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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Eine Concentration aller Kräfte ist für Oestreich nicht nur eine Möglich¬
keit, sondern eine Nothwendigkeit. Oestreich ist insofern unter allen Staaten
am günstigsten gelegen, als es überall schwache Nachbarn hat, über die es
seinen Einfluß ausdehnen oder auf deren Unkosten es sich vergrößern kann.
Es hat das Präsidium des deutschen Bundestages, es sührt die Hegemonie
über den größern Theil der italienischen Dynasten, die türkische Erbschaft
scheint ihm nicht entgehn zu können. Es unterstützt diese Ansprüche durch
ein furchtbares, wohl ausgerüstetes und loyales Kriegsheer und durch den
Schimmer der alten Kaiserkrone, die noch zuweilen die freilich einer an¬
dern Periode angehörige Devise in Erinnerung bringt: ^lie Lrcle Ist vest-
rvicli pudore.lig.it. Wo in Europa irgend ein Conflict ausbricht, ist Oestreich
nicht nur berechtigt, sondern auch genöthigt, seine Hand im Spiel zu haben;
überall hat es sehr erhebliche Erfolge erzielt, und so mag man wol begreisen,
daß ihm zuweilen das Maß seiner Macht aus den Gedanken schwindet und
daß es sich hartnäckig vorsetzt, mit drei Würfeln neunzehn Augen zu werfen.

In jener Machtstellung liegt zugleich für Oestreich eine große Gefahr:
auf allen drei Seiten, wohin sich sein Einfluß erstreckt, begegnet ihm eine
feindliche Idee, die es weder beschwichtigen noch befriedigen kann, und ein mäch¬
tiger Träger derselben, der eben darum sein natürlicher Nebenbuhler ist.

Seine ideellen Feinde sind die Einheit Italiens, die Einheit Deutschlands,
der Panslavismus. Jede dieser Ideen ist bereits historisch so erstarkt, daß sie
mit bloßer Gewalt nicht niedergehalten werden können. Keine von diesen
Ideen kann Oestreich realisiren; noch weniger als es das heilige römische Reich
deutscher Nation vermochte. Die alte Reaction Italiens gegen das Kaiserthum
hat in jedem Jahrhundert an Kraft gewonnen. Gleichviel wer der augenblick¬
liche Träger derselben ist, der Papst oder Mazzini, das Haus Savoyen oder
der Bonapartismus; kein Italiener wird auch nur im Traum daran denken,
seine Wünsche an Oestreich zu adressiren. In Deutschland ist es freilich gün¬
stiger situirt, es hat mit einem stammverwandten Volk zu thun und die Eifer¬
sucht der deutschen Fürsten gegen Preußen gibt ihm sehr bedeutende Hilfs¬
quellen; aber bis zu welcher schwindelnden Höhe auch das östreichische
Selbstgefühl aufsteigen mag, niemals wird es den Gedanken fassen, Deutsch¬
land gradezu zu absorbiren, und so bleibt die einzige Form der Einheit, die
es Deutschland zu bieten vermag, die Dependenz. in ähnlicher Weise, wie sie
in Toscana, Modena u. s. w. besteht; ganz abgesehen davon, daß der Bun¬
destag unter östreichischen Einfluß den ebenso berechtigten Freiheitsbestrebungen
des Volks im Weg steht.

Wenn ursprünglich der Einheitsgedanke in beiden Ländern nur eine revo¬
lutionäre, d. h. desorgcmisirende Wirkung äußerte, dem also das gesammte
conservative Interesse widerstand, so hat er seit 1849 hier in Preußen, dort


Eine Concentration aller Kräfte ist für Oestreich nicht nur eine Möglich¬
keit, sondern eine Nothwendigkeit. Oestreich ist insofern unter allen Staaten
am günstigsten gelegen, als es überall schwache Nachbarn hat, über die es
seinen Einfluß ausdehnen oder auf deren Unkosten es sich vergrößern kann.
Es hat das Präsidium des deutschen Bundestages, es sührt die Hegemonie
über den größern Theil der italienischen Dynasten, die türkische Erbschaft
scheint ihm nicht entgehn zu können. Es unterstützt diese Ansprüche durch
ein furchtbares, wohl ausgerüstetes und loyales Kriegsheer und durch den
Schimmer der alten Kaiserkrone, die noch zuweilen die freilich einer an¬
dern Periode angehörige Devise in Erinnerung bringt: ^lie Lrcle Ist vest-
rvicli pudore.lig.it. Wo in Europa irgend ein Conflict ausbricht, ist Oestreich
nicht nur berechtigt, sondern auch genöthigt, seine Hand im Spiel zu haben;
überall hat es sehr erhebliche Erfolge erzielt, und so mag man wol begreisen,
daß ihm zuweilen das Maß seiner Macht aus den Gedanken schwindet und
daß es sich hartnäckig vorsetzt, mit drei Würfeln neunzehn Augen zu werfen.

In jener Machtstellung liegt zugleich für Oestreich eine große Gefahr:
auf allen drei Seiten, wohin sich sein Einfluß erstreckt, begegnet ihm eine
feindliche Idee, die es weder beschwichtigen noch befriedigen kann, und ein mäch¬
tiger Träger derselben, der eben darum sein natürlicher Nebenbuhler ist.

