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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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nicht blos vorbereiten, sondern mit Hintansetzung des historischen Rechts plötz¬
lich erzwingen will. Weil alles historische Recht in Oestreich mit dem Be¬
stehen der einzelnen Kronländer zusammenhängt, in deren jedem das Streben
nach nationaler Entwicklung uns entgegentritt, so muß die Verfassung sowol
auf die provinzielle Gliederung des Staats als auf das Streben der einzel¬
nen Völker, ihre eigene Nationalität geltend zu machen, Rücksicht nehmen.
Die Hauptaufgabe ist: über das Maß und die Mittel ins Reine zu kommen,
durch welche das Streben der Völker Oestreichs nach nationaler Anerkennung,
ohne die Einheit des Staats zu gefährden, befriedigt werden kann.

Gewiß wird die deutsche Sprache in Oestreich das gemeinsame Medium
der Gebildeten sein. Wenn man aber glaubt, daß dasjenige, was als Er¬
gebniß der natürlichen Entwicklung der Dinge nur allmälig und bis zu einem
gewissen Grade geschieht, durch die Intervention der Staatsgewalt beschleu¬
nigt und bis zur vollkommenen Absorption der nicht begünstigten Nationali¬
täten geführt werden könne, so täuscht man sich gewaltig, und man braucht
blos den Einfluß jener Maßregeln zu beobachten, die man in neuerer Zeit
zur Verbreitung der deutschen Sprache in der östreichischen Monarchie ange¬
wendet, um sich davon zu überzeugen. Jede Regierung, welche sich in ihren
Berührungen mit dem Volk einer fremden Sprache bedient, wird, so sehr sie
sich auch bemüht, die Interessen desselben zu fördern, immer als eine fremde
erscheinen. Nachdem man in Deutschland den Sieg, welchen die östreichische
Monarchie über den Separatismus einzelner Nationalitäten errungen hat, als
einen Sieg des deutschen Volks betrachtete, ist bei den nichtdeutschen Völkern
Oestreichs ein positiver Antagonismus gegen das Deutschthum entstanden.
Der einmüthige Wille ganzer Völker ist eine Kraft, der man schwer widersteht;
Wo sich aber ganze Völker dahin vereinigen, daß sie etwas nicht wollen,
ist diese Kraft eine unwiderstehliche. -- Für Oestreich ist das Nationalitäts¬
gefühl der einzelnen Provinzen zugleich der Träger des Patriotismus über¬
haupt. Für eine Monarchie, welche weder durch das Band eines gemein¬
samen Volksthums, noch durch feste geographische Grenzen zusammengehalten
wird; für eine Monarchie, welche wir lediglich als ein Product der Geschichte
betrachten müssen, und welche die festeste Garantie ihres Bestehens eben in
der Ueberzeugung suchen muß, daß eine Vereinigung jener kleinern Völker¬
bruchstücke zu einem großen Staat nur unter dieser Form möglich sei: für
einen solchen Staat ist alles, wodurch die Achtung vor dem historischen Recht
geschwächt, alles, wodurch in Hinsicht der Nationalität Jndifferentismus er¬
zeugt wird, statt eines Mittels, den Staat zu kräftigen, blos ein Element
der Auflösung mehr. Denn jede revolutionäre Bewegung, und schiene sie noch
so gefährlich, läßt sich bekämpfen, weil mit der Agitation für irgend ein Prin¬
cip immer auch der Gegensatz desselben hervorgerufen wird; wenn es aber


nicht blos vorbereiten, sondern mit Hintansetzung des historischen Rechts plötz¬
lich erzwingen will. Weil alles historische Recht in Oestreich mit dem Be¬
stehen der einzelnen Kronländer zusammenhängt, in deren jedem das Streben
nach nationaler Entwicklung uns entgegentritt, so muß die Verfassung sowol
auf die provinzielle Gliederung des Staats als auf das Streben der einzel¬
nen Völker, ihre eigene Nationalität geltend zu machen, Rücksicht nehmen.
Die Hauptaufgabe ist: über das Maß und die Mittel ins Reine zu kommen,
durch welche das Streben der Völker Oestreichs nach nationaler Anerkennung,
ohne die Einheit des Staats zu gefährden, befriedigt werden kann.

Gewiß wird die deutsche Sprache in Oestreich das gemeinsame Medium
der Gebildeten sein. Wenn man aber glaubt, daß dasjenige, was als Er¬
gebniß der natürlichen Entwicklung der Dinge nur allmälig und bis zu einem
gewissen Grade geschieht, durch die Intervention der Staatsgewalt beschleu¬
nigt und bis zur vollkommenen Absorption der nicht begünstigten Nationali¬
täten geführt werden könne, so täuscht man sich gewaltig, und man braucht
blos den Einfluß jener Maßregeln zu beobachten, die man in neuerer Zeit
zur Verbreitung der deutschen Sprache in der östreichischen Monarchie ange¬
wendet, um sich davon zu überzeugen. Jede Regierung, welche sich in ihren
Berührungen mit dem Volk einer fremden Sprache bedient, wird, so sehr sie
sich auch bemüht, die Interessen desselben zu fördern, immer als eine fremde
erscheinen. Nachdem man in Deutschland den Sieg, welchen die östreichische
Monarchie über den Separatismus einzelner Nationalitäten errungen hat, als
einen Sieg des deutschen Volks betrachtete, ist bei den nichtdeutschen Völkern
Oestreichs ein positiver Antagonismus gegen das Deutschthum entstanden.
Der einmüthige Wille ganzer Völker ist eine Kraft, der man schwer widersteht;
Wo sich aber ganze Völker dahin vereinigen, daß sie etwas nicht wollen,
ist diese Kraft eine unwiderstehliche. — Für Oestreich ist das Nationalitäts¬
gefühl der einzelnen Provinzen zugleich der Träger des Patriotismus über¬
haupt. Für eine Monarchie, welche weder durch das Band eines gemein¬
samen Volksthums, noch durch feste geographische Grenzen zusammengehalten
wird; für eine Monarchie, welche wir lediglich als ein Product der Geschichte
betrachten müssen, und welche die festeste Garantie ihres Bestehens eben in
der Ueberzeugung suchen muß, daß eine Vereinigung jener kleinern Völker¬
bruchstücke zu einem großen Staat nur unter dieser Form möglich sei: für
einen solchen Staat ist alles, wodurch die Achtung vor dem historischen Recht
geschwächt, alles, wodurch in Hinsicht der Nationalität Jndifferentismus er¬
zeugt wird, statt eines Mittels, den Staat zu kräftigen, blos ein Element
der Auflösung mehr. Denn jede revolutionäre Bewegung, und schiene sie noch
so gefährlich, läßt sich bekämpfen, weil mit der Agitation für irgend ein Prin¬
cip immer auch der Gegensatz desselben hervorgerufen wird; wenn es aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/458>, abgerufen am 24.07.2024.