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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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stehenden Beziehungen sich richten." Jede Einwirkung auf die innere souve¬
ränes, welche über den wohlgemeinten Rath hinausgehe, heiße "sich gewalt¬
sam an die Stelle ihrer Autorität setzen" und "das Necht des Stärkeren über
den Schwachen proclamiren." Dies sei die Ansicht des Kaisers, ihr offnes
Bekenntniß in allen Fragen des öffentlichen Rechts sein Princip, um "mit
allen Regierungen in gutem Einverständnis;" zu leben. Das Bündniß derer,
"welche lange Jahre mit uns jene Principien aufrecht erhalten haben, denen
Europa einen mehr als fünfundzwanzigjährigen Frieden verdankte, (-- die
sogenannte nordische Allianz --) besteht nicht mehr in alter Unversehrtheit."
Des Kaisers Wille sei diesem Resultat fremd; "die Verhältnisse haben uns
volle Freiheit des Handelns wiedergegeben." Doch "vorzugsweise"
wolle Nußland sich innerlich kräftigen und seine Thätigkeit "nur dann nach
außen wenden, wenn Rußlands positive Interessen es unbedingt for¬
dern." Man werfe Rußland vor, es isolire sich indifferent. Aber "Rußland
schmollt nicht (douclt!), es sammelt sich (so reomiillio)." Immer habe es ge¬
sprochen, wenn dies zur Unterstützung des Rechts nothwendig gewesen sei.
Grade diese "für manche Regierungen schützende und uneigennützige" Handlungs¬
weise sei zu künstlichen Agitationen und zur Anschuldigung "eines Strebens
nach, Gott weiß welcher, Universalherrschast" ausgebeutet worden. "Wir könn¬
ten unser Schweigen durch den Eindruck dieser Erinnerung decken; allein wir
glauben nicht, daß solche Haltung einer Macht geziemt, der die Vorsehung
den Platz in Europa augewiesen hat, welchen Rußland einnimmt." So werde
Nußland auch serner seine Stimme hören lassen,, wo sie "der Sache des Rechts
nützlich sein kann oder wo es die Würde des Kaisers erheischt;" die Anwen¬
dung der "materiellen Kräfte" behalte der Kaiser "seinem freien Ermessen"
vor. "Die Politik unsers erhabenen Gebieters ist eine nationale; sie ist keines¬
wegs egoistisch, und wenn Se. Maj. die Interessen seiner Völker in erste Reihe
stellt, so gibt er doch nicht zu, daß die Wahrung dieser Interessen eine Rechts¬
verletzung anderer beschönigen könne."

Ohne Illusionen betrachtet, erklärt dieses Circular ganz eigentlich die unver¬
änderte Fortsetzung derselben äußern Politik, deren Uebung Alexander der Erste
mit geschickten Formen zur ausgebildetsten Herrschaft gebracht hatte und deren
plumpe Uebergriffe, wie Nikolaus der Erste sie vollführt, durch den orientalischen
Krieg fürderhin hatten unmöglich gemacht werden sollen. Nichts konnte also
den pariser Frieden schneidender und zu größerer Befriedigung der nationalen
Partei kritisiren. als daß der Zar jetzt die von, Europa verfehmte Politik seiner
Vorfahren sogar als Friedensprogramm formulirte. Beim Kaiser sollte die
Entscheidung darüber stehen, was europäisches Recht, was nicht. Die Ein¬
mischung Rußlands in alle internationale Differenzen, mit seiner Stimme, wie
mit seinen Waffen wird vorbehalten, nicht blos, wo es "der Sache des Rechts


stehenden Beziehungen sich richten." Jede Einwirkung auf die innere souve¬
ränes, welche über den wohlgemeinten Rath hinausgehe, heiße „sich gewalt¬
sam an die Stelle ihrer Autorität setzen" und „das Necht des Stärkeren über
den Schwachen proclamiren." Dies sei die Ansicht des Kaisers, ihr offnes
Bekenntniß in allen Fragen des öffentlichen Rechts sein Princip, um „mit
allen Regierungen in gutem Einverständnis;" zu leben. Das Bündniß derer,
„welche lange Jahre mit uns jene Principien aufrecht erhalten haben, denen
Europa einen mehr als fünfundzwanzigjährigen Frieden verdankte, (— die
sogenannte nordische Allianz —) besteht nicht mehr in alter Unversehrtheit."
Des Kaisers Wille sei diesem Resultat fremd; „die Verhältnisse haben uns
volle Freiheit des Handelns wiedergegeben." Doch „vorzugsweise"
wolle Nußland sich innerlich kräftigen und seine Thätigkeit „nur dann nach
außen wenden, wenn Rußlands positive Interessen es unbedingt for¬
dern." Man werfe Rußland vor, es isolire sich indifferent. Aber „Rußland
schmollt nicht (douclt!), es sammelt sich (so reomiillio)." Immer habe es ge¬
sprochen, wenn dies zur Unterstützung des Rechts nothwendig gewesen sei.
Grade diese „für manche Regierungen schützende und uneigennützige" Handlungs¬
weise sei zu künstlichen Agitationen und zur Anschuldigung „eines Strebens
nach, Gott weiß welcher, Universalherrschast" ausgebeutet worden. „Wir könn¬
ten unser Schweigen durch den Eindruck dieser Erinnerung decken; allein wir
glauben nicht, daß solche Haltung einer Macht geziemt, der die Vorsehung
den Platz in Europa augewiesen hat, welchen Rußland einnimmt." So werde
Nußland auch serner seine Stimme hören lassen,, wo sie „der Sache des Rechts
nützlich sein kann oder wo es die Würde des Kaisers erheischt;" die Anwen¬
dung der „materiellen Kräfte" behalte der Kaiser „seinem freien Ermessen"
vor. „Die Politik unsers erhabenen Gebieters ist eine nationale; sie ist keines¬
wegs egoistisch, und wenn Se. Maj. die Interessen seiner Völker in erste Reihe
stellt, so gibt er doch nicht zu, daß die Wahrung dieser Interessen eine Rechts¬
verletzung anderer beschönigen könne."

