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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die Höhe bewachsen ist, eine überraschende Dvppelaussicht, nach der einen
Seite ans den Kessel vor Kalabryta und den schöngeformten, mit Schnee be¬
deckten Gebirgsstock des Cheimos, nach der andern auf eine dunkelblaue Bucht
des Golfs von Korinth, und steigt dann in einen tiefen, mit zahlreichen Kas¬
kaden eines Baches geschmückten einsamen Waldgrund hinab, in dem man in
einem der Thaler des Harzes oder der Rhön zu sein glauben kann. Seltsam
gestaltete, wild zerklüftete und durchcinandergeworsene Felsblöcke liegen im
Bette des Baches und drohen zwischen den Zweigen und Wurzeln der Tan¬
nen von den Abhängen herab mit neuen Stürzen. Aus wundersam gebil¬
deten Astlöchern blickt der Geist des Waldes den Wanderer mit starrem Auge
an. Ueberall herrscht die Stille des großen Pan. Endlich wird der Wald
lichter, aber die Gegend, die sich jetzt öffnet, stimmt noch weit mehr zur
Schwermuth. Es ist ein weiter öder Kessel, auf dem Boden Weideland,
an den Seiten der Berge Gestrüpp, an den Kämmen, zu denen der Pfad in
verschiedene Zweige.getheilt, hinaufklettert, einzelne Schneestreifen. Schweigend
waren wir auf der Thalsohle hingeritten. Schweigen und ein durch Dünste
gedämpftes Nachmittagslicht bedeckte die Landschaft. Die Luft war kalt, denn
wir befanden uns an fünftausend Fuß über dem Meeresspiegel. Dünne,
durchsichtige Wolken glitten wie riesenhafte Geistergestalten um die Berghänge.
Ueber der See jenseits des Klosters erhob sich ein schwarzes Wetter mit senk¬
recht fallenden Negcnstrahlen und häufigen Blitzen. Die Blitze waren stumm,
und das Gewitter zog nach einer andern Seite, als dürfte es die Einsamkeit
und Stille des Thales nicht stören, als wäre es blos erschienen, um uns die
rechte Stimmung an den Pforten der Unterwelt zu geben. Dagegen schwebten
jene dünnen Wolken uns, als wir den Berg zur Rechten erstiegen, näher und
näher, und als der Führer, auf dem Kamme angelangt, den Weg verloren
hatte und unschlüssig stehen blieb, fühlten wir ihren feuchtkalten Hauch an
der Wange und auf den erstarrenden Händen.

Wir waren endlich von so dichtem Nebel umgeben, daß wir keine zwanzig
Schritt vor uns sehen konnten. Die Sonne schien von oben mit einem
winterlichen Licht, weißlich wie der Mond. Hier und da blickte ein Schnee¬
streifen, sich von der braunen Klippe, auf der er lag, absehend, durch den
Dunstschleier hindurch. Wir konnten nicht fern mehr von solos sei", aber
es war möglich, daß die Wolke, in der wir standen, bis zum Abend
hier lagerte, und dann hätten wir die Nacht im Freien zubringen müssen.
Schaudernd vor Frost, suchte ich den Nest von Ergebung ins Unvermeidliche,
der mir nach der Enttäuschung im Klosterkeller und nach dem beschwerlichen
Ritt durch den Waldgrund des Krathis geblieben, zusammen, während Spiro
bald hierhin, bald dorthin reitend seine Augen anstrengte, den Verlornen Weg
zu entdecken.


die Höhe bewachsen ist, eine überraschende Dvppelaussicht, nach der einen
Seite ans den Kessel vor Kalabryta und den schöngeformten, mit Schnee be¬
deckten Gebirgsstock des Cheimos, nach der andern auf eine dunkelblaue Bucht
des Golfs von Korinth, und steigt dann in einen tiefen, mit zahlreichen Kas¬
kaden eines Baches geschmückten einsamen Waldgrund hinab, in dem man in
einem der Thaler des Harzes oder der Rhön zu sein glauben kann. Seltsam
gestaltete, wild zerklüftete und durchcinandergeworsene Felsblöcke liegen im
Bette des Baches und drohen zwischen den Zweigen und Wurzeln der Tan¬
nen von den Abhängen herab mit neuen Stürzen. Aus wundersam gebil¬
deten Astlöchern blickt der Geist des Waldes den Wanderer mit starrem Auge
an. Ueberall herrscht die Stille des großen Pan. Endlich wird der Wald
lichter, aber die Gegend, die sich jetzt öffnet, stimmt noch weit mehr zur
Schwermuth. Es ist ein weiter öder Kessel, auf dem Boden Weideland,
an den Seiten der Berge Gestrüpp, an den Kämmen, zu denen der Pfad in
verschiedene Zweige.getheilt, hinaufklettert, einzelne Schneestreifen. Schweigend
waren wir auf der Thalsohle hingeritten. Schweigen und ein durch Dünste
gedämpftes Nachmittagslicht bedeckte die Landschaft. Die Luft war kalt, denn
wir befanden uns an fünftausend Fuß über dem Meeresspiegel. Dünne,
durchsichtige Wolken glitten wie riesenhafte Geistergestalten um die Berghänge.
Ueber der See jenseits des Klosters erhob sich ein schwarzes Wetter mit senk¬
recht fallenden Negcnstrahlen und häufigen Blitzen. Die Blitze waren stumm,
und das Gewitter zog nach einer andern Seite, als dürfte es die Einsamkeit
und Stille des Thales nicht stören, als wäre es blos erschienen, um uns die
rechte Stimmung an den Pforten der Unterwelt zu geben. Dagegen schwebten
jene dünnen Wolken uns, als wir den Berg zur Rechten erstiegen, näher und
näher, und als der Führer, auf dem Kamme angelangt, den Weg verloren
hatte und unschlüssig stehen blieb, fühlten wir ihren feuchtkalten Hauch an
der Wange und auf den erstarrenden Händen.

Wir waren endlich von so dichtem Nebel umgeben, daß wir keine zwanzig
Schritt vor uns sehen konnten. Die Sonne schien von oben mit einem
winterlichen Licht, weißlich wie der Mond. Hier und da blickte ein Schnee¬
streifen, sich von der braunen Klippe, auf der er lag, absehend, durch den
Dunstschleier hindurch. Wir konnten nicht fern mehr von solos sei», aber
es war möglich, daß die Wolke, in der wir standen, bis zum Abend
hier lagerte, und dann hätten wir die Nacht im Freien zubringen müssen.
Schaudernd vor Frost, suchte ich den Nest von Ergebung ins Unvermeidliche,
der mir nach der Enttäuschung im Klosterkeller und nach dem beschwerlichen
Ritt durch den Waldgrund des Krathis geblieben, zusammen, während Spiro
bald hierhin, bald dorthin reitend seine Augen anstrengte, den Verlornen Weg
zu entdecken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/36>, abgerufen am 24.07.2024.