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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Das Reich Aram liegt an der Ostküste der hinterindischen Halbinsel und
hat, aus den früher gesondert regierten Ländern Tongking und Kochinchina
bestehend, eine Größe von ungefähr zehntausend Quadratmeilen. Im Norden an
China, dessen Kaiser eine Art Suzeränetät über Aram ausübt, im Westen
an Siam und im Osten und Süden an das Meer grenzend, gehört es seinem
Klima und seinen Erzeugnissen nach den Tropen an. Seine Bewohner wer¬
den der mongolischen Race beigezählt. Wie in China bekennen sich dieselben
zu drei verschiedenen Religionen, der des Konfutse, der des Laotse und dem
Buddhismus. Ueber die Ausbreitung des Christenthums in Aram wird später
die Rede sein.

Bis in das dritte Jahrhundert v. Chr. scheinen Tongking und Kochin¬
china im Zustand völliger Uncultur verblieben zu sein. Gegen das Jahr 214
v. Chr. eroberte der chinesische Kaiser Thinschi Hoangti diese Länder und be¬
siedelte sie mit Chinesen der benachbarten Provinzen seines Reiches. Später
machten sich die Statthalter unabhängig, und es entstanden selbstständige Staa¬
ten, die sich untereinander befehdeten, bisweilen miteinander verschmolzen
wurden, bisweilen aber auch wieder an China fielen. Das Christenthum
begann schon im Jahre 1596 Fuß in Kochinchina zu fassen. Handelsver¬
bindungen wurden aber von Europäern erst um die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts anzuknüpfen versucht. Es war unter der Regierung des Kaisers Wo
Wüong im Jahre 1745, als ein Franzose Namens Poivre zu Faifong, einer
Stadt nicht fern von dem jetzt von Frankreich eingenommenen Hafen Turon
(der von den Anamiten Sun Han genannt wird), ein Comptoir für die Gesell¬
schaft von Französisch-Jndien errichtete. I74ö begab sich dieser Agent an den
Hof von Hu6, um denselben zu einem Handelsvertrag mit der Negierung
Ludwigs des Fünfzehnten zu bestimmen. Der Versuch schlug fehl, wie bis
auf die neueste Zeit alle Versuche dieser Art, mit chinesischen Staaten anzu¬
knüpfen, von letzteren abgewiesen wurden. Aus der einen Seite verachtete
man die Fremden als Barbaren, auf der andern fürchtete man ihre Neigung,
sich in die innern Streitigkeiten des Landes zu mischen, ihre Herrschsucht und
ihre Eroberungspläne.

Da brach im Jahre 1765 ein Aufstand aus, dessen Folgen den Franzo¬
sen das Land öffnen sollten. Wo Wüong wünschte, daß statt des rechtmäßi¬
gen Thronfolgers der Sohn einer Nebenfrau nach ihm regiere. Sein Pre¬
mierminister führte nach dem Tode des Herrschers diesen Plan aus, und als
der rechtmäßige Thronfolger sich dagegen auflehnte, wurde er ins Gefängniß
geworfen, wo er kurz darauf mit Hinterlassung zweier Söhne starb. Der
Sohn der Nebenfrau wurde nun unter dem Namen Han Wüong zum Kaiser
ausgerufen. Die Willkürherrschaft des Ministers, der ihm die Krone ver-


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Das Reich Aram liegt an der Ostküste der hinterindischen Halbinsel und
hat, aus den früher gesondert regierten Ländern Tongking und Kochinchina
bestehend, eine Größe von ungefähr zehntausend Quadratmeilen. Im Norden an
China, dessen Kaiser eine Art Suzeränetät über Aram ausübt, im Westen
an Siam und im Osten und Süden an das Meer grenzend, gehört es seinem
Klima und seinen Erzeugnissen nach den Tropen an. Seine Bewohner wer¬
den der mongolischen Race beigezählt. Wie in China bekennen sich dieselben
zu drei verschiedenen Religionen, der des Konfutse, der des Laotse und dem
Buddhismus. Ueber die Ausbreitung des Christenthums in Aram wird später
die Rede sein.

