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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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indem der Geist des Tasia mitwirkt*) zu einer Art Tanz, der zu einem ent¬
setzlichen Gliederschlenkern und ellenhohem Emporschnellen ausartet und große
Ähnlichkeit mit unserm Veitstanz hat. Der Priester scheint diese epileptischen
Zufälle durch Manöver hervorzurufen, welche mit dem thierischen Magnetismus
in Verbindung stehen. Es ist indeß möglich, daß sie nur Folge einer ähn¬
lichen religiösen Aufregung sind, wie sie an den amerikanischen Shakern. bei
den Revivals und Campmeetings der Methodisten und bei den Zikrs der
türkischen Derwische beobachtet werden. Häusig endigt dieses Hüpfen, Ver¬
renken und Grimassenschneiden, während dessen der wilde Gesang fortdauert,
mit mehrstündiger Bewußtlosigkeit. Wenn der Tänzer bei seinen Bewegungen
den Kreis überschreitet, gilt es als böses Omen, die Sänger schweigen plötzlich,
und Papa und Manail Wodu wenden den Rücken, um üble Folgen ab¬
zuwenden.

Nachdem der Aufzunehmende die Probe abgelegt, leistet er den Eid der
Verschwiegenheit vor dem Altar der Schlange, und nun hebt der Tanz des
Wodu an. Der Priester berührt mit der Hand oder dem Fuß den Kasten,
welcher den Fetisch enthält. Sofort beginnen ihm alle obern Theile des Kör¬
pers zu zittern, und aus dem Beben der Muskeln werden schlenkernde Be¬
wegungen, wie wenn ihm alle Glieder aus den Gelenken gereute wären,
Dieselben theilen sich wie durch einen elektrischen Strom allmälig den übrigen
Anwesenden mit, und bald dreht sich die ganze Gesellschaft in schwindelnder
Hast um die eigne Axe. Die Priesterin, die daran Theil nimmt, steigert die
- Tanzwuth, indem sie die Schellen bewegt, mit denen der Kasten der Schlange
behängen lst. Wildes Gelächter und Gestöhn, Purzelbäume, Ohnmachten,
Bisse bekunden die unheimliche Fieberwuth der Tänzer, die noch überdies durch
das Feuer von Tasia gesteigert wird. Die Schwächern fallen endlich erschöpft
zu Boden, die übrigen Theilnehmer der greulichen Orgie tanzen und taumeln
nach einem Platz in der Nähe, wo unter der dreifachen Anreizung geschlechtlicher
Triebe, des Branntweins und der Dunkelheit Scenen aufgeführt werden, vor
denen selbst die stumpfsinnigen Götter Afrikas mit den Zähnen knirschen möchten.

Dies ist die Wodureligion, dies das Geheimniß, welches 1791 im Ver¬
lauf einer einzigen Nacht die trägen und weithin zerstreuten Sklavcnmassen
der Insel zu wüthenden Banden vereinigte, sie sich fast ohne Waffen auf die
Bajonette des französischen Heeres stürzen ließ und die Todesverachtung ein¬
flößte, welche zuletzt über die Taktik der Weißen den Sieg errang. Mehre
der wildesten Führer der Neger gehörten damals dem Bunde an, und jedes¬
mal ehe sie ins Treffen gingen, erhitzten sie sich und die Ihren durch die
Tänze und Anrufungen vor der heiligen Schlange.


') Tasia ist junger Zuckerbranntwem, ein Lieblingsgetrnnk der Neger in Haiti.

indem der Geist des Tasia mitwirkt*) zu einer Art Tanz, der zu einem ent¬
setzlichen Gliederschlenkern und ellenhohem Emporschnellen ausartet und große
Ähnlichkeit mit unserm Veitstanz hat. Der Priester scheint diese epileptischen
Zufälle durch Manöver hervorzurufen, welche mit dem thierischen Magnetismus
in Verbindung stehen. Es ist indeß möglich, daß sie nur Folge einer ähn¬
lichen religiösen Aufregung sind, wie sie an den amerikanischen Shakern. bei
den Revivals und Campmeetings der Methodisten und bei den Zikrs der
türkischen Derwische beobachtet werden. Häusig endigt dieses Hüpfen, Ver¬
renken und Grimassenschneiden, während dessen der wilde Gesang fortdauert,
mit mehrstündiger Bewußtlosigkeit. Wenn der Tänzer bei seinen Bewegungen
den Kreis überschreitet, gilt es als böses Omen, die Sänger schweigen plötzlich,
und Papa und Manail Wodu wenden den Rücken, um üble Folgen ab¬
zuwenden.

