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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Neuöstreich.

Mit leicht verzeihlicher Ueberschwenglichkeit priesen noch vor wenigen
Monate".', als der Ablauf des ersten Jahrzehntes seit der Revolution Anstoß
gab zu erbaulichen politischen Betrachtungen, auch nicht officielle Stimmen
die gewaltigen Fortschritte und den nimmer schwindenden Glücksstern Oest¬
reichs. Es hatte nicht allein allen Gefahren siegreich Trotz geboten, sondern
die Stürme auch benutzt, um sich zu verjüngen und die in ihm schlummernden
Kräfte zu stärken. Die Neugestaltung Oestreichs, so lautete die landesübliche
Gratulation, war im Jahr 1858 in ihren Grundzügen vollendet, eine feste
Entwicklung angebahnt, eine glorreiche Zukunft gesichert. Auch nach Abzug
alles Phrasenpompcs war vieles geeignet, die östreichischen Zustände im gün¬
stigsten Lichte erscheinen zu lassen. Die politischen Leidenschaften konnte man
für abgestorben erachten, in den Maßregeln der Regierung begann ein mil¬
derer Geist zu athmen, die Reihe der Begnadigungen war nahezu erschöpft,
Handel und Wandel machten sichtliche Fortschritte und auch der wundeste Fleck
des östreichischen Staatswesens, die Finanzen, ließen eine nahe Heilung er¬
warten. Seitdem sind nur einige Wochen vergangen, und wie hat sich alles
zum Schlimmen gewendet. An Oestreichs südöstlichen Grenzen häufen sich
die Verwicklungen, an einem andern Punkt muß es die Waffen bereit hal¬
ten, um wildem Aufruhr zu begegnen, im Innern regen sich wieder natio¬
nale Gelüste, die äußern Verhältnisse gestalten sich von Tag zu Tag immer
mißlicher, die beiden Mächte, welche die Politik Oestreichs mit weiser Berech¬
nung stets einander entgegenzusetzen bemüht war, deren Feindschaft nach
der geographischen Lage und nationalen Gliederung Oestreichs diesem die
größten Gefahren bereiten kann, haben sich verbunden zu keinem andern
Zweck, als um Oestreich zu bedrohen und zu schwächen. Selbst die Organe
der Negierung bekennen, daß der Kaiserstaat seine ganze Kraft und sein gan¬
zes Glück aufbieten muß, um die gegenwärtigen Bedrängnisse zu überwinden.
Die Verfassungswirren in den Donaulündern zwar und die Brauhausrevolution


Grenzboten 1. ILüg, 61
Neuöstreich.

Mit leicht verzeihlicher Ueberschwenglichkeit priesen noch vor wenigen
Monate».', als der Ablauf des ersten Jahrzehntes seit der Revolution Anstoß
gab zu erbaulichen politischen Betrachtungen, auch nicht officielle Stimmen
die gewaltigen Fortschritte und den nimmer schwindenden Glücksstern Oest¬
reichs. Es hatte nicht allein allen Gefahren siegreich Trotz geboten, sondern
die Stürme auch benutzt, um sich zu verjüngen und die in ihm schlummernden
Kräfte zu stärken. Die Neugestaltung Oestreichs, so lautete die landesübliche
Gratulation, war im Jahr 1858 in ihren Grundzügen vollendet, eine feste
Entwicklung angebahnt, eine glorreiche Zukunft gesichert. Auch nach Abzug
alles Phrasenpompcs war vieles geeignet, die östreichischen Zustände im gün¬
stigsten Lichte erscheinen zu lassen. Die politischen Leidenschaften konnte man
für abgestorben erachten, in den Maßregeln der Regierung begann ein mil¬
derer Geist zu athmen, die Reihe der Begnadigungen war nahezu erschöpft,
Handel und Wandel machten sichtliche Fortschritte und auch der wundeste Fleck
des östreichischen Staatswesens, die Finanzen, ließen eine nahe Heilung er¬
warten. Seitdem sind nur einige Wochen vergangen, und wie hat sich alles
zum Schlimmen gewendet. An Oestreichs südöstlichen Grenzen häufen sich
die Verwicklungen, an einem andern Punkt muß es die Waffen bereit hal¬
ten, um wildem Aufruhr zu begegnen, im Innern regen sich wieder natio¬
nale Gelüste, die äußern Verhältnisse gestalten sich von Tag zu Tag immer
mißlicher, die beiden Mächte, welche die Politik Oestreichs mit weiser Berech¬
nung stets einander entgegenzusetzen bemüht war, deren Feindschaft nach
der geographischen Lage und nationalen Gliederung Oestreichs diesem die
größten Gefahren bereiten kann, haben sich verbunden zu keinem andern
Zweck, als um Oestreich zu bedrohen und zu schwächen. Selbst die Organe
der Negierung bekennen, daß der Kaiserstaat seine ganze Kraft und sein gan¬
zes Glück aufbieten muß, um die gegenwärtigen Bedrängnisse zu überwinden.
Die Verfassungswirren in den Donaulündern zwar und die Brauhausrevolution


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[0491] Neuöstreich. Mit leicht verzeihlicher Ueberschwenglichkeit priesen noch vor wenigen Monate».', als der Ablauf des ersten Jahrzehntes seit der Revolution Anstoß gab zu erbaulichen politischen Betrachtungen, auch nicht officielle Stimmen die gewaltigen Fortschritte und den nimmer schwindenden Glücksstern Oest¬ reichs. Es hatte nicht allein allen Gefahren siegreich Trotz geboten, sondern die Stürme auch benutzt, um sich zu verjüngen und die in ihm schlummernden Kräfte zu stärken. Die Neugestaltung Oestreichs, so lautete die landesübliche Gratulation, war im Jahr 1858 in ihren Grundzügen vollendet, eine feste Entwicklung angebahnt, eine glorreiche Zukunft gesichert. Auch nach Abzug alles Phrasenpompcs war vieles geeignet, die östreichischen Zustände im gün¬ stigsten Lichte erscheinen zu lassen. Die politischen Leidenschaften konnte man für abgestorben erachten, in den Maßregeln der Regierung begann ein mil¬ derer Geist zu athmen, die Reihe der Begnadigungen war nahezu erschöpft, Handel und Wandel machten sichtliche Fortschritte und auch der wundeste Fleck des östreichischen Staatswesens, die Finanzen, ließen eine nahe Heilung er¬ warten. Seitdem sind nur einige Wochen vergangen, und wie hat sich alles zum Schlimmen gewendet. An Oestreichs südöstlichen Grenzen häufen sich die Verwicklungen, an einem andern Punkt muß es die Waffen bereit hal¬ ten, um wildem Aufruhr zu begegnen, im Innern regen sich wieder natio¬ nale Gelüste, die äußern Verhältnisse gestalten sich von Tag zu Tag immer mißlicher, die beiden Mächte, welche die Politik Oestreichs mit weiser Berech¬ nung stets einander entgegenzusetzen bemüht war, deren Feindschaft nach der geographischen Lage und nationalen Gliederung Oestreichs diesem die größten Gefahren bereiten kann, haben sich verbunden zu keinem andern Zweck, als um Oestreich zu bedrohen und zu schwächen. Selbst die Organe der Negierung bekennen, daß der Kaiserstaat seine ganze Kraft und sein gan¬ zes Glück aufbieten muß, um die gegenwärtigen Bedrängnisse zu überwinden. Die Verfassungswirren in den Donaulündern zwar und die Brauhausrevolution Grenzboten 1. ILüg, 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/491>, abgerufen am 24.07.2024.