt werden könnten. Die
öffentliche Tribune in Turin, die sclbststündige Existenz der italienischen Klein¬
staaten sind mit der Ruhe in der Lombardei unverträglich. Kein Zweifel


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[0493] vollständiger Sieg Oestreichs geringere finanzielle Opfer kosten, und end¬ lich, so lautet das gewöhnliche Raisonnement, verdienen die Lombarden eine empfindliche Züchtigung. Es mag den Fernstehenden komisch erscheinen, von den Italienern selbst als frecher Hohn angesehen werden, es steht dennoch fest, daß die Lombarden in dem übrigen Oestreich'vielfach Neid erregen und bitterer Aerger über die verhältnißmäßig schonende Behandlung derselben sich in den weitesten Kreisen kundgibt. Die italienischen Provinzen allein haben den her¬ ben Geschmack entwerteter Banknoten und hohen Silberagios nicht verkostet, bei ihnen hörte der Goldregen nicht auf, während alle übrigen östreichischen Länder unter jahrelanger Metalldürre schmachteten. Nur bei den Lombarden war die freiwillige Anleihe thatsächlich, was ihr Name verhieß, nur hier machten sich die Folgen derselben, die sonst überall bis zu dieser Stunde nach¬ klingen und die Geldnoth andauern lassen, nicht geltend. Die italienischen Provinzen durften viele Jahre lang dnrch ein kolossales Schmuggelsystem die östreichischen Schuhzölle in Freihandel verwandeln und ungestraft der östrei¬ chischen Industrie Wunden schlagen. Sie erhielten eine Provinzialverwaltung, die Mit Eiser die besondern Interessen ihrer Untergebenen wahrnahm, ja wie noch jüngst einzelne Ereignisse offenbarten, für diese selbst den Kampf mit der Centralregierung nicht scheute. Allmächtig im übrigen Oestreich stieß das wiener Ministerium in den italienischen Ländern allein auf feste Schranken und wich z. B. bei dem Nckrutirungsgesetz, bei der Einführung der neuen Währung hier dem Widerstand der öffentlichen Meinung. Das sind bekannte Thatsachen, die oft genug das Murren der Altöstreicher hervorriefen und das Sprichwort veranlaßten: Der Malcontcnte in Oestreich verstehe seinen Vortheil schlecht, wenn er nicht zur offenen Empörung schreite. Jenem verzeihe die Regierung nimmermehr, den Revolutionär begnadige sie nicht allein, sondern überhäufe ihn auch noch mit Wohlwollen. Die Kosten dieses Wohlwollens sind schon erklecklich, sollen nun auch jene der lombardischen Undankbarkeit ge¬ tragen werden? Das mundet den Bewohnern der übrigen Provinzen schlecht und aus diesem Grunde wünschen sie den Lombarden alles Ueble auf den Hals. Die feindselige Stimmung gegen Italien unter allen Classen der öst¬ reichischen Bevölkerung ist eine sichere Thatsache, ebenso gewiß, daß nur Siegeswünsche das kaiserliche Heer im Kampf sei es gegen die Piemontesen, sei es gegen die Franzosen begleiten werden. Auf der andern Seite verhehlt sich aber auch niemand das Gefährliche der Lage. Der Krieg in Italien hat keinen Ausgang. Der Sieg der östreichischen Waffen würde nur in dem Fall politische Früchte bringen, wenn die sardinische Verfassung aufgehoben und Sardinien wie Mittelitalien überhaupt dauernd besetzt werden könnten. Die öffentliche Tribune in Turin, die sclbststündige Existenz der italienischen Klein¬ staaten sind mit der Ruhe in der Lombardei unverträglich. Kein Zweifel 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/493>, abgerufen am 24.07.2024.