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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die Grundkraft des östreichischen Staats ist die Legitimität des Herrscher¬
hauses in den verschiedenen Kronländern, auf diese ist auch die wahre Ein¬
heit des neuen Staats zu begründen. Die Geschichte Maria Theresias und
der Kämpfe gegen Napoleon, während welcher sich der größte Theil der Mon¬
archie sammt der Hauptstadt in den Handen des Eroberers befand, genügt
wol, um zu beweisen, daß die Einheit Oestreichs auch damals nicht blos
durch seine Armee und die der Negierung zu Gebot stehenden materiellen
Mittel erhalten worden sei. -- Freilich ist die Geschichte Oestreichs während
der letzten drei Jahrhunderte nicht glänzend genug, um die einzelnen Völker
die Epoche ihrer ehemaligen Unabhängigkeit vergessen zu machen. Die Poesie
jener Völker Oestreichs, welche eine eigne Geschichte haben, wird sich daher
immer vorzüglich mit dieser beschäftigen. Ebenso unleugbar ist aber, daß
alle reellen Verhältnisse, und zwar in allen Provinzen, ein Ergebniß jener
Zeit sind, wo dieselben schon zu einem Staat vereinigt waren, und daß eine
Zerreißung des Staats alle Interessen der Staatsangehörigen verletzen würde;
wo aber dieses der Fall ist, ist die Gefahr, welche der Einheit des Staats
durch die poetischen Reminiscenzen der einzelnen Völker droht, wol nicht zu
hoch anzuschlagen, besonders wenn diese Einheit auf dem legitimen Recht der
Dynastie beruht und mit dem ganzen Complex des historischen Rechts zu¬
sammenhängt.

Oestreich bedarf, eben wegen seiner bedenklichen Lage gegen das Ausland,
der Centralisation in Bezug auf die militärischen, einen Theil der finanziellen
und der mercantilen Angelegenheiten. -- Diese Centralisation bedarf aber,
wenn sie der negativen Richtung der Zeit widerstehn soll, der ständischen Con-
trole. -- Daß das Bestehende, wie es von allen Seiten auf tausend Punk¬
ten zugleich angegriffen wird, auch überall zum Widerstand gerüstet sein
muß; daß der Staat, um die Gesellschaft zu retten, nicht blos den passiven
Gehorsam, sondern die thätige Mitwirkung aller derjenigen Classen und In¬
dividuen nicht entbehren kann, die den Schutz ihrer Interessen vom Staat
erwarten, das ist ebenso gewiß, als daß diese thätige Mitwirkung aller zum
gemeinsamen Zweck nur da zu erwarten ist, wo man den Staat so einge¬
richtet hat, daß das Bestehen desselben durch die einzelnen Bürger nicht nur
als ein Object ihrer Pflichten, sondern als Bedingung ihrer Rechte betrachtet
wird, was immer nur dann zu erreichen ist, wenn man den Bürgern des
Staats eine Theilnahme an der Regierung desselben eingeräumt hat. --Dazu
kommt für Oestreich ein besonderer Umstand. --Wenn man bedenkt, daß sich
Ungarn durch'einen Zeitraum von acht Jahrhunderten unter constitutionellen
Formen entwickelt hat, so kann man wol annehmen, daß eine Einrichtung
des Staats, wobei alle Classen des Volks von jeglicher Theilnahme an öffent¬
lichen Angelegenheiten ausgeschlossen sind, keinen Theil der Bevölkerung Un-


Die Grundkraft des östreichischen Staats ist die Legitimität des Herrscher¬
hauses in den verschiedenen Kronländern, auf diese ist auch die wahre Ein¬
heit des neuen Staats zu begründen. Die Geschichte Maria Theresias und
der Kämpfe gegen Napoleon, während welcher sich der größte Theil der Mon¬
archie sammt der Hauptstadt in den Handen des Eroberers befand, genügt
wol, um zu beweisen, daß die Einheit Oestreichs auch damals nicht blos
durch seine Armee und die der Negierung zu Gebot stehenden materiellen
Mittel erhalten worden sei. — Freilich ist die Geschichte Oestreichs während
der letzten drei Jahrhunderte nicht glänzend genug, um die einzelnen Völker
die Epoche ihrer ehemaligen Unabhängigkeit vergessen zu machen. Die Poesie
jener Völker Oestreichs, welche eine eigne Geschichte haben, wird sich daher
immer vorzüglich mit dieser beschäftigen. Ebenso unleugbar ist aber, daß
alle reellen Verhältnisse, und zwar in allen Provinzen, ein Ergebniß jener
Zeit sind, wo dieselben schon zu einem Staat vereinigt waren, und daß eine
Zerreißung des Staats alle Interessen der Staatsangehörigen verletzen würde;
wo aber dieses der Fall ist, ist die Gefahr, welche der Einheit des Staats
durch die poetischen Reminiscenzen der einzelnen Völker droht, wol nicht zu
hoch anzuschlagen, besonders wenn diese Einheit auf dem legitimen Recht der
Dynastie beruht und mit dem ganzen Complex des historischen Rechts zu¬
sammenhängt.

