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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Bart wachsen laßt, dieser aber gewöhnlich sehr dürftig ausfällt, bekanntlich
eine Eigenschaft aller mongolischen Völker.

Die Reichen und alle Würdenträger leben in Vielweiberei. Die ärmere
und niedrigere Classe begnügt sich mit einer Frau, entschädigt sich aber dadurch,
daß sie häusig mit den Ehehälften wechselt. Außerdem fehlt es hier eben¬
so wenig wie in China an Gelegenheit, sich geschlechtlichen Ausschweifungen
hinzugeben. Die Lebensdauer der Anamiten ist im Allgemeinen nicht sehr
groß. Man begegnet selten Greisen, und ein Mann von fünfzig Jahren hat
in der Regel das Aussehen eines Siebzigers bei uns. Ungesundes Klima,
ungenügende Nahrung und ein träges Leben mögen die Hauptursachen davou
sein. Seit einigen Jahren ist dazu der Gebrauch des Opium gekommen,
der die Lebensdauer seiner Liebhaber noch mehr vermindert. Die am
häufigsten auftretenden Krankheiten sind außer Fiebern und Dyssenterien der
Skorbut, Rheumatismus, Elephantiasis, Aussatz und andere Hautübel. Die
Arzeneien, deren man sich dagegen bedient, werden von chinesischen Händlern
verkauft, sie sind wenig werth, und wenn sie niemals helfen, so schaden sie
meist auch nicht allzu viel. In jedem Hause, welches sich einer guten Lage
erfreut, findet sich ein Künstler, welcher sich den Namen Tai duk, d. i. Doctor
der Medicin beilegt. Die Nebenbuhler der Aerzte sind die Zauberer, die fast
noch mehr Zulauf als jene haben. Man hört sie oft einen großen Theil der
Nacht ihre Zauberlieder an Krankenbetten singen. Sie schlagen dazu das
Tamburin, verrenken sich, springen wie besessen einher, schneiden die grä߬
lichsten Grimassen und lassen sichs überhaupt sauer werden. Dafür wird
ihnen aber auch, wenn der böse Geist aus dem Kranken sährt, allgemeine
Bewunderung. Es ist freilich wahr, oft nimmt der Dämon dabei die arme
Seele des Leidenden mit. Aber was schadet's! "Tai say may hau lam" ---
dieser Zauberer ist doch sehr stark -- sagen die Leute und damit hat das
Schauspiel ein Ende.

Die Dörfer und Städte des niedern Landes liegen meist an Flüssen oder
Kanälen, und so bedient man sich der Barken, um Besuche zu machen oder
Geschäfte zu besorgen. Die Wohnungen sind gewöhnlich mit Banmgärtchen
umgeben, in denen man Kokospalmen, Orangen- und Mangobäume und
Bananen erblickt. Die Häuser sind ziemlich einfach: eine Art Hallen, die von
Säulen getragen werden. An den Säulen und Thürpfosten kleben eine Menge
Streifen von gelbem oder rothem Papier, die mit Sprüchen aus den Schrif-
ten chinesischer Philosophen beschrieben sind. Man findet keine mehrstöckigen
Häuser. Das Dach ist mit Stroh, selten mit Ziegeln gedeckt. Die Wände
bestehen aus Planken und Balken, nur die Pagoden haben steinerne Mauern.
Alle Häuser sind voll von lästigen Insekten, und selbst Vornehme tragen deren
in Masse um ihrem Körper mit sich herum. Oesen und Kamine sind unbekannt.


Bart wachsen laßt, dieser aber gewöhnlich sehr dürftig ausfällt, bekanntlich
eine Eigenschaft aller mongolischen Völker.

Die Reichen und alle Würdenträger leben in Vielweiberei. Die ärmere
und niedrigere Classe begnügt sich mit einer Frau, entschädigt sich aber dadurch,
daß sie häusig mit den Ehehälften wechselt. Außerdem fehlt es hier eben¬
so wenig wie in China an Gelegenheit, sich geschlechtlichen Ausschweifungen
hinzugeben. Die Lebensdauer der Anamiten ist im Allgemeinen nicht sehr
groß. Man begegnet selten Greisen, und ein Mann von fünfzig Jahren hat
in der Regel das Aussehen eines Siebzigers bei uns. Ungesundes Klima,
ungenügende Nahrung und ein träges Leben mögen die Hauptursachen davou
sein. Seit einigen Jahren ist dazu der Gebrauch des Opium gekommen,
der die Lebensdauer seiner Liebhaber noch mehr vermindert. Die am
häufigsten auftretenden Krankheiten sind außer Fiebern und Dyssenterien der
Skorbut, Rheumatismus, Elephantiasis, Aussatz und andere Hautübel. Die
Arzeneien, deren man sich dagegen bedient, werden von chinesischen Händlern
verkauft, sie sind wenig werth, und wenn sie niemals helfen, so schaden sie
meist auch nicht allzu viel. In jedem Hause, welches sich einer guten Lage
erfreut, findet sich ein Künstler, welcher sich den Namen Tai duk, d. i. Doctor
der Medicin beilegt. Die Nebenbuhler der Aerzte sind die Zauberer, die fast
noch mehr Zulauf als jene haben. Man hört sie oft einen großen Theil der
Nacht ihre Zauberlieder an Krankenbetten singen. Sie schlagen dazu das
Tamburin, verrenken sich, springen wie besessen einher, schneiden die grä߬
lichsten Grimassen und lassen sichs überhaupt sauer werden. Dafür wird
ihnen aber auch, wenn der böse Geist aus dem Kranken sährt, allgemeine
Bewunderung. Es ist freilich wahr, oft nimmt der Dämon dabei die arme
Seele des Leidenden mit. Aber was schadet's! „Tai say may hau lam" -—
dieser Zauberer ist doch sehr stark — sagen die Leute und damit hat das
Schauspiel ein Ende.

