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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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von hier nahm, so hat sie die Styx so wie wir sie sahen, vor Augen gehabt.
In dieser Gestalt ist sie und ihr Thal der großartigste, überwältigendste Aus¬
druck des primitiven Grauens und Wolkendunkels, aus welchem die ersten
Strömungen irdischen Lebens entsprangen, und zugleich das entsprechendste
Bild sür die Zustände, in welche nach dem Glauben der alten Welt diese
Ströme sich wiederum verlaufen.

Geraume Zeit standen wir sprachlos vor dem unheimlichen Schauspiel.
Da drohten neue Wolken, und einzelne Tropfen mahnten an den Aufbruch.
Langsam stiegen wir in das Thal hinab, die Pferde hinter uns am Zügel,
die Augen unverwandt in die Tiefe gerichtet, wo der Geistertanz der Dünste
noch immer um die Ufer des Flusses schwebte. Der losbrechende Regen störte
die Poesie dieses halb träumerischen, halb wachen Ganges. Wir übergaben
die Pferde dem Führer und eilten, unter ein Dach zu kommen. Aber eine
reichliche halbe Stunde währte es, ehe wir nach dem ersten Hause der Dörfer¬
gruppe hinabgclangtcn, welche hier an den Abhängen steht, und als wir matt
und durchnäßt hier eintrafen, erfuhren wir, daß unsre Maulthiere mit den
Betten und Kochgeräthen, die uns hier erwarten sollten, noch unterwegs
waren. Christo, der Maulthiertreiber, war ein langsamer Bursche, und die
ihm aus Unvorsichtigkeit anvertraute Weinflasche hatte, wie später seine
stieren Augen zeigten, nicht dazu beigetragen, seinen Gang sicherer und rascher
zu machen. Wir konnten in die unbehagliche Lage kommen, uns die Nacht
mit einem Lager auf dem Erdboden am Herde des Hauses begnügen zu
müssen, in das wir eingetreten waren, und welches eben kein Muster der
Reinlichkeit und Wohnlichkeit war. Da sandte unser guter Stern uns einen
Retter in der Noth. Eben singen wir an, den Rauch unbequem zu finden,
der das Gemach erfüllte, und düstere Betrachtungen anzustellen, ob einer der
Hunde in demselben so gefällig sein würde, uns während der Nacht zum Kopf¬
kissen zu dienen, als ein fränkisch gekleideter Herr eintrat, der, nachdem er
einige Worte mit dem Wirth gewechselt, sich in italienischer Sprache an
meinen Reisegefährten wendete und fragte, ob wir es unthunlich finden wür¬
den, wenn er uns vorschlüge, ihm noch eine halbe Stunde weiter auf das
andere Ufer der Styx (die beiläufig jetzt in Prosa Mavronero d. i. Schwarz¬
wasser heißt) zu folgen, wo er sich freuen würde, uns bessere Unterkunft bieten
zu können. Es war das erste Beispiel griechischer Gastfreundschaft, welches
uns.vorkam, und natürlich nahmen wir das Anerbieten sofort an, und obwol
der Regen wie mit Kannen herabgoß, brachen wir ohne Verzug auf. Unser
rascher Entschluß wurde belohnt. Nach einigem Ab- und Aufklettern waren
wir in einem guten Hause auf dem gegenüberliegenden Abhang des Thales
im Trocknen. Das Zimmer, in das unser neuer Freund uns geführt, war
geräumig und reinlich, und hatte sogar Glasfenster. Es erfreute sich eines


von hier nahm, so hat sie die Styx so wie wir sie sahen, vor Augen gehabt.
In dieser Gestalt ist sie und ihr Thal der großartigste, überwältigendste Aus¬
druck des primitiven Grauens und Wolkendunkels, aus welchem die ersten
Strömungen irdischen Lebens entsprangen, und zugleich das entsprechendste
Bild sür die Zustände, in welche nach dem Glauben der alten Welt diese
Ströme sich wiederum verlaufen.

