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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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der äußeren Erscheinung nach ihrem inneren Wesen, jene Klarheit und Wohl¬
gemessenheit im Vortrage, jene hohe rhythmische Schönheit der Verhältnisse,
jene Phantasie und jenen Geschmack in der Decoration, jene wahre und solide
Technik, jene poesievolle Auffassung des Grundplans; gleichzeitig aber auch
eine Berücksichtigung der modernen Anforderungen in Hinsicht auf Komposi¬
tion und Tektonik. Freilich zeigen daneben zwei seiner Hauptbauten, das
Theater und das Museum in Dresden, jene willkürliche unorganische Verbin¬
dung des Säulen- und Bogenbaucs der späteren Renaissance, doch möchte diese
Anordnung ihren Grund darin finden, daß es bei beiden Bauten die Aufgabe
eines harmonischen Anschlusses an den Zwinger zu lösen galt. Ebenso wird
wol, abgesehen von der auf fremde Rechnung kommenden Kuppel, der durch eine
unglückliche Treppenanlage confuse Grundplan und manche andere Ungehörig-
keit am Museum dem Umstände zuzuschreiben sein, daß Semper selbst den
Bau nicht vollenden und darum jene Uebelstände nicht verbessern konnte. --
Mit Sempers Weggang von Dresden infolge jener unseligen Maitage
scheint die dresdner Schule ihre Bedeutung verloren zu haben, concentrirte
sich doch ihre Kraft in Semper. Die neudresdner Architekturrichtung knüpft
an jene Scheinarchitektur an, die wir am Theater und Museum fanden. Während
sie aber dort mit einer gewissen Berechtigung und Nothwendigkeit angewandt,
von einer außerordentlichen Schönheit der Verhältnisse und einer sehr glück¬
lichen Gliederung der Massen begleitet erscheint, sehen wir sie jetzt ganz will¬
kürlich in schemenhafter Nacktheit und Nüchternheit angeordnet. Die alljähri¬
gen architektonischen Ausstellungen zeigen eine Einförmigkeit und Jdeenarmuth,
die jener modernen berliner Architektur nichts nachgibt, dabei aber des feinen
graciösen Sinnes für das Detail, der jener eigenthümlich, vollständig entbehrt.
Das dresdner Detail ist das des siebenzehnten Jahrhunderts. Das helle¬
nische Formenprincip scheint in Dresden eine wriÄ ineognitg. geworden zu
sein. Säulen werden in Nischen gestellt, auf das vorgekröpfte Gebälk aber
sinnlose Schnörkel gesetzt, die Verdachungen werden gebrochen und aufgerollt,
an Fenstern und Thüren Schnörkel und andere Unzierden angebracht; auch
die Mansarde taucht wieder auf und scheut man sich nicht, gelegentlich Quader-
fc^aber durch Kalkputz herzustellen oder steinerne Hauptgesimse aus Bretern
zusammenzunageln. Der Grundplan, der für das gewöhnliche Wohnhaus meist
gut durchdacht, läßt bei größeren, mehr monumentalen Aufgaben eine gro߬
artige, poesievolle Erfassung und Durchdringung vermissen. Die von Dresden
eingesandten Börsenprojectc zeigen die neudresdner Architektur in ihrer ganzen
Schwäche. Die Fanden sind ohne allen individuellen Charakter, ohne Ge¬
danken, geistlose Mosaikarbeiten von plumpen schweren Verhältnissen. Die
innere Architektur steht der äußeren in nichts nach. Natürlich ist die letztere
in Hanstein oder Kalkputz gedacht, würde doch eine Backsteinarchitektur nicht


der äußeren Erscheinung nach ihrem inneren Wesen, jene Klarheit und Wohl¬
gemessenheit im Vortrage, jene hohe rhythmische Schönheit der Verhältnisse,
jene Phantasie und jenen Geschmack in der Decoration, jene wahre und solide
Technik, jene poesievolle Auffassung des Grundplans; gleichzeitig aber auch
eine Berücksichtigung der modernen Anforderungen in Hinsicht auf Komposi¬
tion und Tektonik. Freilich zeigen daneben zwei seiner Hauptbauten, das
Theater und das Museum in Dresden, jene willkürliche unorganische Verbin¬
dung des Säulen- und Bogenbaucs der späteren Renaissance, doch möchte diese
Anordnung ihren Grund darin finden, daß es bei beiden Bauten die Aufgabe
eines harmonischen Anschlusses an den Zwinger zu lösen galt. Ebenso wird
wol, abgesehen von der auf fremde Rechnung kommenden Kuppel, der durch eine
unglückliche Treppenanlage confuse Grundplan und manche andere Ungehörig-
keit am Museum dem Umstände zuzuschreiben sein, daß Semper selbst den
Bau nicht vollenden und darum jene Uebelstände nicht verbessern konnte. —
Mit Sempers Weggang von Dresden infolge jener unseligen Maitage
scheint die dresdner Schule ihre Bedeutung verloren zu haben, concentrirte
sich doch ihre Kraft in Semper. Die neudresdner Architekturrichtung knüpft
an jene Scheinarchitektur an, die wir am Theater und Museum fanden. Während
sie aber dort mit einer gewissen Berechtigung und Nothwendigkeit angewandt,
von einer außerordentlichen Schönheit der Verhältnisse und einer sehr glück¬
lichen Gliederung der Massen begleitet erscheint, sehen wir sie jetzt ganz will¬
kürlich in schemenhafter Nacktheit und Nüchternheit angeordnet. Die alljähri¬
gen architektonischen Ausstellungen zeigen eine Einförmigkeit und Jdeenarmuth,
die jener modernen berliner Architektur nichts nachgibt, dabei aber des feinen
graciösen Sinnes für das Detail, der jener eigenthümlich, vollständig entbehrt.
