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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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war nicht in religiöser Unduldsamkeit zu suchen. Der Kaiser und seine Man-
'darinen huldigen einer Religion, die auf Rationalismus hinausläuft. Auch
der Buddhismus ist nicht intolerant. Man sah am Hofe von Hu6 in den
christlichen Glaubensboten ganz ebenso wie in den politischen Gesandtschaften
Vorboten der Eroberung durch die westlichen Barbaren, und man hatte darin
nicht Unrecht. Man hielt sie für Kundschafter, und man war auch damit
nicht völlig auf falschem Wege. Man hatte das Beispiel von Indien und
China vor Augen, und man wußte, welche Rolle der Bischof von Abram ge¬
spielt hatte/) Was er für die legitime Dynastie gethan, konnte ein anderer
für einen Prätendenten thun, wenn dieser dem Katholicismus Vortheile ver¬
sprach. Minh Mens brauchte von seinem Standpunkt die fremden Priester
nicht zu dulden, er konnte fragen, ob man in Frankreich die Lehre des Kon¬
futse oder Schakjamuni predigen lassen werde. Er konnte die Missionäre aus¬
weisen. Wenn er sie köpfen, sie mit glühenden Zangen kneipen, ihnen den
Bauch aufschlitzen ließ, so war er eben ein Barbar. Er konnte sich wundern,
daß man eine Verfolgung, wie er sie verhängte, als etwas Außerordentliches
ansah; denn es war sein Verfahren seit zwei Jahrhunderten Brauch im Lande
gewesen. Bis auf Schialong waren nicht weniger als sechzehn katholische
Priester wegen Proselytenmacherei hingerichtet worden, die Zahl der einhei¬
mischen Geistlichen und Laien gar nicht zu erwähnen.**)

Eine Zeit lang wurde Minh Mens in seinen blutigen Absichten durch
den Großmandarin Takuan gehindert, welcher Vicekönig von Niederkochin-
ch"na war und den Franzosen wohlwollte. Nach dem Tode dieses Beamten
begann die Verfolgung und zwar auf Grund des Umstandes, daß ein anderer
Freund Frankreichs, Namens Khoi, sich empörte, sich der Stadt Saigong (wo
einst Schialong mit dem Bischof von Abram gegen die Usurpatoren des Kaiser¬
thrones conspirirt) und ganz Niederkochinchinas bemächtigte und den Kaiser
für seine Krone fürchten ließ. Minh Mens nahm endlich die von den fran¬
zösischen Mandarinen erbaute Citadelle von Saigong wieder ein. ließ die Ver¬
theidiger derselben über die Klinge springen und den Chef der Rebellen so
wie seinen Freund und Berather, den französischen Missionär Joseph Mar-
chand, auf grausame Weise zu Tode martern.

Später hörten die Verfolgungen der Christen auf, und 1839 zeigte sich
Minh Mens sogar nicht abgeneigt, den unterbrochenen Verkehr mit Frankreich




*) Derselbe starb 1799. Der Kaiser ließ ihn prächtig bestatten, ging mit seinem ganzen
Hofe, seiner Mutter, seinen Frauen, sämmtlichen Großmandarinen und S0,0"0 andern Leid¬
tragenden hinter der Leiche her, und errichtete dem Todten in einem von ihm selbst bearbei¬
teten Garten ein Mausoleum.
") Die ersten Christen, welche hingerichtet wurden, waren einheimische, in Tongking ein
gewisser Frantzois (1630), in Kochinchina ein Katechet Andrü (1644); der erste europäische
Priester, welcher hier als Märtyrer starb, war der Spanier Segueira (1696).
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war nicht in religiöser Unduldsamkeit zu suchen. Der Kaiser und seine Man-
'darinen huldigen einer Religion, die auf Rationalismus hinausläuft. Auch
der Buddhismus ist nicht intolerant. Man sah am Hofe von Hu6 in den
christlichen Glaubensboten ganz ebenso wie in den politischen Gesandtschaften
Vorboten der Eroberung durch die westlichen Barbaren, und man hatte darin
nicht Unrecht. Man hielt sie für Kundschafter, und man war auch damit
nicht völlig auf falschem Wege. Man hatte das Beispiel von Indien und
China vor Augen, und man wußte, welche Rolle der Bischof von Abram ge¬
spielt hatte/) Was er für die legitime Dynastie gethan, konnte ein anderer
für einen Prätendenten thun, wenn dieser dem Katholicismus Vortheile ver¬
sprach. Minh Mens brauchte von seinem Standpunkt die fremden Priester
nicht zu dulden, er konnte fragen, ob man in Frankreich die Lehre des Kon¬
futse oder Schakjamuni predigen lassen werde. Er konnte die Missionäre aus¬
weisen. Wenn er sie köpfen, sie mit glühenden Zangen kneipen, ihnen den
Bauch aufschlitzen ließ, so war er eben ein Barbar. Er konnte sich wundern,
daß man eine Verfolgung, wie er sie verhängte, als etwas Außerordentliches
ansah; denn es war sein Verfahren seit zwei Jahrhunderten Brauch im Lande
gewesen. Bis auf Schialong waren nicht weniger als sechzehn katholische
Priester wegen Proselytenmacherei hingerichtet worden, die Zahl der einhei¬
mischen Geistlichen und Laien gar nicht zu erwähnen.**)

