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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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in Serbien haben an sich keine weittragende Bedeutung. Die Selbstsucht und
die Korruption der Bojaren werden dafür Sorge tragen, daß dort die Ver¬
hältnisse beim Alten bleiben und kein äußerer Anziehungspunkt für die rumä¬
nische Bevölkerung Oestreichs begründet werde. Und was Serbien anbelangt,
so haben die Ereignisse der letzten Jahre, die Haltung des Fürstenthumes
während des orientalischen Krieges die Erbärmlichkeit der serbischen Zustände
sattsam bewiesen und die Furcht vor diesem zukunftreichen Kern des süd¬
slawischen Staatensystems vollständig beseitigt. Ob die Familie Obrenowitsch
oder die Familie Georgewitsch auf' dem Fürstenstuhl sitzt, immer wird sich
Patchouli mit Schweinefett mischen. Die Geruchsnerven der Nachbarn mögen
darunter leiden, aber ihre politische Gesundheit wird dadurch nicht gefährdet.
Nur insofern den französischen und russischen Intriguen die Thür geöffnet
wird, haben diese Wirren eine bedenkliche Seite. Diese Thür war aber nie¬
mals verschlossen. Die Stourdzas und Ghikas u. s. w. leben schon längst
in der Schallwelle der Tuilerien, und Fontons schöne Worte und schönere Du-
caten haben auch während der Herrschaft Alexanders den Weg nach Serbien
gefunden. Größer und unmittelbar ist die Gefahr, welche die schwer ver-
meidliche italienische Revolution heraufbeschwört. Es ist möglich, daß Ita¬
liens übermüthiger Ruf vom Jahre 1858: Italie tara, na, se auch diesmal,
aber freilich nur das nothgedrungene Programm bilden und wenigstens vor¬
läufig eine fremde Intervention nicht stattfinden wird. Noch wahrscheinlicher
ist in diesem Fall der Sieg Oestreichs. Seine Armee ist besser geschult und
zahlreicher als vor zehn Jahren und überdies auf die Ereignisse vollkommen
vorbereitet. Der fluchtähnliche Rückzug aus Mailand, die schmachvolle Kapi¬
tulation von Venedig würden in einem neuen Feldzug gewiß nicht ihre Wie¬
derholung finden. Auch die in der Zwischenzeit wesentlich verbesserten Commu-
nicationen, die engere Verbindung der Lombardei mit den innern Provinzen,
vor allem aber der entschiedene Wechsel in der Stimmung der übrigen öst¬
reichischen Bevölkerung läßt die Wagschale zu Gunsten Oestreichs sich neigen.
Die peinliche Scene im wiener Reichstag, als der unglückliche Graf Latour
den Siegeszug Nadetzkys verkündigte und das Dankesvotum der Volksvertreter
für die heimische Armee als Arttwort erwartete, dafür aber schnöde Verdäch¬
tigungen und bezeichnendes Stillschweigen empfing, ist noch nicht vergessen.
Die Furcht, die damals als Gespenst hcrumwandclnde Hofpartei werde den
Triumph, Nadetzkys in^ ihren Interessen ausbeuten, ließ die Siegesfreude selbst
bei jenen nicht aufkommen, die sonst patriotischen Gefühlen keineswegs un¬
zugänglich waren.. Das steht gegenwärtig nicht zu besorgen, einen nachtheiligen
Rückschlag aus das Verfassungswerk kann der günstige Ausgang eines italie¬
nischen Krieges nicht ausüben, weil jenes, wie die politischen Hoffnungen
überhaupt, für lange Zeit begraben liegt. Dagegen wird ein rascher und


in Serbien haben an sich keine weittragende Bedeutung. Die Selbstsucht und
die Korruption der Bojaren werden dafür Sorge tragen, daß dort die Ver¬
hältnisse beim Alten bleiben und kein äußerer Anziehungspunkt für die rumä¬
nische Bevölkerung Oestreichs begründet werde. Und was Serbien anbelangt,
so haben die Ereignisse der letzten Jahre, die Haltung des Fürstenthumes
während des orientalischen Krieges die Erbärmlichkeit der serbischen Zustände
sattsam bewiesen und die Furcht vor diesem zukunftreichen Kern des süd¬
slawischen Staatensystems vollständig beseitigt. Ob die Familie Obrenowitsch
oder die Familie Georgewitsch auf' dem Fürstenstuhl sitzt, immer wird sich
Patchouli mit Schweinefett mischen. Die Geruchsnerven der Nachbarn mögen
darunter leiden, aber ihre politische Gesundheit wird dadurch nicht gefährdet.
Nur insofern den französischen und russischen Intriguen die Thür geöffnet
wird, haben diese Wirren eine bedenkliche Seite. Diese Thür war aber nie¬
mals verschlossen. Die Stourdzas und Ghikas u. s. w. leben schon längst
in der Schallwelle der Tuilerien, und Fontons schöne Worte und schönere Du-
caten haben auch während der Herrschaft Alexanders den Weg nach Serbien
gefunden. Größer und unmittelbar ist die Gefahr, welche die schwer ver-
meidliche italienische Revolution heraufbeschwört. Es ist möglich, daß Ita¬
liens übermüthiger Ruf vom Jahre 1858: Italie tara, na, se auch diesmal,
aber freilich nur das nothgedrungene Programm bilden und wenigstens vor¬
läufig eine fremde Intervention nicht stattfinden wird. Noch wahrscheinlicher
ist in diesem Fall der Sieg Oestreichs. Seine Armee ist besser geschult und
zahlreicher als vor zehn Jahren und überdies auf die Ereignisse vollkommen
vorbereitet. Der fluchtähnliche Rückzug aus Mailand, die schmachvolle Kapi¬
tulation von Venedig würden in einem neuen Feldzug gewiß nicht ihre Wie¬
derholung finden. Auch die in der Zwischenzeit wesentlich verbesserten Commu-
nicationen, die engere Verbindung der Lombardei mit den innern Provinzen,
vor allem aber der entschiedene Wechsel in der Stimmung der übrigen öst¬
reichischen Bevölkerung läßt die Wagschale zu Gunsten Oestreichs sich neigen.
Die peinliche Scene im wiener Reichstag, als der unglückliche Graf Latour
den Siegeszug Nadetzkys verkündigte und das Dankesvotum der Volksvertreter
für die heimische Armee als Arttwort erwartete, dafür aber schnöde Verdäch¬
tigungen und bezeichnendes Stillschweigen empfing, ist noch nicht vergessen.
Die Furcht, die damals als Gespenst hcrumwandclnde Hofpartei werde den
Triumph, Nadetzkys in^ ihren Interessen ausbeuten, ließ die Siegesfreude selbst
bei jenen nicht aufkommen, die sonst patriotischen Gefühlen keineswegs un¬
zugänglich waren.. Das steht gegenwärtig nicht zu besorgen, einen nachtheiligen
Rückschlag aus das Verfassungswerk kann der günstige Ausgang eines italie¬
nischen Krieges nicht ausüben, weil jenes, wie die politischen Hoffnungen
überhaupt, für lange Zeit begraben liegt. Dagegen wird ein rascher und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/492>, abgerufen am 24.07.2024.