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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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auf die Illustrationen -- denn fast ein jedes der obigen Journale ist mit Holz¬
schnitten ausgestattet, -- wird uns von der Art Literatur eine Idee geben,
welche den Lesern der billigeU pariser Presse am meisten zusagt.

Ich greife eine Nummer des ^ourmü xom-Ions heraus, dieses Erstlings
der billigen Literatur- Gleich auf der ersten Seite ist eine junge Dame mit
langen, wallenden Locken, in einer Art militärischen Reitanzugcs abgebildet.
Man möchte glauben sie schou einmal auf der Bühne gesehen zu haben, etwa
als Tochter des Regiments. In ihrer rechten Hand hält sie ein Schwert.
Mit ihrer linken deutet sie auf eine Hütte, aus der sie eben hervorgetreten zu
sein scheint.

Sie kommen zu spät, sagt dieses Mädchen zu zwei Herren, die sich ihr
nähern, und von denen der eine wie ein Pfarrer, der andere wie ein Wild¬
dieb aussieht; Sie kommen zu spät, ich habe ihn getödtet.

Und in der That ist durch die offene Hüttenthür der Kopf eines schönen
jungen Mannes am Boden zu bemerken. Für einen todten Menschen jedoch
sieht er comfortable genug aus. Es scheint eher als wäre er in Schlaf ge¬
sunken, nachdem er bei irgend einem provinzialen Vefour zu luxuriös gespeist
hatte. Aber es wäre wol Unrecht, wollten wir gegen die Hintergründe von
Holzschnitten eine zu strenge Kritik üben.

Nunmehr ein Pröbchen aus einen: noch billigeren Journale "I^v ?uWv-
'l'cunxs". "Flavia senkt ihren Dolch in seinen Busen bis an den Griff." sagt
die Schrift unter der ersten Illustration. Und wenn Du Deinen Blick hin¬
wendest, wirst Du sicherlich genug Flavia sehen, wie sie in der Mitte eines
gedrängt vollen Salons als Ziel ihres mörderischen Stoßes den Busenstreif
eines prächtig gekleideten Herrn sich erkoren hat. Der aber sinkt in die Arme
eines Freundes, preßt die Hand schmerzlich auf die Brust und scheint grade
auszurufen: "O, der Drache!" Weiterhin in derselben Nummer ist ein an¬
ständig gekleideter Herr von mittleren Jahren abgebildet, wie er eben rück¬
wärts die Steintreppe eines Kellers hinabstürzt. Aus den Stufen dicht über
ihm steht eine klytämnestramäßig aussehende Dame, sehr leicht gekleidet, eine
Lampe in der linken Hand, einen Dolch in der rechten. Aus dem äußerst
unangenehmen Blick, welcher aus ihren Augen hervorbricht, kannst Du ent¬
nehmen, daß sie es war, die den mittelalterlichen Herrn auf eine ebenso schnelle
als unerwünschte Weise in die tieferen Regionen befördert hat.

Und was finden wir in der Illustration des "Diumndm", einer Illu¬
stration, die mit solchem Geist entworfen und so sauber gezeichnet ist, daß
wir uns unwillkürlich fragen, wie es ein Cinsoujomnal möglich machen kann,
ein solches Talent zu beschäftigen -- was finden wir, frage ich, in dieser
Illustration? Claude Mouriez, verwundet, stößt einen Verzweiflungsschrei aus.
Das wundert mich nicht. Wären wir, guter Leser, Du oder ich, in seiner


auf die Illustrationen — denn fast ein jedes der obigen Journale ist mit Holz¬
schnitten ausgestattet, — wird uns von der Art Literatur eine Idee geben,
welche den Lesern der billigeU pariser Presse am meisten zusagt.

Ich greife eine Nummer des ^ourmü xom-Ions heraus, dieses Erstlings
der billigen Literatur- Gleich auf der ersten Seite ist eine junge Dame mit
langen, wallenden Locken, in einer Art militärischen Reitanzugcs abgebildet.
Man möchte glauben sie schou einmal auf der Bühne gesehen zu haben, etwa
als Tochter des Regiments. In ihrer rechten Hand hält sie ein Schwert.
Mit ihrer linken deutet sie auf eine Hütte, aus der sie eben hervorgetreten zu
sein scheint.

Sie kommen zu spät, sagt dieses Mädchen zu zwei Herren, die sich ihr
nähern, und von denen der eine wie ein Pfarrer, der andere wie ein Wild¬
dieb aussieht; Sie kommen zu spät, ich habe ihn getödtet.

Und in der That ist durch die offene Hüttenthür der Kopf eines schönen
jungen Mannes am Boden zu bemerken. Für einen todten Menschen jedoch
sieht er comfortable genug aus. Es scheint eher als wäre er in Schlaf ge¬
sunken, nachdem er bei irgend einem provinzialen Vefour zu luxuriös gespeist
hatte. Aber es wäre wol Unrecht, wollten wir gegen die Hintergründe von
Holzschnitten eine zu strenge Kritik üben.