Das dresdner Detail ist das des siebenzehnten Jahrhunderts. Das helle¬
nische Formenprincip scheint in Dresden eine wriÄ ineognitg. geworden zu
sein. Säulen werden in Nischen gestellt, auf das vorgekröpfte Gebälk aber
sinnlose Schnörkel gesetzt, die Verdachungen werden gebrochen und aufgerollt,
an Fenstern und Thüren Schnörkel und andere Unzierden angebracht; auch
die Mansarde taucht wieder auf und scheut man sich nicht, gelegentlich Quader-
fc^aber durch Kalkputz herzustellen oder steinerne Hauptgesimse aus Bretern
zusammenzunageln. Der Grundplan, der für das gewöhnliche Wohnhaus meist
gut durchdacht, läßt bei größeren, mehr monumentalen Aufgaben eine gro߬
artige, poesievolle Erfassung und Durchdringung vermissen. Die von Dresden
eingesandten Börsenprojectc zeigen die neudresdner Architektur in ihrer ganzen
Schwäche. Die Fanden sind ohne allen individuellen Charakter, ohne Ge¬
danken, geistlose Mosaikarbeiten von plumpen schweren Verhältnissen. Die
innere Architektur steht der äußeren in nichts nach. Natürlich ist die letztere
in Hanstein oder Kalkputz gedacht, würde doch eine Backsteinarchitektur nicht


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[0481] der äußeren Erscheinung nach ihrem inneren Wesen, jene Klarheit und Wohl¬ gemessenheit im Vortrage, jene hohe rhythmische Schönheit der Verhältnisse, jene Phantasie und jenen Geschmack in der Decoration, jene wahre und solide Technik, jene poesievolle Auffassung des Grundplans; gleichzeitig aber auch eine Berücksichtigung der modernen Anforderungen in Hinsicht auf Komposi¬ tion und Tektonik. Freilich zeigen daneben zwei seiner Hauptbauten, das Theater und das Museum in Dresden, jene willkürliche unorganische Verbin¬ dung des Säulen- und Bogenbaucs der späteren Renaissance, doch möchte diese Anordnung ihren Grund darin finden, daß es bei beiden Bauten die Aufgabe eines harmonischen Anschlusses an den Zwinger zu lösen galt. Ebenso wird wol, abgesehen von der auf fremde Rechnung kommenden Kuppel, der durch eine unglückliche Treppenanlage confuse Grundplan und manche andere Ungehörig- keit am Museum dem Umstände zuzuschreiben sein, daß Semper selbst den Bau nicht vollenden und darum jene Uebelstände nicht verbessern konnte. — Mit Sempers Weggang von Dresden infolge jener unseligen Maitage scheint die dresdner Schule ihre Bedeutung verloren zu haben, concentrirte sich doch ihre Kraft in Semper. Die neudresdner Architekturrichtung knüpft an jene Scheinarchitektur an, die wir am Theater und Museum fanden. Während sie aber dort mit einer gewissen Berechtigung und Nothwendigkeit angewandt, von einer außerordentlichen Schönheit der Verhältnisse und einer sehr glück¬ lichen Gliederung der Massen begleitet erscheint, sehen wir sie jetzt ganz will¬ kürlich in schemenhafter Nacktheit und Nüchternheit angeordnet. Die alljähri¬ gen architektonischen Ausstellungen zeigen eine Einförmigkeit und Jdeenarmuth, die jener modernen berliner Architektur nichts nachgibt, dabei aber des feinen graciösen Sinnes für das Detail, der jener eigenthümlich, vollständig entbehrt. Das dresdner Detail ist das des siebenzehnten Jahrhunderts. Das helle¬ nische Formenprincip scheint in Dresden eine wriÄ ineognitg. geworden zu sein. Säulen werden in Nischen gestellt, auf das vorgekröpfte Gebälk aber sinnlose Schnörkel gesetzt, die Verdachungen werden gebrochen und aufgerollt, an Fenstern und Thüren Schnörkel und andere Unzierden angebracht; auch die Mansarde taucht wieder auf und scheut man sich nicht, gelegentlich Quader- fc^aber durch Kalkputz herzustellen oder steinerne Hauptgesimse aus Bretern zusammenzunageln. Der Grundplan, der für das gewöhnliche Wohnhaus meist gut durchdacht, läßt bei größeren, mehr monumentalen Aufgaben eine gro߬ artige, poesievolle Erfassung und Durchdringung vermissen. Die von Dresden eingesandten Börsenprojectc zeigen die neudresdner Architektur in ihrer ganzen Schwäche. Die Fanden sind ohne allen individuellen Charakter, ohne Ge¬ danken, geistlose Mosaikarbeiten von plumpen schweren Verhältnissen. Die innere Architektur steht der äußeren in nichts nach. Natürlich ist die letztere in Hanstein oder Kalkputz gedacht, würde doch eine Backsteinarchitektur nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/481>, abgerufen am 24.07.2024.