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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die Ursachen anerkennt, welche maßgebend gewesen waren für Preußens Fern¬
haltung vom pariser Aprilvertrag, nachdem man ihm bei den Verhandlungen
des Märzfricdens eine zweite Rolle angewiesen hatte. Der Besuch Kaiser
Alexander des Zweiten in Berlin (Mai) sollte zwei Absichten gleichzeitig erfüllen.
Einmal sollte er der Welt sagen, daß Nußland der Stellung nicht fremd war,
welche der deutsche Bund unter preußischer Führung gegen die Ueberzeugungen
der Nation eingehalten hatte; dann sollte er andeuten, daß der Zar. wenn
nöthig, für die Konsequenzen dieser Politik einzustehen entschlossen sei. Der
Eifer, womit die nichtöstreichischen Fürsten Deutschlands dem Rufe zur Ver¬
herrlichung des kaiserlichen Besuches in Berlin folgten, gab der Versammlung
das Aussehn eines demonstrativen (von Nußland, dann von Preußen schon
wahrend des Krieges betriebenen) Fürstencongrcsses so sehr, daß man unmit¬
telbar nachher selbst für gut finden mußte, officiös und officiell die Absicht
zu dementiren, als habe die Demonstration der AprilManz gegolten. Allein
die Demonstration blieb und bezeugte mindestens, daß nicht blos den übrigen
deutschen Höfen, sondern auch dem damaligen Preußen die Innigkeit ihrer
Freundschaftsbeziehungen mit Rußland höher stand, als diejenige mit Oest¬
reich. Die Fortdauer der Jsolirung östreichischer Politik in Deutschland, so
weit sie Nußland betrifft, ward solchermaßen äußerlich als Thatsache hin¬
gestellt.

Ziemlich dieselben Höfe, deren Fürsten sich in Berlin um den Kaiser von
Nußland gruppirt hatten, waren es nun auch, welche zur Krönung nach Mos¬
kau ihre Prinzen von Geblüt abordneten. Alle Großstaaten außer Preußen
begnügten sich mit diplomatischen Vertretungen. Die Wahl der Persönlich¬
keiten für diesen Neprüscntationsact war so lang und ausführlich sogar in
der Presse discutirt worden, daß das russische Cabinet, wenn es das Krö¬
nungsfest zu einem formellen Programm seiner äußeren Politik benutzen mochte,
vollkommene Muße hatte, jedes Wort eines solchen Documents nicht blos der
Zukunft, sondern auch den augenblicklichen Verhältnissen anzupassen. Indem
nun das Circular vom 2. Sept. 185<> an die auswärtigen Vertreter Ru߬
lands noch vor dem Krönungstag (7. Sept.) erlassen wurde, konnte es
zunächst die Form umgehen, seinen Ausgangspunkt vom Krönungsact
selbst zu nehmen. Auf der andern Seite wurde jedoch eine formelle
Hervorhebung desselben aus der Serie sonstiger diplomatischer Actenstücke da¬
durch angedeutet. daß es aus der Krönungsstadt und aus der Zeit des kaiser¬
lichen Aufenthalts in Moskau zum Zweck der Krönung datirt war. Als
Gelegenheit seiner. Kundgebungen ergriff es ferner zwei Streitfragen -- die
Einmischung in das neapolitanische Staatsregiment und die Besetzung Grie¬
chenlands --, in denen die Westmächte zwar principiell im Gegensatz zu
Nußland zusammengingen, aber auch in Differenz miteinander über Mittel


die Ursachen anerkennt, welche maßgebend gewesen waren für Preußens Fern¬
haltung vom pariser Aprilvertrag, nachdem man ihm bei den Verhandlungen
des Märzfricdens eine zweite Rolle angewiesen hatte. Der Besuch Kaiser
Alexander des Zweiten in Berlin (Mai) sollte zwei Absichten gleichzeitig erfüllen.
Einmal sollte er der Welt sagen, daß Nußland der Stellung nicht fremd war,
welche der deutsche Bund unter preußischer Führung gegen die Ueberzeugungen
der Nation eingehalten hatte; dann sollte er andeuten, daß der Zar. wenn
nöthig, für die Konsequenzen dieser Politik einzustehen entschlossen sei. Der
Eifer, womit die nichtöstreichischen Fürsten Deutschlands dem Rufe zur Ver¬
herrlichung des kaiserlichen Besuches in Berlin folgten, gab der Versammlung
das Aussehn eines demonstrativen (von Nußland, dann von Preußen schon
wahrend des Krieges betriebenen) Fürstencongrcsses so sehr, daß man unmit¬
telbar nachher selbst für gut finden mußte, officiös und officiell die Absicht
zu dementiren, als habe die Demonstration der AprilManz gegolten. Allein
die Demonstration blieb und bezeugte mindestens, daß nicht blos den übrigen
deutschen Höfen, sondern auch dem damaligen Preußen die Innigkeit ihrer
Freundschaftsbeziehungen mit Rußland höher stand, als diejenige mit Oest¬
reich. Die Fortdauer der Jsolirung östreichischer Politik in Deutschland, so
weit sie Nußland betrifft, ward solchermaßen äußerlich als Thatsache hin¬
gestellt.

Ziemlich dieselben Höfe, deren Fürsten sich in Berlin um den Kaiser von
Nußland gruppirt hatten, waren es nun auch, welche zur Krönung nach Mos¬
kau ihre Prinzen von Geblüt abordneten. Alle Großstaaten außer Preußen
begnügten sich mit diplomatischen Vertretungen. Die Wahl der Persönlich¬
keiten für diesen Neprüscntationsact war so lang und ausführlich sogar in
der Presse discutirt worden, daß das russische Cabinet, wenn es das Krö¬
nungsfest zu einem formellen Programm seiner äußeren Politik benutzen mochte,
vollkommene Muße hatte, jedes Wort eines solchen Documents nicht blos der
Zukunft, sondern auch den augenblicklichen Verhältnissen anzupassen. Indem
nun das Circular vom 2. Sept. 185<> an die auswärtigen Vertreter Ru߬
lands noch vor dem Krönungstag (7. Sept.) erlassen wurde, konnte es
zunächst die Form umgehen, seinen Ausgangspunkt vom Krönungsact
selbst zu nehmen. Auf der andern Seite wurde jedoch eine formelle
Hervorhebung desselben aus der Serie sonstiger diplomatischer Actenstücke da¬
durch angedeutet. daß es aus der Krönungsstadt und aus der Zeit des kaiser¬
lichen Aufenthalts in Moskau zum Zweck der Krönung datirt war. Als
Gelegenheit seiner. Kundgebungen ergriff es ferner zwei Streitfragen — die
Einmischung in das neapolitanische Staatsregiment und die Besetzung Grie¬
chenlands —, in denen die Westmächte zwar principiell im Gegensatz zu
Nußland zusammengingen, aber auch in Differenz miteinander über Mittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/392>, abgerufen am 24.07.2024.