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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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und riefen: "Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit!" Niemand wider¬
setzte sich ihnen, am wenigsten die Soldaten der Wache, welche sogar aus
ihren Befehl Alarm schlugen. Der Platzcommandant zögerte erst ein wenig,
erklärte sich indeß als alter, dem Blutvergießen abgeneigter Mann endlich für
die Bewegung. Mit ihm schlössen sich sämmtliche'Offiziere und Civilbecuntcn
der Stadt dem Aufstand an. Man öffnete die Gefängnisse, um die wegen
politischer Verbrechen Eingekerkerten frei zu lassen, die natürlich mit doppelter
Bereitwilligkeit in den Ruf: "Es lebe die Freiheit! einstimmten. Am nächsten
Tage wurde Geffrard feierlich zum Präsidenten der Republik Haiti ausgerufen
und zu gleicher Zeit "General Soulouquc" wegen verschiedener Verbrechen,
unter anderm Diebstahl -- als im Anklagestand befindlich erklärt. In der
Kirche wurde ein Tedeum gesungen und ein schwarzer Abb6 hielt eine wohl-
gesetzte Geiegenheitsrede. Auch Geffrard erfreute die Versammelten mit einem
Erguß seiner Beredsamkeit, in welchem er die Gründe der Erhebung angab,
und wie das bei solchen Fällen der Brauch, durchgreifende Reformen, Ab¬
stellung aller Mißbräuche, eine neue Aera der Wohlfahrt des Vaterlandes
und ähnliche vortreffliche, in Haiti vorläufig unerreichbare Dinge versprach.
Am 24. brach er nach der befestigten Stadt Se. Marc auf, deren Comman¬
dant sich ihm ohne Zaudern anschloß. Zu dieser starken Stellung und an
der Spitze von zwei Regimentern erwartete der neue Präsident die Unterwer¬
fung der übrigen Orte. Nach wenigen Tagen war die Republik von Cap
Haitien, Plaisance, Port de Paix, Limbü, Se. Michel, kurz von der ganzen
Nordseite der Insel anerkannt, und Geffrard setzte sich jetzt nach der Haupt¬
stadt in Bewegung.

Nach den neuesten Nachrichten rückte das Jnsurgentcnhcer am 15. Jan.
ohne auf Widerstand zu stoßen in Port an Prince ein und befreite auch hier
zunächst die Gefangenen, welche der Gouverneur der Stadt Vit de Luden als
verdächtig ins Gefängniß geworfen hatte. Vit de Ludim flüchtete sich mit dem
Cabinetssecrctär Dclva in das Haus des französischen Generalconsuls, von
wo sie des Nachts verkleidet auf ein Schiff entkamen. Auch Soulouque nahm
seine Zuflucht unter der Flagge Frankreichs; von aller Welt verlassen und
verwünscht, ließ er sich zwei Tage darauf nach dem englischen Transportschiff
"Melbourne" bringen, welches ihn sammt seinen Getreuen nach Jamaika
schaffte. Zwei Tage nach seiner Abfahrt wurde seine Abdankung veröffent¬
licht. Von seinen Schützen hat er, wie es heißt, nichts retten können.

Präsident Geffrard ist ein Mulatte von etwa fünfzig Jahren, von anstän¬
digen Manieren, beim Heere beliebt, den Fremden wohlgeneigt und wie man
behauptet, sehr intelligent. Seine ersten Negicrungsmaßregeln zeugen von
Verstand und Mäßigung. Ein im Moniteur Haitien veröffentlichtes Decret des¬
selben öffnete dem auswärtigen Handel alle von Soulouque für Ausländer


und riefen: „Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit!" Niemand wider¬
setzte sich ihnen, am wenigsten die Soldaten der Wache, welche sogar aus
ihren Befehl Alarm schlugen. Der Platzcommandant zögerte erst ein wenig,
erklärte sich indeß als alter, dem Blutvergießen abgeneigter Mann endlich für
die Bewegung. Mit ihm schlössen sich sämmtliche'Offiziere und Civilbecuntcn
der Stadt dem Aufstand an. Man öffnete die Gefängnisse, um die wegen
politischer Verbrechen Eingekerkerten frei zu lassen, die natürlich mit doppelter
Bereitwilligkeit in den Ruf: „Es lebe die Freiheit! einstimmten. Am nächsten
Tage wurde Geffrard feierlich zum Präsidenten der Republik Haiti ausgerufen
und zu gleicher Zeit „General Soulouquc" wegen verschiedener Verbrechen,
unter anderm Diebstahl — als im Anklagestand befindlich erklärt. In der
Kirche wurde ein Tedeum gesungen und ein schwarzer Abb6 hielt eine wohl-
gesetzte Geiegenheitsrede. Auch Geffrard erfreute die Versammelten mit einem
Erguß seiner Beredsamkeit, in welchem er die Gründe der Erhebung angab,
und wie das bei solchen Fällen der Brauch, durchgreifende Reformen, Ab¬
stellung aller Mißbräuche, eine neue Aera der Wohlfahrt des Vaterlandes
und ähnliche vortreffliche, in Haiti vorläufig unerreichbare Dinge versprach.
Am 24. brach er nach der befestigten Stadt Se. Marc auf, deren Comman¬
dant sich ihm ohne Zaudern anschloß. Zu dieser starken Stellung und an
der Spitze von zwei Regimentern erwartete der neue Präsident die Unterwer¬
fung der übrigen Orte. Nach wenigen Tagen war die Republik von Cap
Haitien, Plaisance, Port de Paix, Limbü, Se. Michel, kurz von der ganzen
Nordseite der Insel anerkannt, und Geffrard setzte sich jetzt nach der Haupt¬
stadt in Bewegung.