Nachdem der Aufzunehmende die Probe abgelegt, leistet er den Eid der
Verschwiegenheit vor dem Altar der Schlange, und nun hebt der Tanz des
Wodu an. Der Priester berührt mit der Hand oder dem Fuß den Kasten,
welcher den Fetisch enthält. Sofort beginnen ihm alle obern Theile des Kör¬
pers zu zittern, und aus dem Beben der Muskeln werden schlenkernde Be¬
wegungen, wie wenn ihm alle Glieder aus den Gelenken gereute wären,
Dieselben theilen sich wie durch einen elektrischen Strom allmälig den übrigen
Anwesenden mit, und bald dreht sich die ganze Gesellschaft in schwindelnder
Hast um die eigne Axe. Die Priesterin, die daran Theil nimmt, steigert die
- Tanzwuth, indem sie die Schellen bewegt, mit denen der Kasten der Schlange
behängen lst. Wildes Gelächter und Gestöhn, Purzelbäume, Ohnmachten,
Bisse bekunden die unheimliche Fieberwuth der Tänzer, die noch überdies durch
das Feuer von Tasia gesteigert wird. Die Schwächern fallen endlich erschöpft
zu Boden, die übrigen Theilnehmer der greulichen Orgie tanzen und taumeln
nach einem Platz in der Nähe, wo unter der dreifachen Anreizung geschlechtlicher
Triebe, des Branntweins und der Dunkelheit Scenen aufgeführt werden, vor
denen selbst die stumpfsinnigen Götter Afrikas mit den Zähnen knirschen möchten.

Dies ist die Wodureligion, dies das Geheimniß, welches 1791 im Ver¬
lauf einer einzigen Nacht die trägen und weithin zerstreuten Sklavcnmassen
der Insel zu wüthenden Banden vereinigte, sie sich fast ohne Waffen auf die
Bajonette des französischen Heeres stürzen ließ und die Todesverachtung ein¬
flößte, welche zuletzt über die Taktik der Weißen den Sieg errang. Mehre
der wildesten Führer der Neger gehörten damals dem Bunde an, und jedes¬
mal ehe sie ins Treffen gingen, erhitzten sie sich und die Ihren durch die
Tänze und Anrufungen vor der heiligen Schlange.


') Tasia ist junger Zuckerbranntwem, ein Lieblingsgetrnnk der Neger in Haiti.
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[0439] indem der Geist des Tasia mitwirkt*) zu einer Art Tanz, der zu einem ent¬ setzlichen Gliederschlenkern und ellenhohem Emporschnellen ausartet und große Ähnlichkeit mit unserm Veitstanz hat. Der Priester scheint diese epileptischen Zufälle durch Manöver hervorzurufen, welche mit dem thierischen Magnetismus in Verbindung stehen. Es ist indeß möglich, daß sie nur Folge einer ähn¬ lichen religiösen Aufregung sind, wie sie an den amerikanischen Shakern. bei den Revivals und Campmeetings der Methodisten und bei den Zikrs der türkischen Derwische beobachtet werden. Häusig endigt dieses Hüpfen, Ver¬ renken und Grimassenschneiden, während dessen der wilde Gesang fortdauert, mit mehrstündiger Bewußtlosigkeit. Wenn der Tänzer bei seinen Bewegungen den Kreis überschreitet, gilt es als böses Omen, die Sänger schweigen plötzlich, und Papa und Manail Wodu wenden den Rücken, um üble Folgen ab¬ zuwenden. Nachdem der Aufzunehmende die Probe abgelegt, leistet er den Eid der Verschwiegenheit vor dem Altar der Schlange, und nun hebt der Tanz des Wodu an. Der Priester berührt mit der Hand oder dem Fuß den Kasten, welcher den Fetisch enthält. Sofort beginnen ihm alle obern Theile des Kör¬ pers zu zittern, und aus dem Beben der Muskeln werden schlenkernde Be¬ wegungen, wie wenn ihm alle Glieder aus den Gelenken gereute wären, Dieselben theilen sich wie durch einen elektrischen Strom allmälig den übrigen Anwesenden mit, und bald dreht sich die ganze Gesellschaft in schwindelnder Hast um die eigne Axe. Die Priesterin, die daran Theil nimmt, steigert die - Tanzwuth, indem sie die Schellen bewegt, mit denen der Kasten der Schlange behängen lst. Wildes Gelächter und Gestöhn, Purzelbäume, Ohnmachten, Bisse bekunden die unheimliche Fieberwuth der Tänzer, die noch überdies durch das Feuer von Tasia gesteigert wird. Die Schwächern fallen endlich erschöpft zu Boden, die übrigen Theilnehmer der greulichen Orgie tanzen und taumeln nach einem Platz in der Nähe, wo unter der dreifachen Anreizung geschlechtlicher Triebe, des Branntweins und der Dunkelheit Scenen aufgeführt werden, vor denen selbst die stumpfsinnigen Götter Afrikas mit den Zähnen knirschen möchten. Dies ist die Wodureligion, dies das Geheimniß, welches 1791 im Ver¬ lauf einer einzigen Nacht die trägen und weithin zerstreuten Sklavcnmassen der Insel zu wüthenden Banden vereinigte, sie sich fast ohne Waffen auf die Bajonette des französischen Heeres stürzen ließ und die Todesverachtung ein¬ flößte, welche zuletzt über die Taktik der Weißen den Sieg errang. Mehre der wildesten Führer der Neger gehörten damals dem Bunde an, und jedes¬ mal ehe sie ins Treffen gingen, erhitzten sie sich und die Ihren durch die Tänze und Anrufungen vor der heiligen Schlange. ') Tasia ist junger Zuckerbranntwem, ein Lieblingsgetrnnk der Neger in Haiti.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/439>, abgerufen am 24.07.2024.