Eine Zeit lang wurde Minh Mens in seinen blutigen Absichten durch
den Großmandarin Takuan gehindert, welcher Vicekönig von Niederkochin-
ch»na war und den Franzosen wohlwollte. Nach dem Tode dieses Beamten
begann die Verfolgung und zwar auf Grund des Umstandes, daß ein anderer
Freund Frankreichs, Namens Khoi, sich empörte, sich der Stadt Saigong (wo
einst Schialong mit dem Bischof von Abram gegen die Usurpatoren des Kaiser¬
thrones conspirirt) und ganz Niederkochinchinas bemächtigte und den Kaiser
für seine Krone fürchten ließ. Minh Mens nahm endlich die von den fran¬
zösischen Mandarinen erbaute Citadelle von Saigong wieder ein. ließ die Ver¬
theidiger derselben über die Klinge springen und den Chef der Rebellen so
wie seinen Freund und Berather, den französischen Missionär Joseph Mar-
chand, auf grausame Weise zu Tode martern.

Später hörten die Verfolgungen der Christen auf, und 1839 zeigte sich
Minh Mens sogar nicht abgeneigt, den unterbrochenen Verkehr mit Frankreich




*) Derselbe starb 1799. Der Kaiser ließ ihn prächtig bestatten, ging mit seinem ganzen
Hofe, seiner Mutter, seinen Frauen, sämmtlichen Großmandarinen und S0,0»0 andern Leid¬
tragenden hinter der Leiche her, und errichtete dem Todten in einem von ihm selbst bearbei¬
teten Garten ein Mausoleum.
") Die ersten Christen, welche hingerichtet wurden, waren einheimische, in Tongking ein
gewisser Frantzois (1630), in Kochinchina ein Katechet Andrü (1644); der erste europäische
Priester, welcher hier als Märtyrer starb, war der Spanier Segueira (1696).
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[0381] war nicht in religiöser Unduldsamkeit zu suchen. Der Kaiser und seine Man- 'darinen huldigen einer Religion, die auf Rationalismus hinausläuft. Auch der Buddhismus ist nicht intolerant. Man sah am Hofe von Hu6 in den christlichen Glaubensboten ganz ebenso wie in den politischen Gesandtschaften Vorboten der Eroberung durch die westlichen Barbaren, und man hatte darin nicht Unrecht. Man hielt sie für Kundschafter, und man war auch damit nicht völlig auf falschem Wege. Man hatte das Beispiel von Indien und China vor Augen, und man wußte, welche Rolle der Bischof von Abram ge¬ spielt hatte/) Was er für die legitime Dynastie gethan, konnte ein anderer für einen Prätendenten thun, wenn dieser dem Katholicismus Vortheile ver¬ sprach. Minh Mens brauchte von seinem Standpunkt die fremden Priester nicht zu dulden, er konnte fragen, ob man in Frankreich die Lehre des Kon¬ futse oder Schakjamuni predigen lassen werde. Er konnte die Missionäre aus¬ weisen. Wenn er sie köpfen, sie mit glühenden Zangen kneipen, ihnen den Bauch aufschlitzen ließ, so war er eben ein Barbar. Er konnte sich wundern, daß man eine Verfolgung, wie er sie verhängte, als etwas Außerordentliches ansah; denn es war sein Verfahren seit zwei Jahrhunderten Brauch im Lande gewesen. Bis auf Schialong waren nicht weniger als sechzehn katholische Priester wegen Proselytenmacherei hingerichtet worden, die Zahl der einhei¬ mischen Geistlichen und Laien gar nicht zu erwähnen.**) Eine Zeit lang wurde Minh Mens in seinen blutigen Absichten durch den Großmandarin Takuan gehindert, welcher Vicekönig von Niederkochin- ch»na war und den Franzosen wohlwollte. Nach dem Tode dieses Beamten begann die Verfolgung und zwar auf Grund des Umstandes, daß ein anderer Freund Frankreichs, Namens Khoi, sich empörte, sich der Stadt Saigong (wo einst Schialong mit dem Bischof von Abram gegen die Usurpatoren des Kaiser¬ thrones conspirirt) und ganz Niederkochinchinas bemächtigte und den Kaiser für seine Krone fürchten ließ. Minh Mens nahm endlich die von den fran¬ zösischen Mandarinen erbaute Citadelle von Saigong wieder ein. ließ die Ver¬ theidiger derselben über die Klinge springen und den Chef der Rebellen so wie seinen Freund und Berather, den französischen Missionär Joseph Mar- chand, auf grausame Weise zu Tode martern. Später hörten die Verfolgungen der Christen auf, und 1839 zeigte sich Minh Mens sogar nicht abgeneigt, den unterbrochenen Verkehr mit Frankreich *) Derselbe starb 1799. Der Kaiser ließ ihn prächtig bestatten, ging mit seinem ganzen Hofe, seiner Mutter, seinen Frauen, sämmtlichen Großmandarinen und S0,0»0 andern Leid¬ tragenden hinter der Leiche her, und errichtete dem Todten in einem von ihm selbst bearbei¬ teten Garten ein Mausoleum. ") Die ersten Christen, welche hingerichtet wurden, waren einheimische, in Tongking ein gewisser Frantzois (1630), in Kochinchina ein Katechet Andrü (1644); der erste europäische Priester, welcher hier als Märtyrer starb, war der Spanier Segueira (1696). 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/381>, abgerufen am 24.07.2024.