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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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zu, und zwar in der ausgesprochnen Absicht zu erobern. Die drei andern
Machte, namentlich Amerika, haben bei ihren Schachzügen in den indischen
und chinesischen Ländern zunächst handelspolitische Interessen im Auge. Frank¬
reichs Handel in den Meeren Ostasiens ist unbedeutend, man sieht seine
Flagge in den Hufen von Kalkutta und Singapur, von Hongkong und
Schangai nicht halb so oft als die des kleinen Bremen, von der gesammten
deutschen Kauffartheischiffahrt gar nicht zu reden. Frankreich verfolgt hier ledig¬
lich den Zweck, den Einfluß, den es einst in den Reichen Ostasiens besaß und'den
es in den letzten Kriegen gegen England mit seinen dortigen Colonien verlor,
wiederzugewinnen, sich zunächst in Aram, wo katholische Missionäre seit Jahren
vorgearbeitet haben, einen Kriegshafen zu nehmen, in dessen Nähe vortreffliches
Schiffsbauholz wächst, und bei den katholischen Christen Ostasiens seinen Ruf
als Schutzmacht ihres Glaubens aufzufrischen. Es wird dabei nicht stehen
bleiben, wofern nicht Ereignisse in Europa seine Streitkräfte auf andern
Punkten nöthig machen. Schon ist ein Feldzug gegen die Königin von
Madagaskar auf die Zeit nach Beendigung des Kriegs mit Aram angekün¬
digt. In Aram selbst wird man sich schwerlich mit dem zunächst erstrebten
Hafen begnügen. Andere Punkte in der Nähe Indiens oder auf der Route
dahin werden hinzukommen, wie die Einnahme Algiers sich allmülig zu einer Er¬
oberung Algeriens erweiterte, und es liegt nicht außer dem Bereich der Möglich¬
keit, daß von dieser Operationsbasis aus noch einmal der Versuch gemacht
wird, die britische Herrschaft am Indus und Ganges zu erschüttern. Das
Bündniß mit England ist weder von der einen noch von der andern Seite
auf die Ewigkeit geschlossen, die französische Flotte ist der englischen schon
jetzt fast ebenbürtig. Am Amur ist eine russische im Entstehen. Die Inter¬
essen Rußlands und Frankreichs aber lassen sich in Indien ebenso vereinigen,
wie in der Türkei.

Dies sind indeß nur die äußersten Consequenzen der Politik, welche den
Feldzug nach Kochinchina unternahm, und wir haben es im Folgenden mit
der Gegenwart zu thun. Die Veranlassung zu dem Unternehmen fand man
in Paris darin, daß ein Kaiser von Aram mit Ludwig dem Sechzehnten
einen Vertrag abgeschlossen, in welchem er ihm Abtretung des Hafens Turon
versprach, und sodann in der Verpflichtung Frankreichs als der Schutzmacht
der Anhänger Roms im Orient, die von dem jetzigen anamitischen Herrscher
über die Christen in seinem Reich verhängten Verfolgungen zu bestrafen. Es
sind dies, wie aus dem Nachstehenden zu ersehen sein wird, Vorwände, welche
man nur asiatischen Fürsten gegenüber brauchen kann, da das europäische
Staatsrecht sie ebenso wenig anerkennen würde, wie die Berechtigung Eng¬
lands, den Chinesen mit den Waffen in der Hand seinen Opium aufzu¬
dringen.


zu, und zwar in der ausgesprochnen Absicht zu erobern. Die drei andern
Machte, namentlich Amerika, haben bei ihren Schachzügen in den indischen
und chinesischen Ländern zunächst handelspolitische Interessen im Auge. Frank¬
reichs Handel in den Meeren Ostasiens ist unbedeutend, man sieht seine
Flagge in den Hufen von Kalkutta und Singapur, von Hongkong und
Schangai nicht halb so oft als die des kleinen Bremen, von der gesammten
deutschen Kauffartheischiffahrt gar nicht zu reden. Frankreich verfolgt hier ledig¬
lich den Zweck, den Einfluß, den es einst in den Reichen Ostasiens besaß und'den
es in den letzten Kriegen gegen England mit seinen dortigen Colonien verlor,
wiederzugewinnen, sich zunächst in Aram, wo katholische Missionäre seit Jahren
vorgearbeitet haben, einen Kriegshafen zu nehmen, in dessen Nähe vortreffliches
Schiffsbauholz wächst, und bei den katholischen Christen Ostasiens seinen Ruf
als Schutzmacht ihres Glaubens aufzufrischen. Es wird dabei nicht stehen
bleiben, wofern nicht Ereignisse in Europa seine Streitkräfte auf andern
Punkten nöthig machen. Schon ist ein Feldzug gegen die Königin von
Madagaskar auf die Zeit nach Beendigung des Kriegs mit Aram angekün¬
digt. In Aram selbst wird man sich schwerlich mit dem zunächst erstrebten
Hafen begnügen. Andere Punkte in der Nähe Indiens oder auf der Route
dahin werden hinzukommen, wie die Einnahme Algiers sich allmülig zu einer Er¬
oberung Algeriens erweiterte, und es liegt nicht außer dem Bereich der Möglich¬
keit, daß von dieser Operationsbasis aus noch einmal der Versuch gemacht
wird, die britische Herrschaft am Indus und Ganges zu erschüttern. Das
Bündniß mit England ist weder von der einen noch von der andern Seite
auf die Ewigkeit geschlossen, die französische Flotte ist der englischen schon
jetzt fast ebenbürtig. Am Amur ist eine russische im Entstehen. Die Inter¬
essen Rußlands und Frankreichs aber lassen sich in Indien ebenso vereinigen,
wie in der Türkei.

Dies sind indeß nur die äußersten Consequenzen der Politik, welche den
Feldzug nach Kochinchina unternahm, und wir haben es im Folgenden mit
der Gegenwart zu thun. Die Veranlassung zu dem Unternehmen fand man
in Paris darin, daß ein Kaiser von Aram mit Ludwig dem Sechzehnten
einen Vertrag abgeschlossen, in welchem er ihm Abtretung des Hafens Turon
versprach, und sodann in der Verpflichtung Frankreichs als der Schutzmacht
der Anhänger Roms im Orient, die von dem jetzigen anamitischen Herrscher
über die Christen in seinem Reich verhängten Verfolgungen zu bestrafen. Es
sind dies, wie aus dem Nachstehenden zu ersehen sein wird, Vorwände, welche
man nur asiatischen Fürsten gegenüber brauchen kann, da das europäische
Staatsrecht sie ebenso wenig anerkennen würde, wie die Berechtigung Eng¬
lands, den Chinesen mit den Waffen in der Hand seinen Opium aufzu¬
dringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/372>, abgerufen am 24.07.2024.