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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Verschmelzung der antiken und mittelalterlichen Stilprincipien finden. Als
das allgemein Wahre und darum Dauernde und Endgiltige jener beiden Bau¬
gedanken erkannten wir das Darstellungsprincip der antik-hellenischen Kunst
einerseits, das Gewölbprincip der mittelalterlichen Kunst andrerseits. Dem
mittelalterlichen Gewölbebau das hellenische Darstellungsprincip zu vermählen,
das erscheint uns als die Aufgabe der modernen Baukunst. Den historischen
Anknüpfungspunkt aber finden wir in der Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts,
der Frührenaissance.

Die moderne Baukunst ist im Ganzen und Großen in der Nachahmung
der Baustile der Vergangenheit ihrer Totalität nach befangen. In jenen Bau¬
stilen spiegelt sich aber das gesammte innere und äußere Sein der Vergan¬
genheit. Sie erscheinen darum als der Ausdruck des Volksgeistes während
einer bestimmten Zeit, "auf einer bestimmten geschichtlichen Stufe der Welt¬
anschauung." Als das abgeschlossene Eigenthum ihrer Zeit gehören sie aber
nur ihrer Zeit an. In ihren Formen die Verkörperung eines Ideals suchen
zu wollen, das nicht das ihrige ist, ist eine Unmöglichkeit.

Die moderne Zeit trägt schwer an den Traditionen der Vergangenheit.
Die Vergangenheit aber ist der Boden, in dem die Gegenwart wurzelt. Die
Verleugnung ihrer Traditionen würde die moderne Welt in die Nacht des
Barbarismus stürzen. Die Aufgabe der modernen Zeit ist es daher, aus den
Ueberlieferungen der Vergangenheit den lebendigen bleibenden Inhalt zu zie¬
hen. In dem modernen Ideal werden die Ideale der Vergangenheit eine
höhere Einheit und Vollendung gewinnen. Das moderne Ideal erscheint
darum als der Gipfelpunkt der gesammten geistigen Entwickelung, aber nur
weil es die Versöhnung der Gedanken der Vergangenheit sein wird. Die
Aufgabe der modernen Baukunst aber kann es nur sein, die Baugedanken der
Vergangenheit durch Ueberwindung ihrer Gegensätze auf eine höhere Einheit
zurückzuführen. In welcher Weise dies zu geschehen habe und unserer heilig¬
sten Ueberzeugung nach einzig und allein geschehen kann, haben wir eben ent¬
wickelt und begnügen uns als erfreuliche Anfange nach dieser Richtung hin
auf die Schinkelsche Bauschule und mehre Sempersche Bauten wiederholt
hinzuweisen. Mit dem modernen Ideal wird und muß sich die moderne
Baukunst als der Ausdruck jenes Ideals entwickeln. So gewiß wir aber an
den Sieg des modernen Ideals glauben, so sicher und gewiß glauben wir
auch an die siegreiche Entfaltung der modernen Kunst. Der modernen Zeit
die Fähigkeit einer entsprechenden Stilbildung absprechen zu wollen, ist fre¬
velhaft.

An den Architekten aber ist es, die Größe und Bedeutung der Aufgabe,
die ihnen gestellt, zu erkennen. Mögen sie vor allem aufhören Handwerker
ihrer Kunst zu sein, ablassen von dem Schlendrian, dessen Bahn wol eine


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Verschmelzung der antiken und mittelalterlichen Stilprincipien finden. Als
das allgemein Wahre und darum Dauernde und Endgiltige jener beiden Bau¬
gedanken erkannten wir das Darstellungsprincip der antik-hellenischen Kunst
einerseits, das Gewölbprincip der mittelalterlichen Kunst andrerseits. Dem
mittelalterlichen Gewölbebau das hellenische Darstellungsprincip zu vermählen,
das erscheint uns als die Aufgabe der modernen Baukunst. Den historischen
Anknüpfungspunkt aber finden wir in der Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts,
der Frührenaissance.

Die moderne Baukunst ist im Ganzen und Großen in der Nachahmung
der Baustile der Vergangenheit ihrer Totalität nach befangen. In jenen Bau¬
stilen spiegelt sich aber das gesammte innere und äußere Sein der Vergan¬
genheit. Sie erscheinen darum als der Ausdruck des Volksgeistes während
einer bestimmten Zeit, „auf einer bestimmten geschichtlichen Stufe der Welt¬
anschauung." Als das abgeschlossene Eigenthum ihrer Zeit gehören sie aber
nur ihrer Zeit an. In ihren Formen die Verkörperung eines Ideals suchen
zu wollen, das nicht das ihrige ist, ist eine Unmöglichkeit.