Ohne Illusionen betrachtet, erklärt dieses Circular ganz eigentlich die unver¬
änderte Fortsetzung derselben äußern Politik, deren Uebung Alexander der Erste
mit geschickten Formen zur ausgebildetsten Herrschaft gebracht hatte und deren
plumpe Uebergriffe, wie Nikolaus der Erste sie vollführt, durch den orientalischen
Krieg fürderhin hatten unmöglich gemacht werden sollen. Nichts konnte also
den pariser Frieden schneidender und zu größerer Befriedigung der nationalen
Partei kritisiren. als daß der Zar jetzt die von, Europa verfehmte Politik seiner
Vorfahren sogar als Friedensprogramm formulirte. Beim Kaiser sollte die
Entscheidung darüber stehen, was europäisches Recht, was nicht. Die Ein¬
mischung Rußlands in alle internationale Differenzen, mit seiner Stimme, wie
mit seinen Waffen wird vorbehalten, nicht blos, wo es „der Sache des Rechts


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[0394] stehenden Beziehungen sich richten." Jede Einwirkung auf die innere souve¬ ränes, welche über den wohlgemeinten Rath hinausgehe, heiße „sich gewalt¬ sam an die Stelle ihrer Autorität setzen" und „das Necht des Stärkeren über den Schwachen proclamiren." Dies sei die Ansicht des Kaisers, ihr offnes Bekenntniß in allen Fragen des öffentlichen Rechts sein Princip, um „mit allen Regierungen in gutem Einverständnis;" zu leben. Das Bündniß derer, „welche lange Jahre mit uns jene Principien aufrecht erhalten haben, denen Europa einen mehr als fünfundzwanzigjährigen Frieden verdankte, (— die sogenannte nordische Allianz —) besteht nicht mehr in alter Unversehrtheit." Des Kaisers Wille sei diesem Resultat fremd; „die Verhältnisse haben uns volle Freiheit des Handelns wiedergegeben." Doch „vorzugsweise" wolle Nußland sich innerlich kräftigen und seine Thätigkeit „nur dann nach außen wenden, wenn Rußlands positive Interessen es unbedingt for¬ dern." Man werfe Rußland vor, es isolire sich indifferent. Aber „Rußland schmollt nicht (douclt!), es sammelt sich (so reomiillio)." Immer habe es ge¬ sprochen, wenn dies zur Unterstützung des Rechts nothwendig gewesen sei. Grade diese „für manche Regierungen schützende und uneigennützige" Handlungs¬ weise sei zu künstlichen Agitationen und zur Anschuldigung „eines Strebens nach, Gott weiß welcher, Universalherrschast" ausgebeutet worden. „Wir könn¬ ten unser Schweigen durch den Eindruck dieser Erinnerung decken; allein wir glauben nicht, daß solche Haltung einer Macht geziemt, der die Vorsehung den Platz in Europa augewiesen hat, welchen Rußland einnimmt." So werde Nußland auch serner seine Stimme hören lassen,, wo sie „der Sache des Rechts nützlich sein kann oder wo es die Würde des Kaisers erheischt;" die Anwen¬ dung der „materiellen Kräfte" behalte der Kaiser „seinem freien Ermessen" vor. „Die Politik unsers erhabenen Gebieters ist eine nationale; sie ist keines¬ wegs egoistisch, und wenn Se. Maj. die Interessen seiner Völker in erste Reihe stellt, so gibt er doch nicht zu, daß die Wahrung dieser Interessen eine Rechts¬ verletzung anderer beschönigen könne." Ohne Illusionen betrachtet, erklärt dieses Circular ganz eigentlich die unver¬ änderte Fortsetzung derselben äußern Politik, deren Uebung Alexander der Erste mit geschickten Formen zur ausgebildetsten Herrschaft gebracht hatte und deren plumpe Uebergriffe, wie Nikolaus der Erste sie vollführt, durch den orientalischen Krieg fürderhin hatten unmöglich gemacht werden sollen. Nichts konnte also den pariser Frieden schneidender und zu größerer Befriedigung der nationalen Partei kritisiren. als daß der Zar jetzt die von, Europa verfehmte Politik seiner Vorfahren sogar als Friedensprogramm formulirte. Beim Kaiser sollte die Entscheidung darüber stehen, was europäisches Recht, was nicht. Die Ein¬ mischung Rußlands in alle internationale Differenzen, mit seiner Stimme, wie mit seinen Waffen wird vorbehalten, nicht blos, wo es „der Sache des Rechts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/394>, abgerufen am 24.07.2024.