Nunmehr ein Pröbchen aus einen: noch billigeren Journale „I^v ?uWv-
'l'cunxs". „Flavia senkt ihren Dolch in seinen Busen bis an den Griff." sagt
die Schrift unter der ersten Illustration. Und wenn Du Deinen Blick hin¬
wendest, wirst Du sicherlich genug Flavia sehen, wie sie in der Mitte eines
gedrängt vollen Salons als Ziel ihres mörderischen Stoßes den Busenstreif
eines prächtig gekleideten Herrn sich erkoren hat. Der aber sinkt in die Arme
eines Freundes, preßt die Hand schmerzlich auf die Brust und scheint grade
auszurufen: „O, der Drache!" Weiterhin in derselben Nummer ist ein an¬
ständig gekleideter Herr von mittleren Jahren abgebildet, wie er eben rück¬
wärts die Steintreppe eines Kellers hinabstürzt. Aus den Stufen dicht über
ihm steht eine klytämnestramäßig aussehende Dame, sehr leicht gekleidet, eine
Lampe in der linken Hand, einen Dolch in der rechten. Aus dem äußerst
unangenehmen Blick, welcher aus ihren Augen hervorbricht, kannst Du ent¬
nehmen, daß sie es war, die den mittelalterlichen Herrn auf eine ebenso schnelle
als unerwünschte Weise in die tieferen Regionen befördert hat.

Und was finden wir in der Illustration des „Diumndm", einer Illu¬
stration, die mit solchem Geist entworfen und so sauber gezeichnet ist, daß
wir uns unwillkürlich fragen, wie es ein Cinsoujomnal möglich machen kann,
ein solches Talent zu beschäftigen — was finden wir, frage ich, in dieser
Illustration? Claude Mouriez, verwundet, stößt einen Verzweiflungsschrei aus.
Das wundert mich nicht. Wären wir, guter Leser, Du oder ich, in seiner


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[0399] auf die Illustrationen — denn fast ein jedes der obigen Journale ist mit Holz¬ schnitten ausgestattet, — wird uns von der Art Literatur eine Idee geben, welche den Lesern der billigeU pariser Presse am meisten zusagt. Ich greife eine Nummer des ^ourmü xom-Ions heraus, dieses Erstlings der billigen Literatur- Gleich auf der ersten Seite ist eine junge Dame mit langen, wallenden Locken, in einer Art militärischen Reitanzugcs abgebildet. Man möchte glauben sie schou einmal auf der Bühne gesehen zu haben, etwa als Tochter des Regiments. In ihrer rechten Hand hält sie ein Schwert. Mit ihrer linken deutet sie auf eine Hütte, aus der sie eben hervorgetreten zu sein scheint. Sie kommen zu spät, sagt dieses Mädchen zu zwei Herren, die sich ihr nähern, und von denen der eine wie ein Pfarrer, der andere wie ein Wild¬ dieb aussieht; Sie kommen zu spät, ich habe ihn getödtet. Und in der That ist durch die offene Hüttenthür der Kopf eines schönen jungen Mannes am Boden zu bemerken. Für einen todten Menschen jedoch sieht er comfortable genug aus. Es scheint eher als wäre er in Schlaf ge¬ sunken, nachdem er bei irgend einem provinzialen Vefour zu luxuriös gespeist hatte. Aber es wäre wol Unrecht, wollten wir gegen die Hintergründe von Holzschnitten eine zu strenge Kritik üben. Nunmehr ein Pröbchen aus einen: noch billigeren Journale „I^v ?uWv- 'l'cunxs". „Flavia senkt ihren Dolch in seinen Busen bis an den Griff." sagt die Schrift unter der ersten Illustration. Und wenn Du Deinen Blick hin¬ wendest, wirst Du sicherlich genug Flavia sehen, wie sie in der Mitte eines gedrängt vollen Salons als Ziel ihres mörderischen Stoßes den Busenstreif eines prächtig gekleideten Herrn sich erkoren hat. Der aber sinkt in die Arme eines Freundes, preßt die Hand schmerzlich auf die Brust und scheint grade auszurufen: „O, der Drache!" Weiterhin in derselben Nummer ist ein an¬ ständig gekleideter Herr von mittleren Jahren abgebildet, wie er eben rück¬ wärts die Steintreppe eines Kellers hinabstürzt. Aus den Stufen dicht über ihm steht eine klytämnestramäßig aussehende Dame, sehr leicht gekleidet, eine Lampe in der linken Hand, einen Dolch in der rechten. Aus dem äußerst unangenehmen Blick, welcher aus ihren Augen hervorbricht, kannst Du ent¬ nehmen, daß sie es war, die den mittelalterlichen Herrn auf eine ebenso schnelle als unerwünschte Weise in die tieferen Regionen befördert hat. Und was finden wir in der Illustration des „Diumndm", einer Illu¬ stration, die mit solchem Geist entworfen und so sauber gezeichnet ist, daß wir uns unwillkürlich fragen, wie es ein Cinsoujomnal möglich machen kann, ein solches Talent zu beschäftigen — was finden wir, frage ich, in dieser Illustration? Claude Mouriez, verwundet, stößt einen Verzweiflungsschrei aus. Das wundert mich nicht. Wären wir, guter Leser, Du oder ich, in seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/399>, abgerufen am 24.07.2024.