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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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den Schützling und voraussichtlichen Vasallen und Erblasser seines Neben¬
buhlers an dem Heraustreten aus seiner bisherigen Stellung zu hindern.

Der Wunsch der französischen Negierung, Aegypten unter ihre Kolonien
zählen zu können, hat sich seit jener Niederlage nicht verloren, er ist viel¬
mehr, wie im Vorhergehenden angedeutet, mit dem gesteigerten Interesse der
Briten am Lande lebhafter geworden, und er würde wahrlich nicht vermindert
werden, wenn der ägyptische Isthmus nun gar eine offene Seestraßc nach
Arabien, Persien, Indien und China darböte. Ein Conflict würde sich,
nachdem man sich in Aegypten eine vorbereitende Stellung geschaffen und da¬
heim gehörig gerüstet, sehr bald herbeiführen lassen. der erste Schachzug würde
ohne Zweifel gelingen, das kostbare Stück Erde sammt der Wasserstraße bis
in den indischen Ocean hinab mit einem Flügelschlag des französischen Adlers
erreicht und erobert sein, und England möchte dann zusehen, wie es das
Mittelmeer und Aegypten wieder gewönne, wie es seinen Besitz in Indien
auf die Dauer vertheidigte.

Man hat solchen Befürchtungen entgegengehalten, daß die beiden großen
Scestationen Englands im Mittelmeer, Malta und Korfu näher an der ägyp¬
tischen Küste lägen, als Marseille und Toulon. Aber zur Bewachung Aegyp-
tens gehört nußer jenen Positionen noch eine entsprechende britische Flotte.
Das englische Geschwader, welches sür gewöhnlich im Mittelmeer kreuzt, zählt
nicht den dritten Theil der Schiffe, welche im Hafen von Toulon liegen, und
England würde unausgesetzt die beträchtlichsten Opfer bringen müssen, wenn
es gegenüber den im Mittelmeer heimischen Kriegsmitteln Frankreichs, den
Rußland jetzt die seinen beizugesellen sucht, Aegypten vor jedem möglichen Hand¬
streich schützen wollte. Es ist sogar die Frage, ob es dies, wenn Frankreich
nicht wieder isolirt wird wie unter Ludwig Philipp, überhaupt im Stande ist.
Die neue Kriegsflotte Frankreichs steht bereits der britischen an Material ziem¬
lich gleich, hat eine sehr gute Organisation, ist mehr concentrirt als die eng¬
lische und hat ein in kurzer Frist schlagfertig zu machendes Heer hinter sich.
Mögen Englands Seeleute und Seeoffiziere besser sein als die französischen,
so ist dieser Unterschied seit Einführung des Dampfschiffs in die Seckrieg-
führung nicht mehr so wichtig als früher, und was davon zum Vortheil der
Engländer übrig bleibt, wird durch die größere Nähe der französischen Häfen aus¬
geglichen. Nimmt man dazu den Charakter des Kaisers Napoleon III., sein
System der Einmischung, seine springende, nur auf den Moment berechnete
Politik, so darf man sich nicht wundern, daß trotz seines gegenwärtigen guten
Einvernehmens mit dem Inselreich jenseit des Kanals die britische Negie¬
rung sich weigert, den directen Seeweg in das Herz ihres ostasiatischen Co-
lonialrcichs ohne weiteres öffnen und diese der drohenden Macht des natio¬
nalen Nebenbuhlers bloßlegen zu lassen. Ohnehin hat die kaiserliche Regie-


den Schützling und voraussichtlichen Vasallen und Erblasser seines Neben¬
buhlers an dem Heraustreten aus seiner bisherigen Stellung zu hindern.

Der Wunsch der französischen Negierung, Aegypten unter ihre Kolonien
zählen zu können, hat sich seit jener Niederlage nicht verloren, er ist viel¬
mehr, wie im Vorhergehenden angedeutet, mit dem gesteigerten Interesse der
Briten am Lande lebhafter geworden, und er würde wahrlich nicht vermindert
werden, wenn der ägyptische Isthmus nun gar eine offene Seestraßc nach
Arabien, Persien, Indien und China darböte. Ein Conflict würde sich,
nachdem man sich in Aegypten eine vorbereitende Stellung geschaffen und da¬
heim gehörig gerüstet, sehr bald herbeiführen lassen. der erste Schachzug würde
ohne Zweifel gelingen, das kostbare Stück Erde sammt der Wasserstraße bis
in den indischen Ocean hinab mit einem Flügelschlag des französischen Adlers
erreicht und erobert sein, und England möchte dann zusehen, wie es das
Mittelmeer und Aegypten wieder gewönne, wie es seinen Besitz in Indien
auf die Dauer vertheidigte.