Die moderne Zeit trägt schwer an den Traditionen der Vergangenheit.
Die Vergangenheit aber ist der Boden, in dem die Gegenwart wurzelt. Die
Verleugnung ihrer Traditionen würde die moderne Welt in die Nacht des
Barbarismus stürzen. Die Aufgabe der modernen Zeit ist es daher, aus den
Ueberlieferungen der Vergangenheit den lebendigen bleibenden Inhalt zu zie¬
hen. In dem modernen Ideal werden die Ideale der Vergangenheit eine
höhere Einheit und Vollendung gewinnen. Das moderne Ideal erscheint
darum als der Gipfelpunkt der gesammten geistigen Entwickelung, aber nur
weil es die Versöhnung der Gedanken der Vergangenheit sein wird. Die
Aufgabe der modernen Baukunst aber kann es nur sein, die Baugedanken der
Vergangenheit durch Ueberwindung ihrer Gegensätze auf eine höhere Einheit
zurückzuführen. In welcher Weise dies zu geschehen habe und unserer heilig¬
sten Ueberzeugung nach einzig und allein geschehen kann, haben wir eben ent¬
wickelt und begnügen uns als erfreuliche Anfange nach dieser Richtung hin
auf die Schinkelsche Bauschule und mehre Sempersche Bauten wiederholt
hinzuweisen. Mit dem modernen Ideal wird und muß sich die moderne
Baukunst als der Ausdruck jenes Ideals entwickeln. So gewiß wir aber an
den Sieg des modernen Ideals glauben, so sicher und gewiß glauben wir
auch an die siegreiche Entfaltung der modernen Kunst. Der modernen Zeit
die Fähigkeit einer entsprechenden Stilbildung absprechen zu wollen, ist fre¬
velhaft.

An den Architekten aber ist es, die Größe und Bedeutung der Aufgabe,
die ihnen gestellt, zu erkennen. Mögen sie vor allem aufhören Handwerker
ihrer Kunst zu sein, ablassen von dem Schlendrian, dessen Bahn wol eine


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[0485] Verschmelzung der antiken und mittelalterlichen Stilprincipien finden. Als das allgemein Wahre und darum Dauernde und Endgiltige jener beiden Bau¬ gedanken erkannten wir das Darstellungsprincip der antik-hellenischen Kunst einerseits, das Gewölbprincip der mittelalterlichen Kunst andrerseits. Dem mittelalterlichen Gewölbebau das hellenische Darstellungsprincip zu vermählen, das erscheint uns als die Aufgabe der modernen Baukunst. Den historischen Anknüpfungspunkt aber finden wir in der Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts, der Frührenaissance. Die moderne Baukunst ist im Ganzen und Großen in der Nachahmung der Baustile der Vergangenheit ihrer Totalität nach befangen. In jenen Bau¬ stilen spiegelt sich aber das gesammte innere und äußere Sein der Vergan¬ genheit. Sie erscheinen darum als der Ausdruck des Volksgeistes während einer bestimmten Zeit, „auf einer bestimmten geschichtlichen Stufe der Welt¬ anschauung." Als das abgeschlossene Eigenthum ihrer Zeit gehören sie aber nur ihrer Zeit an. In ihren Formen die Verkörperung eines Ideals suchen zu wollen, das nicht das ihrige ist, ist eine Unmöglichkeit. Die moderne Zeit trägt schwer an den Traditionen der Vergangenheit. Die Vergangenheit aber ist der Boden, in dem die Gegenwart wurzelt. Die Verleugnung ihrer Traditionen würde die moderne Welt in die Nacht des Barbarismus stürzen. Die Aufgabe der modernen Zeit ist es daher, aus den Ueberlieferungen der Vergangenheit den lebendigen bleibenden Inhalt zu zie¬ hen. In dem modernen Ideal werden die Ideale der Vergangenheit eine höhere Einheit und Vollendung gewinnen. Das moderne Ideal erscheint darum als der Gipfelpunkt der gesammten geistigen Entwickelung, aber nur weil es die Versöhnung der Gedanken der Vergangenheit sein wird. Die Aufgabe der modernen Baukunst aber kann es nur sein, die Baugedanken der Vergangenheit durch Ueberwindung ihrer Gegensätze auf eine höhere Einheit zurückzuführen. In welcher Weise dies zu geschehen habe und unserer heilig¬ sten Ueberzeugung nach einzig und allein geschehen kann, haben wir eben ent¬ wickelt und begnügen uns als erfreuliche Anfange nach dieser Richtung hin auf die Schinkelsche Bauschule und mehre Sempersche Bauten wiederholt hinzuweisen. Mit dem modernen Ideal wird und muß sich die moderne Baukunst als der Ausdruck jenes Ideals entwickeln. So gewiß wir aber an den Sieg des modernen Ideals glauben, so sicher und gewiß glauben wir auch an die siegreiche Entfaltung der modernen Kunst. Der modernen Zeit die Fähigkeit einer entsprechenden Stilbildung absprechen zu wollen, ist fre¬ velhaft. An den Architekten aber ist es, die Größe und Bedeutung der Aufgabe, die ihnen gestellt, zu erkennen. Mögen sie vor allem aufhören Handwerker ihrer Kunst zu sein, ablassen von dem Schlendrian, dessen Bahn wol eine K0*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/485>, abgerufen am 24.07.2024.