Oestreich bedarf, eben wegen seiner bedenklichen Lage gegen das Ausland,
der Centralisation in Bezug auf die militärischen, einen Theil der finanziellen
und der mercantilen Angelegenheiten. — Diese Centralisation bedarf aber,
wenn sie der negativen Richtung der Zeit widerstehn soll, der ständischen Con-
trole. — Daß das Bestehende, wie es von allen Seiten auf tausend Punk¬
ten zugleich angegriffen wird, auch überall zum Widerstand gerüstet sein
muß; daß der Staat, um die Gesellschaft zu retten, nicht blos den passiven
Gehorsam, sondern die thätige Mitwirkung aller derjenigen Classen und In¬
dividuen nicht entbehren kann, die den Schutz ihrer Interessen vom Staat
erwarten, das ist ebenso gewiß, als daß diese thätige Mitwirkung aller zum
gemeinsamen Zweck nur da zu erwarten ist, wo man den Staat so einge¬
richtet hat, daß das Bestehen desselben durch die einzelnen Bürger nicht nur
als ein Object ihrer Pflichten, sondern als Bedingung ihrer Rechte betrachtet
wird, was immer nur dann zu erreichen ist, wenn man den Bürgern des
Staats eine Theilnahme an der Regierung desselben eingeräumt hat. —Dazu
kommt für Oestreich ein besonderer Umstand. —Wenn man bedenkt, daß sich
Ungarn durch'einen Zeitraum von acht Jahrhunderten unter constitutionellen
Formen entwickelt hat, so kann man wol annehmen, daß eine Einrichtung
des Staats, wobei alle Classen des Volks von jeglicher Theilnahme an öffent¬
lichen Angelegenheiten ausgeschlossen sind, keinen Theil der Bevölkerung Un-


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[0456] Die Grundkraft des östreichischen Staats ist die Legitimität des Herrscher¬ hauses in den verschiedenen Kronländern, auf diese ist auch die wahre Ein¬ heit des neuen Staats zu begründen. Die Geschichte Maria Theresias und der Kämpfe gegen Napoleon, während welcher sich der größte Theil der Mon¬ archie sammt der Hauptstadt in den Handen des Eroberers befand, genügt wol, um zu beweisen, daß die Einheit Oestreichs auch damals nicht blos durch seine Armee und die der Negierung zu Gebot stehenden materiellen Mittel erhalten worden sei. — Freilich ist die Geschichte Oestreichs während der letzten drei Jahrhunderte nicht glänzend genug, um die einzelnen Völker die Epoche ihrer ehemaligen Unabhängigkeit vergessen zu machen. Die Poesie jener Völker Oestreichs, welche eine eigne Geschichte haben, wird sich daher immer vorzüglich mit dieser beschäftigen. Ebenso unleugbar ist aber, daß alle reellen Verhältnisse, und zwar in allen Provinzen, ein Ergebniß jener Zeit sind, wo dieselben schon zu einem Staat vereinigt waren, und daß eine Zerreißung des Staats alle Interessen der Staatsangehörigen verletzen würde; wo aber dieses der Fall ist, ist die Gefahr, welche der Einheit des Staats durch die poetischen Reminiscenzen der einzelnen Völker droht, wol nicht zu hoch anzuschlagen, besonders wenn diese Einheit auf dem legitimen Recht der Dynastie beruht und mit dem ganzen Complex des historischen Rechts zu¬ sammenhängt. Oestreich bedarf, eben wegen seiner bedenklichen Lage gegen das Ausland, der Centralisation in Bezug auf die militärischen, einen Theil der finanziellen und der mercantilen Angelegenheiten. — Diese Centralisation bedarf aber, wenn sie der negativen Richtung der Zeit widerstehn soll, der ständischen Con- trole. — Daß das Bestehende, wie es von allen Seiten auf tausend Punk¬ ten zugleich angegriffen wird, auch überall zum Widerstand gerüstet sein muß; daß der Staat, um die Gesellschaft zu retten, nicht blos den passiven Gehorsam, sondern die thätige Mitwirkung aller derjenigen Classen und In¬ dividuen nicht entbehren kann, die den Schutz ihrer Interessen vom Staat erwarten, das ist ebenso gewiß, als daß diese thätige Mitwirkung aller zum gemeinsamen Zweck nur da zu erwarten ist, wo man den Staat so einge¬ richtet hat, daß das Bestehen desselben durch die einzelnen Bürger nicht nur als ein Object ihrer Pflichten, sondern als Bedingung ihrer Rechte betrachtet wird, was immer nur dann zu erreichen ist, wenn man den Bürgern des Staats eine Theilnahme an der Regierung desselben eingeräumt hat. —Dazu kommt für Oestreich ein besonderer Umstand. —Wenn man bedenkt, daß sich Ungarn durch'einen Zeitraum von acht Jahrhunderten unter constitutionellen Formen entwickelt hat, so kann man wol annehmen, daß eine Einrichtung des Staats, wobei alle Classen des Volks von jeglicher Theilnahme an öffent¬ lichen Angelegenheiten ausgeschlossen sind, keinen Theil der Bevölkerung Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/456>, abgerufen am 24.07.2024.