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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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alles ist so vortrefflich gesagt, daß sich nichts weiter hinzusetzen läßt; wobei
wir nur immer daran erinnern, daß hier nur von den Liedern, nicht von der
Prosa die Rede ist. ,.Niemals hat sich Claudius von der Vorstellung los¬
machen wollen, daß alles poetische Schaffen auf das innigste mit sittlicher
Reinheit im Bunde sein müsse;" auch seine Stimmungen dienen der Lehre. '

Wandsbeck wurde in doppeltem Sinn des Dichters Heimath; hier fand
er die eigne Art seines Schaffens, hier fand er sein geliebtes Weib, Rebekka,
die Tochter des Zimmermeisters Behn, die ihn in treuer Liebe und in ver¬
ständigem Walten bis an sein Ende begleitet hat (geb. Oct. 1754). Die
Hochzeit (15. März 1772) schmeckte etwas nach der Geniezeit: Claudius hatte,
ohne den Zweck merken zu lassen, eine Gesellschaft naher Bekannten geladen,
darunter Klopstock, Bode, Schönborn (vor seiner Abreise nach Algier 1771---
1772 Hofmeister in Hamburg); auch der ?a."or loci erschien, und Claudius,
der zuerst wie im Scherz vom Copuliren sprach, zog endlich die königliche
Concession aus der Tasche. Auch die Leser des Boten mußten an der Freude
Theil nehmen. Rebekka -- er nannte sie auch später in den Briefen fast
immer sein Bauermädchen -- war nach dem Zeugniß aller Zeitgenossen eine
der bravsten und liebenswürdigsten Frauen, die Ehe eine musterhafte und
gesegnete. Freilich begannen sofort die Nahrungssorgen, der Bote wollte
nicht recht gedeihen, Uebersetzungen brachten auch nicht viel ein, und Herder
suchte lange Zeit vergebens für seinen Freund eine Anstellung. Seit Ostern
1775 lebte auch V oß, Claudius Mitarbeiter am Göttinger Musenalmanach, in
Wandsbeck, mit Claudius und seiner Frau aufs innigste befreundet, in einem
gemüthlichen Stillleben; Hölty. der sich gleichfalls dahin übersiedeln wollte,
wurde durch den schnellen Fortschritt seiner Schwindsucht zurückgehalten; die
beiden Stolberg (er hatte sie 1771 -- 1772 in Altona kennen gelernt)-
Miller und andere Hainbündler erschienen besuchsweise; durch Herders Ver¬
mittlung wurde seit 1774 mit Ha manu und Lava t er ein lebhafter Brief'
Wechsel angeknüpft. Der letztere begleitete später in seiner Physiognomik die
Silhouette des Wandsbecker Boten mit folgender Charakteristik: "Weder Schwach'
kopf noch Scharfkopf. Gesunder, schlichtguter, aber durchaus nicht fortdrin¬
gender, reisender, gliedernder Verstand. Hell und richtig und rein wird er
sehen und richten, was vor ihn kommt; den Reichen als den Armen, den
Armen als den Reichen; niemandem zu lieb noch zu leid. Kurz! schlecht und
recht! einfältig und gerade! Genie des Wahrheitssinns! Genie des Herzens
-- Armuth und Zufriedenheit! Demuth und unerkäufliche Ruhe und Festigkeit
des Sinns -- und in der Form und den Zügen des Profils die Abgeschlissen'
heit, Unangespanntheit eines freien Naturempfindens."

Schon im Mai 1775 war Claudius von dem Boten, der im October
ganz einging, zurückgetreten; gleich darauf begann er die Herausgabe seu'^'


alles ist so vortrefflich gesagt, daß sich nichts weiter hinzusetzen läßt; wobei
wir nur immer daran erinnern, daß hier nur von den Liedern, nicht von der
Prosa die Rede ist. ,.Niemals hat sich Claudius von der Vorstellung los¬
machen wollen, daß alles poetische Schaffen auf das innigste mit sittlicher
Reinheit im Bunde sein müsse;" auch seine Stimmungen dienen der Lehre. '

Wandsbeck wurde in doppeltem Sinn des Dichters Heimath; hier fand
er die eigne Art seines Schaffens, hier fand er sein geliebtes Weib, Rebekka,
die Tochter des Zimmermeisters Behn, die ihn in treuer Liebe und in ver¬
ständigem Walten bis an sein Ende begleitet hat (geb. Oct. 1754). Die
Hochzeit (15. März 1772) schmeckte etwas nach der Geniezeit: Claudius hatte,
ohne den Zweck merken zu lassen, eine Gesellschaft naher Bekannten geladen,
darunter Klopstock, Bode, Schönborn (vor seiner Abreise nach Algier 1771—-
1772 Hofmeister in Hamburg); auch der ?a.«or loci erschien, und Claudius,
der zuerst wie im Scherz vom Copuliren sprach, zog endlich die königliche
Concession aus der Tasche. Auch die Leser des Boten mußten an der Freude
Theil nehmen. Rebekka — er nannte sie auch später in den Briefen fast
immer sein Bauermädchen — war nach dem Zeugniß aller Zeitgenossen eine
der bravsten und liebenswürdigsten Frauen, die Ehe eine musterhafte und
gesegnete. Freilich begannen sofort die Nahrungssorgen, der Bote wollte
nicht recht gedeihen, Uebersetzungen brachten auch nicht viel ein, und Herder
suchte lange Zeit vergebens für seinen Freund eine Anstellung. Seit Ostern
1775 lebte auch V oß, Claudius Mitarbeiter am Göttinger Musenalmanach, in
Wandsbeck, mit Claudius und seiner Frau aufs innigste befreundet, in einem
gemüthlichen Stillleben; Hölty. der sich gleichfalls dahin übersiedeln wollte,
wurde durch den schnellen Fortschritt seiner Schwindsucht zurückgehalten; die
beiden Stolberg (er hatte sie 1771 — 1772 in Altona kennen gelernt)-
Miller und andere Hainbündler erschienen besuchsweise; durch Herders Ver¬
mittlung wurde seit 1774 mit Ha manu und Lava t er ein lebhafter Brief'
Wechsel angeknüpft. Der letztere begleitete später in seiner Physiognomik die
Silhouette des Wandsbecker Boten mit folgender Charakteristik: „Weder Schwach'
kopf noch Scharfkopf. Gesunder, schlichtguter, aber durchaus nicht fortdrin¬
gender, reisender, gliedernder Verstand. Hell und richtig und rein wird er
sehen und richten, was vor ihn kommt; den Reichen als den Armen, den
Armen als den Reichen; niemandem zu lieb noch zu leid. Kurz! schlecht und
recht! einfältig und gerade! Genie des Wahrheitssinns! Genie des Herzens
— Armuth und Zufriedenheit! Demuth und unerkäufliche Ruhe und Festigkeit
des Sinns — und in der Form und den Zügen des Profils die Abgeschlissen'
heit, Unangespanntheit eines freien Naturempfindens."

Schon im Mai 1775 war Claudius von dem Boten, der im October
ganz einging, zurückgetreten; gleich darauf begann er die Herausgabe seu'^'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/348>, abgerufen am 24.07.2024.