Nach den neuesten Nachrichten rückte das Jnsurgentcnhcer am 15. Jan.
ohne auf Widerstand zu stoßen in Port an Prince ein und befreite auch hier
zunächst die Gefangenen, welche der Gouverneur der Stadt Vit de Luden als
verdächtig ins Gefängniß geworfen hatte. Vit de Ludim flüchtete sich mit dem
Cabinetssecrctär Dclva in das Haus des französischen Generalconsuls, von
wo sie des Nachts verkleidet auf ein Schiff entkamen. Auch Soulouque nahm
seine Zuflucht unter der Flagge Frankreichs; von aller Welt verlassen und
verwünscht, ließ er sich zwei Tage darauf nach dem englischen Transportschiff
„Melbourne" bringen, welches ihn sammt seinen Getreuen nach Jamaika
schaffte. Zwei Tage nach seiner Abfahrt wurde seine Abdankung veröffent¬
licht. Von seinen Schützen hat er, wie es heißt, nichts retten können.

Präsident Geffrard ist ein Mulatte von etwa fünfzig Jahren, von anstän¬
digen Manieren, beim Heere beliebt, den Fremden wohlgeneigt und wie man
behauptet, sehr intelligent. Seine ersten Negicrungsmaßregeln zeugen von
Verstand und Mäßigung. Ein im Moniteur Haitien veröffentlichtes Decret des¬
selben öffnete dem auswärtigen Handel alle von Soulouque für Ausländer


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[0446] und riefen: „Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit!" Niemand wider¬ setzte sich ihnen, am wenigsten die Soldaten der Wache, welche sogar aus ihren Befehl Alarm schlugen. Der Platzcommandant zögerte erst ein wenig, erklärte sich indeß als alter, dem Blutvergießen abgeneigter Mann endlich für die Bewegung. Mit ihm schlössen sich sämmtliche'Offiziere und Civilbecuntcn der Stadt dem Aufstand an. Man öffnete die Gefängnisse, um die wegen politischer Verbrechen Eingekerkerten frei zu lassen, die natürlich mit doppelter Bereitwilligkeit in den Ruf: „Es lebe die Freiheit! einstimmten. Am nächsten Tage wurde Geffrard feierlich zum Präsidenten der Republik Haiti ausgerufen und zu gleicher Zeit „General Soulouquc" wegen verschiedener Verbrechen, unter anderm Diebstahl — als im Anklagestand befindlich erklärt. In der Kirche wurde ein Tedeum gesungen und ein schwarzer Abb6 hielt eine wohl- gesetzte Geiegenheitsrede. Auch Geffrard erfreute die Versammelten mit einem Erguß seiner Beredsamkeit, in welchem er die Gründe der Erhebung angab, und wie das bei solchen Fällen der Brauch, durchgreifende Reformen, Ab¬ stellung aller Mißbräuche, eine neue Aera der Wohlfahrt des Vaterlandes und ähnliche vortreffliche, in Haiti vorläufig unerreichbare Dinge versprach. Am 24. brach er nach der befestigten Stadt Se. Marc auf, deren Comman¬ dant sich ihm ohne Zaudern anschloß. Zu dieser starken Stellung und an der Spitze von zwei Regimentern erwartete der neue Präsident die Unterwer¬ fung der übrigen Orte. Nach wenigen Tagen war die Republik von Cap Haitien, Plaisance, Port de Paix, Limbü, Se. Michel, kurz von der ganzen Nordseite der Insel anerkannt, und Geffrard setzte sich jetzt nach der Haupt¬ stadt in Bewegung. Nach den neuesten Nachrichten rückte das Jnsurgentcnhcer am 15. Jan. ohne auf Widerstand zu stoßen in Port an Prince ein und befreite auch hier zunächst die Gefangenen, welche der Gouverneur der Stadt Vit de Luden als verdächtig ins Gefängniß geworfen hatte. Vit de Ludim flüchtete sich mit dem Cabinetssecrctär Dclva in das Haus des französischen Generalconsuls, von wo sie des Nachts verkleidet auf ein Schiff entkamen. Auch Soulouque nahm seine Zuflucht unter der Flagge Frankreichs; von aller Welt verlassen und verwünscht, ließ er sich zwei Tage darauf nach dem englischen Transportschiff „Melbourne" bringen, welches ihn sammt seinen Getreuen nach Jamaika schaffte. Zwei Tage nach seiner Abfahrt wurde seine Abdankung veröffent¬ licht. Von seinen Schützen hat er, wie es heißt, nichts retten können. Präsident Geffrard ist ein Mulatte von etwa fünfzig Jahren, von anstän¬ digen Manieren, beim Heere beliebt, den Fremden wohlgeneigt und wie man behauptet, sehr intelligent. Seine ersten Negicrungsmaßregeln zeugen von Verstand und Mäßigung. Ein im Moniteur Haitien veröffentlichtes Decret des¬ selben öffnete dem auswärtigen Handel alle von Soulouque für Ausländer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/446>, abgerufen am 24.07.2024.