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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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nützlich sein kann," sondern auch wo "die Winde des Kaisers" oder noch wo
"Rußlands positive Interessen" es fordern. Das ist: in jedem beliebigen
Falle. Und dies in der beleidigenden Voraussetzung. daß Nußland den
schwächeren Staaten eine unentbehrliche Schlltzmacht sein müsse, gleich als ob
die Politik aller andern Großmächte von vornherein auf die Rechtsverletzung
gegen die kleineren Staaten hinziele. Ja, es wird selbst angedeutet, daß
Rußland, bisher durch langjährige Allianzen zu langmüthiger Rücksichten ge¬
nöthigt, sich nunmehr erst in dem Falle befinde, seine schützende Ausgabe ener¬
gisch durchzuführen, nachdem ihm die Verhältnisse "die volle Freiheit des
Handelns wiedergegeben." Trotzdem dies alles nicht unter Voranstellung des
europäischen, sondern des "nationalen" Standpunktes, welcher deshalb "nicht
egoistisch" sein soll, weil der Zar "nicht zugeben wird, daß die Wahrung dieser
Interessen eine Verletzung der Rechte anderer beschönigen könne."

> Dieses Programm, in dem Moment veröffentlicht, als ganz Europa und
das fernste Asien seine Huldigungen zur Krönung des Zaren darbrachte, mußte
nothwendig bei den zu Moskau versammelten nationalaristokratischen Elemen¬
ten den Eindruck befestigen, daß namentlich diejenigen Staaten, deren Prinzen
um den kaiserlichen Thron geschart waren, das russische Principal auch voll¬
ständig anerkennen. Der Nationalstolz konnte sich daran bis zum Uebermuth
steigern. Eine ernstliche Einsprache und Gegenrede, in gleicher Welse demon¬
strativ wie die russische Erklärung, war überdies unter den augenblicklichen
Verhältnissen nicht zu besorgen. Mit Frankreich war die Einleitung mannig¬
fachster Interessengemeinschaften bereits zu weit vorgeschritten, und Graf Morny
bekanntermaßen dazu beauftragt, dieselben durch neue Vervielfältigungen
(Handels- und Schifsahrtsvertrag) noch fester zu knüpfen. England sah sich
momentan vom chinesischen Krieg und der Wiedereinlebung des europäischen
Friedens gleichzeitig zu sehr in Anspruch genommen, um wegen bloßer Worte
neue Verwicklungen auskommen zu lassen. Oestreich stand bei den sormeljeu
Gelegenheiten des Circulars, bei der griechischen und neapolitanischen An¬
gelegenheit, principiell aus Rußlands Seite, hütete sich also, die Anmaßungen
und Drohungen des Circulars bloßznlegen. In Preußen endlich herrschte die
Manteuffelsche Politik noch unangefochten, deren bedientcnhafte Deferenz für
Rußland jede selbst formelle Rücksicht unnöthig machte. Um aber nicht blos
mit Worten anzudeuten, sondern durch die That reicht genau zu bezeichnen,
nach welchen Seiten im Zarcncabinet kein Gedanke an Aussöhnung vorhan¬
den sei, wurden unter den repräsentierenden Krönuugögästen die Botschafter
Oestreichs und Englands mit nahezu beleidigender Kälte behandelt. Diese
eigenthümliche Demonstration galt als besondere Aufmerksamkeit für die Armee,
in welcher während des ganzen orientalischen Krieges der Wunsch nach einem
Separatfrieden mit Frankreich und nach einem Kampf namentlich mit Oest-


Grcnzboten I. 1850. 4!)

nützlich sein kann," sondern auch wo „die Winde des Kaisers" oder noch wo
„Rußlands positive Interessen" es fordern. Das ist: in jedem beliebigen
Falle. Und dies in der beleidigenden Voraussetzung. daß Nußland den
schwächeren Staaten eine unentbehrliche Schlltzmacht sein müsse, gleich als ob
die Politik aller andern Großmächte von vornherein auf die Rechtsverletzung
gegen die kleineren Staaten hinziele. Ja, es wird selbst angedeutet, daß
Rußland, bisher durch langjährige Allianzen zu langmüthiger Rücksichten ge¬
nöthigt, sich nunmehr erst in dem Falle befinde, seine schützende Ausgabe ener¬
gisch durchzuführen, nachdem ihm die Verhältnisse „die volle Freiheit des
Handelns wiedergegeben." Trotzdem dies alles nicht unter Voranstellung des
europäischen, sondern des „nationalen" Standpunktes, welcher deshalb „nicht
egoistisch" sein soll, weil der Zar „nicht zugeben wird, daß die Wahrung dieser
Interessen eine Verletzung der Rechte anderer beschönigen könne."

> Dieses Programm, in dem Moment veröffentlicht, als ganz Europa und
das fernste Asien seine Huldigungen zur Krönung des Zaren darbrachte, mußte
nothwendig bei den zu Moskau versammelten nationalaristokratischen Elemen¬
ten den Eindruck befestigen, daß namentlich diejenigen Staaten, deren Prinzen
um den kaiserlichen Thron geschart waren, das russische Principal auch voll¬
ständig anerkennen. Der Nationalstolz konnte sich daran bis zum Uebermuth
steigern. Eine ernstliche Einsprache und Gegenrede, in gleicher Welse demon¬
strativ wie die russische Erklärung, war überdies unter den augenblicklichen
Verhältnissen nicht zu besorgen. Mit Frankreich war die Einleitung mannig¬
fachster Interessengemeinschaften bereits zu weit vorgeschritten, und Graf Morny
bekanntermaßen dazu beauftragt, dieselben durch neue Vervielfältigungen
(Handels- und Schifsahrtsvertrag) noch fester zu knüpfen. England sah sich
momentan vom chinesischen Krieg und der Wiedereinlebung des europäischen
Friedens gleichzeitig zu sehr in Anspruch genommen, um wegen bloßer Worte
neue Verwicklungen auskommen zu lassen. Oestreich stand bei den sormeljeu
Gelegenheiten des Circulars, bei der griechischen und neapolitanischen An¬
gelegenheit, principiell aus Rußlands Seite, hütete sich also, die Anmaßungen
und Drohungen des Circulars bloßznlegen. In Preußen endlich herrschte die
Manteuffelsche Politik noch unangefochten, deren bedientcnhafte Deferenz für
Rußland jede selbst formelle Rücksicht unnöthig machte. Um aber nicht blos
mit Worten anzudeuten, sondern durch die That reicht genau zu bezeichnen,
nach welchen Seiten im Zarcncabinet kein Gedanke an Aussöhnung vorhan¬
den sei, wurden unter den repräsentierenden Krönuugögästen die Botschafter
Oestreichs und Englands mit nahezu beleidigender Kälte behandelt. Diese
eigenthümliche Demonstration galt als besondere Aufmerksamkeit für die Armee,
in welcher während des ganzen orientalischen Krieges der Wunsch nach einem
Separatfrieden mit Frankreich und nach einem Kampf namentlich mit Oest-


Grcnzboten I. 1850. 4!)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/395>, abgerufen am 24.07.2024.