Geraume Zeit standen wir sprachlos vor dem unheimlichen Schauspiel.
Da drohten neue Wolken, und einzelne Tropfen mahnten an den Aufbruch.
Langsam stiegen wir in das Thal hinab, die Pferde hinter uns am Zügel,
die Augen unverwandt in die Tiefe gerichtet, wo der Geistertanz der Dünste
noch immer um die Ufer des Flusses schwebte. Der losbrechende Regen störte
die Poesie dieses halb träumerischen, halb wachen Ganges. Wir übergaben
die Pferde dem Führer und eilten, unter ein Dach zu kommen. Aber eine
reichliche halbe Stunde währte es, ehe wir nach dem ersten Hause der Dörfer¬
gruppe hinabgclangtcn, welche hier an den Abhängen steht, und als wir matt
und durchnäßt hier eintrafen, erfuhren wir, daß unsre Maulthiere mit den
Betten und Kochgeräthen, die uns hier erwarten sollten, noch unterwegs
waren. Christo, der Maulthiertreiber, war ein langsamer Bursche, und die
ihm aus Unvorsichtigkeit anvertraute Weinflasche hatte, wie später seine
stieren Augen zeigten, nicht dazu beigetragen, seinen Gang sicherer und rascher
zu machen. Wir konnten in die unbehagliche Lage kommen, uns die Nacht
mit einem Lager auf dem Erdboden am Herde des Hauses begnügen zu
müssen, in das wir eingetreten waren, und welches eben kein Muster der
Reinlichkeit und Wohnlichkeit war. Da sandte unser guter Stern uns einen
Retter in der Noth. Eben singen wir an, den Rauch unbequem zu finden,
der das Gemach erfüllte, und düstere Betrachtungen anzustellen, ob einer der
Hunde in demselben so gefällig sein würde, uns während der Nacht zum Kopf¬
kissen zu dienen, als ein fränkisch gekleideter Herr eintrat, der, nachdem er
einige Worte mit dem Wirth gewechselt, sich in italienischer Sprache an
meinen Reisegefährten wendete und fragte, ob wir es unthunlich finden wür¬
den, wenn er uns vorschlüge, ihm noch eine halbe Stunde weiter auf das
andere Ufer der Styx (die beiläufig jetzt in Prosa Mavronero d. i. Schwarz¬
wasser heißt) zu folgen, wo er sich freuen würde, uns bessere Unterkunft bieten
zu können. Es war das erste Beispiel griechischer Gastfreundschaft, welches
uns.vorkam, und natürlich nahmen wir das Anerbieten sofort an, und obwol
der Regen wie mit Kannen herabgoß, brachen wir ohne Verzug auf. Unser
rascher Entschluß wurde belohnt. Nach einigem Ab- und Aufklettern waren
wir in einem guten Hause auf dem gegenüberliegenden Abhang des Thales
im Trocknen. Das Zimmer, in das unser neuer Freund uns geführt, war
geräumig und reinlich, und hatte sogar Glasfenster. Es erfreute sich eines


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[0038] von hier nahm, so hat sie die Styx so wie wir sie sahen, vor Augen gehabt. In dieser Gestalt ist sie und ihr Thal der großartigste, überwältigendste Aus¬ druck des primitiven Grauens und Wolkendunkels, aus welchem die ersten Strömungen irdischen Lebens entsprangen, und zugleich das entsprechendste Bild sür die Zustände, in welche nach dem Glauben der alten Welt diese Ströme sich wiederum verlaufen. Geraume Zeit standen wir sprachlos vor dem unheimlichen Schauspiel. Da drohten neue Wolken, und einzelne Tropfen mahnten an den Aufbruch. Langsam stiegen wir in das Thal hinab, die Pferde hinter uns am Zügel, die Augen unverwandt in die Tiefe gerichtet, wo der Geistertanz der Dünste noch immer um die Ufer des Flusses schwebte. Der losbrechende Regen störte die Poesie dieses halb träumerischen, halb wachen Ganges. Wir übergaben die Pferde dem Führer und eilten, unter ein Dach zu kommen. Aber eine reichliche halbe Stunde währte es, ehe wir nach dem ersten Hause der Dörfer¬ gruppe hinabgclangtcn, welche hier an den Abhängen steht, und als wir matt und durchnäßt hier eintrafen, erfuhren wir, daß unsre Maulthiere mit den Betten und Kochgeräthen, die uns hier erwarten sollten, noch unterwegs waren. Christo, der Maulthiertreiber, war ein langsamer Bursche, und die ihm aus Unvorsichtigkeit anvertraute Weinflasche hatte, wie später seine stieren Augen zeigten, nicht dazu beigetragen, seinen Gang sicherer und rascher zu machen. Wir konnten in die unbehagliche Lage kommen, uns die Nacht mit einem Lager auf dem Erdboden am Herde des Hauses begnügen zu müssen, in das wir eingetreten waren, und welches eben kein Muster der Reinlichkeit und Wohnlichkeit war. Da sandte unser guter Stern uns einen Retter in der Noth. Eben singen wir an, den Rauch unbequem zu finden, der das Gemach erfüllte, und düstere Betrachtungen anzustellen, ob einer der Hunde in demselben so gefällig sein würde, uns während der Nacht zum Kopf¬ kissen zu dienen, als ein fränkisch gekleideter Herr eintrat, der, nachdem er einige Worte mit dem Wirth gewechselt, sich in italienischer Sprache an meinen Reisegefährten wendete und fragte, ob wir es unthunlich finden wür¬ den, wenn er uns vorschlüge, ihm noch eine halbe Stunde weiter auf das andere Ufer der Styx (die beiläufig jetzt in Prosa Mavronero d. i. Schwarz¬ wasser heißt) zu folgen, wo er sich freuen würde, uns bessere Unterkunft bieten zu können. Es war das erste Beispiel griechischer Gastfreundschaft, welches uns.vorkam, und natürlich nahmen wir das Anerbieten sofort an, und obwol der Regen wie mit Kannen herabgoß, brachen wir ohne Verzug auf. Unser rascher Entschluß wurde belohnt. Nach einigem Ab- und Aufklettern waren wir in einem guten Hause auf dem gegenüberliegenden Abhang des Thales im Trocknen. Das Zimmer, in das unser neuer Freund uns geführt, war geräumig und reinlich, und hatte sogar Glasfenster. Es erfreute sich eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/38>, abgerufen am 24.07.2024.