Bis in das dritte Jahrhundert v. Chr. scheinen Tongking und Kochin¬
china im Zustand völliger Uncultur verblieben zu sein. Gegen das Jahr 214
v. Chr. eroberte der chinesische Kaiser Thinschi Hoangti diese Länder und be¬
siedelte sie mit Chinesen der benachbarten Provinzen seines Reiches. Später
machten sich die Statthalter unabhängig, und es entstanden selbstständige Staa¬
ten, die sich untereinander befehdeten, bisweilen miteinander verschmolzen
wurden, bisweilen aber auch wieder an China fielen. Das Christenthum
begann schon im Jahre 1596 Fuß in Kochinchina zu fassen. Handelsver¬
bindungen wurden aber von Europäern erst um die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts anzuknüpfen versucht. Es war unter der Regierung des Kaisers Wo
Wüong im Jahre 1745, als ein Franzose Namens Poivre zu Faifong, einer
Stadt nicht fern von dem jetzt von Frankreich eingenommenen Hafen Turon
(der von den Anamiten Sun Han genannt wird), ein Comptoir für die Gesell¬
schaft von Französisch-Jndien errichtete. I74ö begab sich dieser Agent an den
Hof von Hu6, um denselben zu einem Handelsvertrag mit der Negierung
Ludwigs des Fünfzehnten zu bestimmen. Der Versuch schlug fehl, wie bis
auf die neueste Zeit alle Versuche dieser Art, mit chinesischen Staaten anzu¬
knüpfen, von letzteren abgewiesen wurden. Aus der einen Seite verachtete
man die Fremden als Barbaren, auf der andern fürchtete man ihre Neigung,
sich in die innern Streitigkeiten des Landes zu mischen, ihre Herrschsucht und
ihre Eroberungspläne.

Da brach im Jahre 1765 ein Aufstand aus, dessen Folgen den Franzo¬
sen das Land öffnen sollten. Wo Wüong wünschte, daß statt des rechtmäßi¬
gen Thronfolgers der Sohn einer Nebenfrau nach ihm regiere. Sein Pre¬
mierminister führte nach dem Tode des Herrschers diesen Plan aus, und als
der rechtmäßige Thronfolger sich dagegen auflehnte, wurde er ins Gefängniß
geworfen, wo er kurz darauf mit Hinterlassung zweier Söhne starb. Der
Sohn der Nebenfrau wurde nun unter dem Namen Han Wüong zum Kaiser
ausgerufen. Die Willkürherrschaft des Ministers, der ihm die Krone ver-


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[0373] Das Reich Aram liegt an der Ostküste der hinterindischen Halbinsel und hat, aus den früher gesondert regierten Ländern Tongking und Kochinchina bestehend, eine Größe von ungefähr zehntausend Quadratmeilen. Im Norden an China, dessen Kaiser eine Art Suzeränetät über Aram ausübt, im Westen an Siam und im Osten und Süden an das Meer grenzend, gehört es seinem Klima und seinen Erzeugnissen nach den Tropen an. Seine Bewohner wer¬ den der mongolischen Race beigezählt. Wie in China bekennen sich dieselben zu drei verschiedenen Religionen, der des Konfutse, der des Laotse und dem Buddhismus. Ueber die Ausbreitung des Christenthums in Aram wird später die Rede sein. Bis in das dritte Jahrhundert v. Chr. scheinen Tongking und Kochin¬ china im Zustand völliger Uncultur verblieben zu sein. Gegen das Jahr 214 v. Chr. eroberte der chinesische Kaiser Thinschi Hoangti diese Länder und be¬ siedelte sie mit Chinesen der benachbarten Provinzen seines Reiches. Später machten sich die Statthalter unabhängig, und es entstanden selbstständige Staa¬ ten, die sich untereinander befehdeten, bisweilen miteinander verschmolzen wurden, bisweilen aber auch wieder an China fielen. Das Christenthum begann schon im Jahre 1596 Fuß in Kochinchina zu fassen. Handelsver¬ bindungen wurden aber von Europäern erst um die Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts anzuknüpfen versucht. Es war unter der Regierung des Kaisers Wo Wüong im Jahre 1745, als ein Franzose Namens Poivre zu Faifong, einer Stadt nicht fern von dem jetzt von Frankreich eingenommenen Hafen Turon (der von den Anamiten Sun Han genannt wird), ein Comptoir für die Gesell¬ schaft von Französisch-Jndien errichtete. I74ö begab sich dieser Agent an den Hof von Hu6, um denselben zu einem Handelsvertrag mit der Negierung Ludwigs des Fünfzehnten zu bestimmen. Der Versuch schlug fehl, wie bis auf die neueste Zeit alle Versuche dieser Art, mit chinesischen Staaten anzu¬ knüpfen, von letzteren abgewiesen wurden. Aus der einen Seite verachtete man die Fremden als Barbaren, auf der andern fürchtete man ihre Neigung, sich in die innern Streitigkeiten des Landes zu mischen, ihre Herrschsucht und ihre Eroberungspläne. Da brach im Jahre 1765 ein Aufstand aus, dessen Folgen den Franzo¬ sen das Land öffnen sollten. Wo Wüong wünschte, daß statt des rechtmäßi¬ gen Thronfolgers der Sohn einer Nebenfrau nach ihm regiere. Sein Pre¬ mierminister führte nach dem Tode des Herrschers diesen Plan aus, und als der rechtmäßige Thronfolger sich dagegen auflehnte, wurde er ins Gefängniß geworfen, wo er kurz darauf mit Hinterlassung zweier Söhne starb. Der Sohn der Nebenfrau wurde nun unter dem Namen Han Wüong zum Kaiser ausgerufen. Die Willkürherrschaft des Ministers, der ihm die Krone ver- 46-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/373>, abgerufen am 24.07.2024.