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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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als hätten seine Theilnehmer sich mit den weggeworfenen Hadern einer herum¬
ziehenden Komödiantentruppe ausstaffirt. Auf dem Kopf des Einen saß ein Jn-
santcriekäppi, das auch als Feuercimer zu brauchen gewesen wäre, auf dem
des Andern eine Husarenmütze, die lange Jahre als Aschpfanne gedient zu
haben schien. Ein Bursch war completer Grenadier bis zum Kinn, von da
an weiter herab ein vollständiger Lumpenkerl, ein Vierter trug Generalsepau¬
letten, aber weder Schuhe noch Strümpfe. Hier hatte einer blos ein Bajonett
an der Hosentasche hängen, dort ein andrer einen alten schäbigen Galanteriedegen,
da ein dritter eine verrostete Muskete -- der ganze An- und Aufzug war eine
Cancatur von vertrödeltem Putz und Uniformen. Ich war im Begriff, die Leute
aus purer Artigkeit anzulanden. Der wilde ingrimmige Blick jedoch, mit dem
sie uns vom Kopf bis zu den Füßen maßen, ließ mich ernst bleiben. Die
Weißen werden hier blos geduldet, und da meine Haut von dieser verdäch¬
tigen Farbe ist, so erwählte ich das tingere Theil und war höflich."

Von aller dieser Erbärmlichkeit war in den amtlichen Berichterstattungen,
welche die Minister Soulouques dem Abgeordnetenhause alljährlich vorlegten,
natürlich nicht die Rede. Die Negierung, heißt es in einem dieser phrasen¬
reichen Actenstücke, biete alle Mittel auf, um den Ackerbau zu heben; denn
sie wisse sehr wohl, daß er die Grundlage des Wohlergehens der Bevölkerung
bilde. Alle Unterthanen hingen deshalb auch mit ganzer Seele an ihrem
geliebten Herrscher, Kaiser Faustin dem Ersten. Sr. Majestät habe dies in
vollem Maße bei seinen Rundreisen während der letzten Jahre erfahren. Han¬
del und Verkehr seien im Steigen begriffen; namentlich habe sich die Einfuhr
im Lauf der letzten vier Jahre um das Vierfache gesteigert. Deckten trotzdem
die Einnahmen noch immer nicht die Ausgaben, so wäre die Schuld davon
lediglich in den außerordentlichen Bedürfnissen des Staats zur Abtragung der
Schuld an Frankreich und zur Zahlung der Interessen von Anleihen zu suchen,
welches alles von den vorhergehenden Regierungen versäumt worden sei.

Demgegenüber stimmen alle unparteiischen Berichte überein, daß das
Negerreich Haiti unter Soulouque mit jedem Jahr rascher seinem materiellen
Ruin entgegenging. In dem Maße aber, in welchem das Volk verarmte,
füllten sich, trotz der großen Ausgaben des kaiserlichen Hofhaltes, der allein
dreimal mehr kostet, als der gesammte Staatshaushalt zur Zeit Boyers. die
Truhen Soulouques immer mehr, und er soll, als er endlich vertrieben wurde,
einen Privatschatz von 28,000 Dublonen und s Millionen brasilianischer P.e-
sos -- zusammen etwa 7,6t7,200 Thaler zurückgelassen haben -- gewiß eine
schöne Ersparniß bei elfjähriger Herrschaft über eine halbe Million Menschen,
zumal, wenn man in Anschlag bringt, daß die Summe dem Volke direct aus¬
gesaugt, nicht wie anderwärts durch geschickt dirigirte Börsenmanöver aus der
Tasche der Nation gelockt worden war. Soulouque scheint übrigens schon vor


als hätten seine Theilnehmer sich mit den weggeworfenen Hadern einer herum¬
ziehenden Komödiantentruppe ausstaffirt. Auf dem Kopf des Einen saß ein Jn-
santcriekäppi, das auch als Feuercimer zu brauchen gewesen wäre, auf dem
des Andern eine Husarenmütze, die lange Jahre als Aschpfanne gedient zu
haben schien. Ein Bursch war completer Grenadier bis zum Kinn, von da
an weiter herab ein vollständiger Lumpenkerl, ein Vierter trug Generalsepau¬
letten, aber weder Schuhe noch Strümpfe. Hier hatte einer blos ein Bajonett
an der Hosentasche hängen, dort ein andrer einen alten schäbigen Galanteriedegen,
da ein dritter eine verrostete Muskete — der ganze An- und Aufzug war eine
Cancatur von vertrödeltem Putz und Uniformen. Ich war im Begriff, die Leute
aus purer Artigkeit anzulanden. Der wilde ingrimmige Blick jedoch, mit dem
sie uns vom Kopf bis zu den Füßen maßen, ließ mich ernst bleiben. Die
Weißen werden hier blos geduldet, und da meine Haut von dieser verdäch¬
tigen Farbe ist, so erwählte ich das tingere Theil und war höflich."

Von aller dieser Erbärmlichkeit war in den amtlichen Berichterstattungen,
welche die Minister Soulouques dem Abgeordnetenhause alljährlich vorlegten,
natürlich nicht die Rede. Die Negierung, heißt es in einem dieser phrasen¬
reichen Actenstücke, biete alle Mittel auf, um den Ackerbau zu heben; denn
sie wisse sehr wohl, daß er die Grundlage des Wohlergehens der Bevölkerung
bilde. Alle Unterthanen hingen deshalb auch mit ganzer Seele an ihrem
geliebten Herrscher, Kaiser Faustin dem Ersten. Sr. Majestät habe dies in
vollem Maße bei seinen Rundreisen während der letzten Jahre erfahren. Han¬
del und Verkehr seien im Steigen begriffen; namentlich habe sich die Einfuhr
im Lauf der letzten vier Jahre um das Vierfache gesteigert. Deckten trotzdem
die Einnahmen noch immer nicht die Ausgaben, so wäre die Schuld davon
lediglich in den außerordentlichen Bedürfnissen des Staats zur Abtragung der
Schuld an Frankreich und zur Zahlung der Interessen von Anleihen zu suchen,
welches alles von den vorhergehenden Regierungen versäumt worden sei.

Demgegenüber stimmen alle unparteiischen Berichte überein, daß das
Negerreich Haiti unter Soulouque mit jedem Jahr rascher seinem materiellen
Ruin entgegenging. In dem Maße aber, in welchem das Volk verarmte,
füllten sich, trotz der großen Ausgaben des kaiserlichen Hofhaltes, der allein
dreimal mehr kostet, als der gesammte Staatshaushalt zur Zeit Boyers. die
Truhen Soulouques immer mehr, und er soll, als er endlich vertrieben wurde,
einen Privatschatz von 28,000 Dublonen und s Millionen brasilianischer P.e-
sos — zusammen etwa 7,6t7,200 Thaler zurückgelassen haben — gewiß eine
schöne Ersparniß bei elfjähriger Herrschaft über eine halbe Million Menschen,
zumal, wenn man in Anschlag bringt, daß die Summe dem Volke direct aus¬
gesaugt, nicht wie anderwärts durch geschickt dirigirte Börsenmanöver aus der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/442>, abgerufen am 24.07.2024.