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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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thümlichkeit nebeneinander gleichzeitig angeordnet wurden, glaubte man den
Weg zum Ziel gefunden zu haben. Ein neuer Baustil aber ruht auf ganz
anderem Grunde als dem subjectiven Beliebens; man hatte nur ein Ragout
von allerhand Formen zusammengebaut. Zeigten nun aber jene Formen¬
zusammenstellungen wenigstens eine gewisse äußere Uebereinstimmung, so sagt
sich die neueste Münchener Schule auch von dieser los. Das famose Pro¬
gramm für das Athenaeum fordert alle Architektur zur Schöpfung eines Bau¬
stils auf, der die Stile der Vergangenheit zu einem einzigen vereinige. Eine
Frucht solchen Strebens sind die in der Zeitschrift für Bauwesen veröffentlich¬
ten Facadcnentwürfe für die neue Maximilicmstrasze in München. Daß in
denselben die verschiedensten Baustile vereinigt sind, muß zugestanden werden,
nur nicht, daß aus dieser Vereinigung ein wahrhaft einiger Stil hervorgegangen
sei. Im tollen Durcheinander der heterogensten Formen muthen uns jene
Entwürfe an wie Fieberphantasien. Dazu zeigen sie eine beispiellose Rohheit
und Geschmacklosigkeit, den vollständigen Mangel alles organischen Sinnes.
In der Dissonanz der Stilformen deren Harmonie, in der Betonung der
Gegensätze deren Lösung suchen zu wollen ist widersinnig.

Das der Münchner Schule angehörige Börsenproject ist in einem äußer¬
lichen rohen Romanismus gedacht und zeigt nur die Schwächen der Schule
in hohem Grade.

Eine der Münchner Schule verwandte Richtung verfolgen zwei süddeutsche
Meister, Eisenlohr und Hübsch. Eisenlohr wußte bei den ihm übertragenen
Hochbauten der badenschen Staatseisenbahn besonders an den Bahnwärter¬
häuschen und andern derartigen Bauten, im Anschluß an die volksthümliche
Bauweise und durch geschickte Benutzung verschiedenen Materials und des hü¬
geligen Terrains eine lebendige malerische Wirkung zu erreichen. Weniger
glücklich war er in den größeren Stationsgebäuden, die, in Hanstein aufge¬
führt, den romanischen Formalismus, wenn schon meist frei und zierlich be¬
handelt zeigen. Hübsch folgt in der Conception dem romanischen und alt¬
italienischen Stil, in der Detailsbildung aber der Antike. Alle seine Bauten
tragen das entschiedene Gepräge dieser Richtung. Kann aber solchem Stre¬
ben nur volle Anerkennung gezollt werden, so läßt sich doch nicht leugnen,
daß seine Bauten meist unbefriedigt lassen. Die schöpferische Kraft, die das
für wahr Erkannte in schöner Form darzustellen weiß, lassen seine Bauten voll¬
ständig vermissen.

Das Gesammtbewußtsein eines Volkes gibt der Baukunst den Inhalt;
den Inhalt der modernen Baukunst wird darum nur das moderne Bewußt¬
sein bilden können.

Das Princip des modernen Ideals ist die Versöhnung von Geist und
Natur. Den architektonischen Ausdruck dieses Ideals konnten wir nur in der


thümlichkeit nebeneinander gleichzeitig angeordnet wurden, glaubte man den
Weg zum Ziel gefunden zu haben. Ein neuer Baustil aber ruht auf ganz
anderem Grunde als dem subjectiven Beliebens; man hatte nur ein Ragout
von allerhand Formen zusammengebaut. Zeigten nun aber jene Formen¬
zusammenstellungen wenigstens eine gewisse äußere Uebereinstimmung, so sagt
sich die neueste Münchener Schule auch von dieser los. Das famose Pro¬
gramm für das Athenaeum fordert alle Architektur zur Schöpfung eines Bau¬
stils auf, der die Stile der Vergangenheit zu einem einzigen vereinige. Eine
Frucht solchen Strebens sind die in der Zeitschrift für Bauwesen veröffentlich¬
ten Facadcnentwürfe für die neue Maximilicmstrasze in München. Daß in
denselben die verschiedensten Baustile vereinigt sind, muß zugestanden werden,
nur nicht, daß aus dieser Vereinigung ein wahrhaft einiger Stil hervorgegangen
sei. Im tollen Durcheinander der heterogensten Formen muthen uns jene
Entwürfe an wie Fieberphantasien. Dazu zeigen sie eine beispiellose Rohheit
und Geschmacklosigkeit, den vollständigen Mangel alles organischen Sinnes.
In der Dissonanz der Stilformen deren Harmonie, in der Betonung der
Gegensätze deren Lösung suchen zu wollen ist widersinnig.

Das der Münchner Schule angehörige Börsenproject ist in einem äußer¬
lichen rohen Romanismus gedacht und zeigt nur die Schwächen der Schule
in hohem Grade.

Eine der Münchner Schule verwandte Richtung verfolgen zwei süddeutsche
Meister, Eisenlohr und Hübsch. Eisenlohr wußte bei den ihm übertragenen
Hochbauten der badenschen Staatseisenbahn besonders an den Bahnwärter¬
häuschen und andern derartigen Bauten, im Anschluß an die volksthümliche
Bauweise und durch geschickte Benutzung verschiedenen Materials und des hü¬
geligen Terrains eine lebendige malerische Wirkung zu erreichen. Weniger
glücklich war er in den größeren Stationsgebäuden, die, in Hanstein aufge¬
führt, den romanischen Formalismus, wenn schon meist frei und zierlich be¬
handelt zeigen. Hübsch folgt in der Conception dem romanischen und alt¬
italienischen Stil, in der Detailsbildung aber der Antike. Alle seine Bauten
tragen das entschiedene Gepräge dieser Richtung. Kann aber solchem Stre¬
ben nur volle Anerkennung gezollt werden, so läßt sich doch nicht leugnen,
daß seine Bauten meist unbefriedigt lassen. Die schöpferische Kraft, die das
für wahr Erkannte in schöner Form darzustellen weiß, lassen seine Bauten voll¬
ständig vermissen.

Das Gesammtbewußtsein eines Volkes gibt der Baukunst den Inhalt;
den Inhalt der modernen Baukunst wird darum nur das moderne Bewußt¬
sein bilden können.

Das Princip des modernen Ideals ist die Versöhnung von Geist und
Natur. Den architektonischen Ausdruck dieses Ideals konnten wir nur in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/484>, abgerufen am 24.07.2024.