Seine ideellen Feinde sind die Einheit Italiens, die Einheit Deutschlands,
der Panslavismus. Jede dieser Ideen ist bereits historisch so erstarkt, daß sie
mit bloßer Gewalt nicht niedergehalten werden können. Keine von diesen
Ideen kann Oestreich realisiren; noch weniger als es das heilige römische Reich
deutscher Nation vermochte. Die alte Reaction Italiens gegen das Kaiserthum
hat in jedem Jahrhundert an Kraft gewonnen. Gleichviel wer der augenblick¬
liche Träger derselben ist, der Papst oder Mazzini, das Haus Savoyen oder
der Bonapartismus; kein Italiener wird auch nur im Traum daran denken,
seine Wünsche an Oestreich zu adressiren. In Deutschland ist es freilich gün¬
stiger situirt, es hat mit einem stammverwandten Volk zu thun und die Eifer¬
sucht der deutschen Fürsten gegen Preußen gibt ihm sehr bedeutende Hilfs¬
quellen; aber bis zu welcher schwindelnden Höhe auch das östreichische
Selbstgefühl aufsteigen mag, niemals wird es den Gedanken fassen, Deutsch¬
land gradezu zu absorbiren, und so bleibt die einzige Form der Einheit, die
es Deutschland zu bieten vermag, die Dependenz. in ähnlicher Weise, wie sie
in Toscana, Modena u. s. w. besteht; ganz abgesehen davon, daß der Bun¬
destag unter östreichischen Einfluß den ebenso berechtigten Freiheitsbestrebungen
des Volks im Weg steht.

Wenn ursprünglich der Einheitsgedanke in beiden Ländern nur eine revo¬
lutionäre, d. h. desorgcmisirende Wirkung äußerte, dem also das gesammte
conservative Interesse widerstand, so hat er seit 1849 hier in Preußen, dort


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[0452] Eine Concentration aller Kräfte ist für Oestreich nicht nur eine Möglich¬ keit, sondern eine Nothwendigkeit. Oestreich ist insofern unter allen Staaten am günstigsten gelegen, als es überall schwache Nachbarn hat, über die es seinen Einfluß ausdehnen oder auf deren Unkosten es sich vergrößern kann. Es hat das Präsidium des deutschen Bundestages, es sührt die Hegemonie über den größern Theil der italienischen Dynasten, die türkische Erbschaft scheint ihm nicht entgehn zu können. Es unterstützt diese Ansprüche durch ein furchtbares, wohl ausgerüstetes und loyales Kriegsheer und durch den Schimmer der alten Kaiserkrone, die noch zuweilen die freilich einer an¬ dern Periode angehörige Devise in Erinnerung bringt: ^lie Lrcle Ist vest- rvicli pudore.lig.it. Wo in Europa irgend ein Conflict ausbricht, ist Oestreich nicht nur berechtigt, sondern auch genöthigt, seine Hand im Spiel zu haben; überall hat es sehr erhebliche Erfolge erzielt, und so mag man wol begreisen, daß ihm zuweilen das Maß seiner Macht aus den Gedanken schwindet und daß es sich hartnäckig vorsetzt, mit drei Würfeln neunzehn Augen zu werfen. In jener Machtstellung liegt zugleich für Oestreich eine große Gefahr: auf allen drei Seiten, wohin sich sein Einfluß erstreckt, begegnet ihm eine feindliche Idee, die es weder beschwichtigen noch befriedigen kann, und ein mäch¬ tiger Träger derselben, der eben darum sein natürlicher Nebenbuhler ist. Seine ideellen Feinde sind die Einheit Italiens, die Einheit Deutschlands, der Panslavismus. Jede dieser Ideen ist bereits historisch so erstarkt, daß sie mit bloßer Gewalt nicht niedergehalten werden können. Keine von diesen Ideen kann Oestreich realisiren; noch weniger als es das heilige römische Reich deutscher Nation vermochte. Die alte Reaction Italiens gegen das Kaiserthum hat in jedem Jahrhundert an Kraft gewonnen. Gleichviel wer der augenblick¬ liche Träger derselben ist, der Papst oder Mazzini, das Haus Savoyen oder der Bonapartismus; kein Italiener wird auch nur im Traum daran denken, seine Wünsche an Oestreich zu adressiren. In Deutschland ist es freilich gün¬ stiger situirt, es hat mit einem stammverwandten Volk zu thun und die Eifer¬ sucht der deutschen Fürsten gegen Preußen gibt ihm sehr bedeutende Hilfs¬ quellen; aber bis zu welcher schwindelnden Höhe auch das östreichische Selbstgefühl aufsteigen mag, niemals wird es den Gedanken fassen, Deutsch¬ land gradezu zu absorbiren, und so bleibt die einzige Form der Einheit, die es Deutschland zu bieten vermag, die Dependenz. in ähnlicher Weise, wie sie in Toscana, Modena u. s. w. besteht; ganz abgesehen davon, daß der Bun¬ destag unter östreichischen Einfluß den ebenso berechtigten Freiheitsbestrebungen des Volks im Weg steht. Wenn ursprünglich der Einheitsgedanke in beiden Ländern nur eine revo¬ lutionäre, d. h. desorgcmisirende Wirkung äußerte, dem also das gesammte conservative Interesse widerstand, so hat er seit 1849 hier in Preußen, dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/452>, abgerufen am 24.07.2024.