Man hat solchen Befürchtungen entgegengehalten, daß die beiden großen
Scestationen Englands im Mittelmeer, Malta und Korfu näher an der ägyp¬
tischen Küste lägen, als Marseille und Toulon. Aber zur Bewachung Aegyp-
tens gehört nußer jenen Positionen noch eine entsprechende britische Flotte.
Das englische Geschwader, welches sür gewöhnlich im Mittelmeer kreuzt, zählt
nicht den dritten Theil der Schiffe, welche im Hafen von Toulon liegen, und
England würde unausgesetzt die beträchtlichsten Opfer bringen müssen, wenn
es gegenüber den im Mittelmeer heimischen Kriegsmitteln Frankreichs, den
Rußland jetzt die seinen beizugesellen sucht, Aegypten vor jedem möglichen Hand¬
streich schützen wollte. Es ist sogar die Frage, ob es dies, wenn Frankreich
nicht wieder isolirt wird wie unter Ludwig Philipp, überhaupt im Stande ist.
Die neue Kriegsflotte Frankreichs steht bereits der britischen an Material ziem¬
lich gleich, hat eine sehr gute Organisation, ist mehr concentrirt als die eng¬
lische und hat ein in kurzer Frist schlagfertig zu machendes Heer hinter sich.
Mögen Englands Seeleute und Seeoffiziere besser sein als die französischen,
so ist dieser Unterschied seit Einführung des Dampfschiffs in die Seckrieg-
führung nicht mehr so wichtig als früher, und was davon zum Vortheil der
Engländer übrig bleibt, wird durch die größere Nähe der französischen Häfen aus¬
geglichen. Nimmt man dazu den Charakter des Kaisers Napoleon III., sein
System der Einmischung, seine springende, nur auf den Moment berechnete
Politik, so darf man sich nicht wundern, daß trotz seines gegenwärtigen guten
Einvernehmens mit dem Inselreich jenseit des Kanals die britische Negie¬
rung sich weigert, den directen Seeweg in das Herz ihres ostasiatischen Co-
lonialrcichs ohne weiteres öffnen und diese der drohenden Macht des natio¬
nalen Nebenbuhlers bloßlegen zu lassen. Ohnehin hat die kaiserliche Regie-


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[0366] den Schützling und voraussichtlichen Vasallen und Erblasser seines Neben¬ buhlers an dem Heraustreten aus seiner bisherigen Stellung zu hindern. Der Wunsch der französischen Negierung, Aegypten unter ihre Kolonien zählen zu können, hat sich seit jener Niederlage nicht verloren, er ist viel¬ mehr, wie im Vorhergehenden angedeutet, mit dem gesteigerten Interesse der Briten am Lande lebhafter geworden, und er würde wahrlich nicht vermindert werden, wenn der ägyptische Isthmus nun gar eine offene Seestraßc nach Arabien, Persien, Indien und China darböte. Ein Conflict würde sich, nachdem man sich in Aegypten eine vorbereitende Stellung geschaffen und da¬ heim gehörig gerüstet, sehr bald herbeiführen lassen. der erste Schachzug würde ohne Zweifel gelingen, das kostbare Stück Erde sammt der Wasserstraße bis in den indischen Ocean hinab mit einem Flügelschlag des französischen Adlers erreicht und erobert sein, und England möchte dann zusehen, wie es das Mittelmeer und Aegypten wieder gewönne, wie es seinen Besitz in Indien auf die Dauer vertheidigte. Man hat solchen Befürchtungen entgegengehalten, daß die beiden großen Scestationen Englands im Mittelmeer, Malta und Korfu näher an der ägyp¬ tischen Küste lägen, als Marseille und Toulon. Aber zur Bewachung Aegyp- tens gehört nußer jenen Positionen noch eine entsprechende britische Flotte. Das englische Geschwader, welches sür gewöhnlich im Mittelmeer kreuzt, zählt nicht den dritten Theil der Schiffe, welche im Hafen von Toulon liegen, und England würde unausgesetzt die beträchtlichsten Opfer bringen müssen, wenn es gegenüber den im Mittelmeer heimischen Kriegsmitteln Frankreichs, den Rußland jetzt die seinen beizugesellen sucht, Aegypten vor jedem möglichen Hand¬ streich schützen wollte. Es ist sogar die Frage, ob es dies, wenn Frankreich nicht wieder isolirt wird wie unter Ludwig Philipp, überhaupt im Stande ist. Die neue Kriegsflotte Frankreichs steht bereits der britischen an Material ziem¬ lich gleich, hat eine sehr gute Organisation, ist mehr concentrirt als die eng¬ lische und hat ein in kurzer Frist schlagfertig zu machendes Heer hinter sich. Mögen Englands Seeleute und Seeoffiziere besser sein als die französischen, so ist dieser Unterschied seit Einführung des Dampfschiffs in die Seckrieg- führung nicht mehr so wichtig als früher, und was davon zum Vortheil der Engländer übrig bleibt, wird durch die größere Nähe der französischen Häfen aus¬ geglichen. Nimmt man dazu den Charakter des Kaisers Napoleon III., sein System der Einmischung, seine springende, nur auf den Moment berechnete Politik, so darf man sich nicht wundern, daß trotz seines gegenwärtigen guten Einvernehmens mit dem Inselreich jenseit des Kanals die britische Negie¬ rung sich weigert, den directen Seeweg in das Herz ihres ostasiatischen Co- lonialrcichs ohne weiteres öffnen und diese der drohenden Macht des natio¬ nalen Nebenbuhlers bloßlegen zu lassen. Ohnehin hat die kaiserliche Regie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/366>, abgerufen am 24.07.2024.