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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Schicksal sprach, hatte etwas Niederschlagendes. Voß hatte eben (Juni 1777)
seine Ernestine heimgeführt und brachte sie nach Wandsbeck. wo er bis zum
Herbst des folgenden Jahres blieb; die Freunde versammelten sich regelmäßig
ZU Kegelpartien; wenn Claudius Abends den Freund besuchte, hatte er die
älteste Tochter mit einem Kreuzgürtel aus den Rücken gebunden. Für Voß
war es die prvductivste Zeit: die Idyllen wurden geschrieben, der siebenzigste
Geburtstag wenigstens erlebt, der Plan zur Luise entworfen. -- Claudius
gab 1778 den 3. Bd. seiner Schriften heraus, meist in Darmstadt entstanden
und noch überwiegend humoristisch; darin die Nachricht von der Audienz beim
Kaiser von Japan und das Schreiben eines parforcegejngten Hirsches an den
Fürsten.

Trotz seiner precären Lage überraschte Claudius die ferner Freunde nicht
selten mit Erzeugnissen der Hamburger Gastronomie. Er lebte hauptsächlich
von Übersetzungen und der Herausgabe des Asmus; doch wurde seine Lage
dadurch erleichtert, daß ihm F. H. Jncvbi von Ostern 1778 bis zum Sommer
^780 seine Söhne zur Erziehung anvertraute. Sein Briefwechsel mit Jacobi.
Lavater, Hamann ging sort; Lessing und Schönborn, der aus Algier zu¬
rückkehrte, besuchten ihn 1778 in Wandsbeck; sonst lebte er fast nur der Familie,
die sich jährlich mehrte. 1781 entschloß er sich zum Ankauf eines eignen
Hauses; den 19. Oct. 1787 schrieb er an den Kronprinzen von Dünemark,
der ihn seit zwei Jahren mit einer Pension von 200 Thlr. unterstützte: "ich
habe mich bisher mit meiner Hände Arbeit genährt und mich nicht übel da¬
bei befunden; aber acht Kurder. die doch Halbwege erzogen und unterrichtet
sein wollen, fangen an mir meine Zeit zu nehmen und mir meine jetzige
Lebensart etwas beschwerlich zu machen. . . Ich wünschte irgend eine Stelle
^ des Königs Lande, und wenn es sein könnte, im lieben Holstein. Ich
^ete nicht um eine sehr einträgliche Stelle, sondern nur um eine, die mich
"ährt. und um so eine bitte ich mit aller Unbefangenheit eines Mannes, der
Willens ist. das Brot, das ihm der König gibt, zu verdienen. Wenn es
'"ir auch erlaubt sein würde, so wüßte ich nicht zu sagen, wozu ich eigentlich
^schickt bin. und ich muß Ew. k. Hoheit unterthänig bitten. daß Sie gnädigst
Wuhen ein Machtwort zu sprechen und zu befehlen, wozu ich geschickt sein >
^it." Der Brief verschaffte ihm die Stelle eines Bnnkrevisors mit 9L0 Thlr..
ihn zu weiter nichts verpflichtete, als einige Wochen im Herbst der Rech-
"Ungsablage im nahen Mona beizuwohnen.

Von großer Wichtigkeit für seiue innere Entwicklung war die Ueber-
^sung des'mystischen Buchs Dos Ur-r'vui's ot Is, Vvritü 1782: theils
^it er wirklich von der Anschauungsweise Se. Martins sich manches ange-
?Suet hat. dann weil mau in Deutschland fast allgemein über das Buch ser-
in ihm ein Muster von Geistesverwirrung sah und diese Verurtheilung


Schicksal sprach, hatte etwas Niederschlagendes. Voß hatte eben (Juni 1777)
seine Ernestine heimgeführt und brachte sie nach Wandsbeck. wo er bis zum
Herbst des folgenden Jahres blieb; die Freunde versammelten sich regelmäßig
ZU Kegelpartien; wenn Claudius Abends den Freund besuchte, hatte er die
älteste Tochter mit einem Kreuzgürtel aus den Rücken gebunden. Für Voß
war es die prvductivste Zeit: die Idyllen wurden geschrieben, der siebenzigste
Geburtstag wenigstens erlebt, der Plan zur Luise entworfen. — Claudius
gab 1778 den 3. Bd. seiner Schriften heraus, meist in Darmstadt entstanden
und noch überwiegend humoristisch; darin die Nachricht von der Audienz beim
Kaiser von Japan und das Schreiben eines parforcegejngten Hirsches an den
Fürsten.

Trotz seiner precären Lage überraschte Claudius die ferner Freunde nicht
selten mit Erzeugnissen der Hamburger Gastronomie. Er lebte hauptsächlich
von Übersetzungen und der Herausgabe des Asmus; doch wurde seine Lage
dadurch erleichtert, daß ihm F. H. Jncvbi von Ostern 1778 bis zum Sommer
^780 seine Söhne zur Erziehung anvertraute. Sein Briefwechsel mit Jacobi.
Lavater, Hamann ging sort; Lessing und Schönborn, der aus Algier zu¬
rückkehrte, besuchten ihn 1778 in Wandsbeck; sonst lebte er fast nur der Familie,
die sich jährlich mehrte. 1781 entschloß er sich zum Ankauf eines eignen
Hauses; den 19. Oct. 1787 schrieb er an den Kronprinzen von Dünemark,
der ihn seit zwei Jahren mit einer Pension von 200 Thlr. unterstützte: „ich
habe mich bisher mit meiner Hände Arbeit genährt und mich nicht übel da¬
bei befunden; aber acht Kurder. die doch Halbwege erzogen und unterrichtet
sein wollen, fangen an mir meine Zeit zu nehmen und mir meine jetzige
Lebensart etwas beschwerlich zu machen. . . Ich wünschte irgend eine Stelle
^ des Königs Lande, und wenn es sein könnte, im lieben Holstein. Ich
^ete nicht um eine sehr einträgliche Stelle, sondern nur um eine, die mich
"ährt. und um so eine bitte ich mit aller Unbefangenheit eines Mannes, der
Willens ist. das Brot, das ihm der König gibt, zu verdienen. Wenn es
'"ir auch erlaubt sein würde, so wüßte ich nicht zu sagen, wozu ich eigentlich
^schickt bin. und ich muß Ew. k. Hoheit unterthänig bitten. daß Sie gnädigst
Wuhen ein Machtwort zu sprechen und zu befehlen, wozu ich geschickt sein >
^it." Der Brief verschaffte ihm die Stelle eines Bnnkrevisors mit 9L0 Thlr..
ihn zu weiter nichts verpflichtete, als einige Wochen im Herbst der Rech-
"Ungsablage im nahen Mona beizuwohnen.

Von großer Wichtigkeit für seiue innere Entwicklung war die Ueber-
^sung des'mystischen Buchs Dos Ur-r'vui's ot Is, Vvritü 1782: theils
^it er wirklich von der Anschauungsweise Se. Martins sich manches ange-
?Suet hat. dann weil mau in Deutschland fast allgemein über das Buch ser-
in ihm ein Muster von Geistesverwirrung sah und diese Verurtheilung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/351>, abgerufen am 24.07.2024.