Die Dörfer und Städte des niedern Landes liegen meist an Flüssen oder
Kanälen, und so bedient man sich der Barken, um Besuche zu machen oder
Geschäfte zu besorgen. Die Wohnungen sind gewöhnlich mit Banmgärtchen
umgeben, in denen man Kokospalmen, Orangen- und Mangobäume und
Bananen erblickt. Die Häuser sind ziemlich einfach: eine Art Hallen, die von
Säulen getragen werden. An den Säulen und Thürpfosten kleben eine Menge
Streifen von gelbem oder rothem Papier, die mit Sprüchen aus den Schrif-
ten chinesischer Philosophen beschrieben sind. Man findet keine mehrstöckigen
Häuser. Das Dach ist mit Stroh, selten mit Ziegeln gedeckt. Die Wände
bestehen aus Planken und Balken, nur die Pagoden haben steinerne Mauern.
Alle Häuser sind voll von lästigen Insekten, und selbst Vornehme tragen deren
in Masse um ihrem Körper mit sich herum. Oesen und Kamine sind unbekannt.


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[0388] Bart wachsen laßt, dieser aber gewöhnlich sehr dürftig ausfällt, bekanntlich eine Eigenschaft aller mongolischen Völker. Die Reichen und alle Würdenträger leben in Vielweiberei. Die ärmere und niedrigere Classe begnügt sich mit einer Frau, entschädigt sich aber dadurch, daß sie häusig mit den Ehehälften wechselt. Außerdem fehlt es hier eben¬ so wenig wie in China an Gelegenheit, sich geschlechtlichen Ausschweifungen hinzugeben. Die Lebensdauer der Anamiten ist im Allgemeinen nicht sehr groß. Man begegnet selten Greisen, und ein Mann von fünfzig Jahren hat in der Regel das Aussehen eines Siebzigers bei uns. Ungesundes Klima, ungenügende Nahrung und ein träges Leben mögen die Hauptursachen davou sein. Seit einigen Jahren ist dazu der Gebrauch des Opium gekommen, der die Lebensdauer seiner Liebhaber noch mehr vermindert. Die am häufigsten auftretenden Krankheiten sind außer Fiebern und Dyssenterien der Skorbut, Rheumatismus, Elephantiasis, Aussatz und andere Hautübel. Die Arzeneien, deren man sich dagegen bedient, werden von chinesischen Händlern verkauft, sie sind wenig werth, und wenn sie niemals helfen, so schaden sie meist auch nicht allzu viel. In jedem Hause, welches sich einer guten Lage erfreut, findet sich ein Künstler, welcher sich den Namen Tai duk, d. i. Doctor der Medicin beilegt. Die Nebenbuhler der Aerzte sind die Zauberer, die fast noch mehr Zulauf als jene haben. Man hört sie oft einen großen Theil der Nacht ihre Zauberlieder an Krankenbetten singen. Sie schlagen dazu das Tamburin, verrenken sich, springen wie besessen einher, schneiden die grä߬ lichsten Grimassen und lassen sichs überhaupt sauer werden. Dafür wird ihnen aber auch, wenn der böse Geist aus dem Kranken sährt, allgemeine Bewunderung. Es ist freilich wahr, oft nimmt der Dämon dabei die arme Seele des Leidenden mit. Aber was schadet's! „Tai say may hau lam" -— dieser Zauberer ist doch sehr stark — sagen die Leute und damit hat das Schauspiel ein Ende. Die Dörfer und Städte des niedern Landes liegen meist an Flüssen oder Kanälen, und so bedient man sich der Barken, um Besuche zu machen oder Geschäfte zu besorgen. Die Wohnungen sind gewöhnlich mit Banmgärtchen umgeben, in denen man Kokospalmen, Orangen- und Mangobäume und Bananen erblickt. Die Häuser sind ziemlich einfach: eine Art Hallen, die von Säulen getragen werden. An den Säulen und Thürpfosten kleben eine Menge Streifen von gelbem oder rothem Papier, die mit Sprüchen aus den Schrif- ten chinesischer Philosophen beschrieben sind. Man findet keine mehrstöckigen Häuser. Das Dach ist mit Stroh, selten mit Ziegeln gedeckt. Die Wände bestehen aus Planken und Balken, nur die Pagoden haben steinerne Mauern. Alle Häuser sind voll von lästigen Insekten, und selbst Vornehme tragen deren in Masse um ihrem Körper mit sich herum. Oesen und Kamine sind unbekannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/388>, abgerufen am 24.07.2024.