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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Claudius fand an den liberalen Religionsansichten seiner Freunde noch keinen
Anstoß. -- Die "Adreßcomptoirnachrichtcn" waren im Ganzen ein bloßes
^eschäftsblatt; der einzige originelle Artikel (11. Nov. 1769) ist ein Brief¬
wechsel, worin ein junger Mensch vom Lande an seinen Vater über die Anf¬
ührung der Minna von Barnhelm berichtet, im Glauben, es sei alles selbst-
eUebte Wirklichkeit. Der Artikel ist allerliebst, aber -- nichts weniger als
^ir>. Der gute Junge schreibt u. a.: "Mir war den ganzen Abend das Herz
5° groß- und so warm -- ich hatte einen so heißen Durst nach edlen Thaten
ja ich glaube wahrhaftig, wenn man solche Leute oft sähe, man könnte
^dlich selbst rechtschaffen und großmüthig mit ihnen werden." Der Vater
antwortet: "Die Götter (die Götter!) geben dem Menschen ein Herz, das
Aufwallen und mit dem wärmeren Blut sanfte Nöthe in sein Gesicht. Thränen
^ seine Augen, und mit ihnen Empfindung der Seligkeit und unwiderstehlich
^>ßes Wonnegefühl durch jede kleinste Nerve strömen könnte .... Du hast
weiches unverdorbenes Herz u. s. w." -- So reflectirt weder ein naiver
^ohn noch ein naiver Vater. Kräftiger spricht sich die Tante über den "gott-
^'gessencn Sündenwisch" aus. der in schlechte Häuser geht. -- Einen viel
Züchtigeren Einfluß als Lessing gewann Herder, als er Februar 1770 durch
^Mburg kam, auf den strebsamen Jüngling: damals noch nicht der ernsthafte
^usistvnalrath, sondern übersprudelnd von innerm Lebenstrieb, eine Fülle
Ideen, noch in der Währung, im Kopf, und bereit, jeder schwächeren
"tur seinen Stempel aufzuprägen. Auch Herder war bezaubert von "dem
Duften Menschen", den er je gekannt. Lessing verließ Hamburg Ostern 1770;
halb Jahr darauf siedelte sich Klopstock daselbst an. Aber schon zu An-
^'S des Jahres mußte Claudius die "Nachrichten" aufgeben, weil er nach
^ Ansicht des Besitzers das Geschäft zu unordentlich führte.

^ Bode hatte die Gründung einer neuen Zeitschrift, des "Boten", beschlos-
^> und von ihm beauftragt, siedelte sich Claudius Weihnachten 1770 nach
^Midsbeck über. Den 1. Januar 1771 erschien die erste Nummer:


Ich bin ein Bote und nichts mehr,
Was man mir gibt, das bring ich her,
Gelehrte und polie'sehe Mühr;
Von Alp Bey und seinem Heer,
Vom Tartarchcm, der wie ein Bär
Die Menschen frißt am schwarzen Meer,
(Der ist kein angenehmer Herr)
Von Persien, wo mit seinem Speer
Der Prinz Hcratlius wüthet sehr.
Vom rothen Gold, vom Sternenheer,
Von Unschuld, Tugend, die noch mehr
Als Gold und Name sind --

Claudius fand an den liberalen Religionsansichten seiner Freunde noch keinen
Anstoß. — Die „Adreßcomptoirnachrichtcn" waren im Ganzen ein bloßes
^eschäftsblatt; der einzige originelle Artikel (11. Nov. 1769) ist ein Brief¬
wechsel, worin ein junger Mensch vom Lande an seinen Vater über die Anf¬
ührung der Minna von Barnhelm berichtet, im Glauben, es sei alles selbst-
eUebte Wirklichkeit. Der Artikel ist allerliebst, aber — nichts weniger als
^ir>. Der gute Junge schreibt u. a.: „Mir war den ganzen Abend das Herz
5° groß- und so warm — ich hatte einen so heißen Durst nach edlen Thaten
ja ich glaube wahrhaftig, wenn man solche Leute oft sähe, man könnte
^dlich selbst rechtschaffen und großmüthig mit ihnen werden." Der Vater
antwortet: „Die Götter (die Götter!) geben dem Menschen ein Herz, das
Aufwallen und mit dem wärmeren Blut sanfte Nöthe in sein Gesicht. Thränen
^ seine Augen, und mit ihnen Empfindung der Seligkeit und unwiderstehlich
^>ßes Wonnegefühl durch jede kleinste Nerve strömen könnte .... Du hast
weiches unverdorbenes Herz u. s. w." — So reflectirt weder ein naiver
^ohn noch ein naiver Vater. Kräftiger spricht sich die Tante über den „gott-
^'gessencn Sündenwisch" aus. der in schlechte Häuser geht. — Einen viel
Züchtigeren Einfluß als Lessing gewann Herder, als er Februar 1770 durch
^Mburg kam, auf den strebsamen Jüngling: damals noch nicht der ernsthafte
^usistvnalrath, sondern übersprudelnd von innerm Lebenstrieb, eine Fülle
Ideen, noch in der Währung, im Kopf, und bereit, jeder schwächeren
"tur seinen Stempel aufzuprägen. Auch Herder war bezaubert von „dem
Duften Menschen", den er je gekannt. Lessing verließ Hamburg Ostern 1770;
halb Jahr darauf siedelte sich Klopstock daselbst an. Aber schon zu An-
^'S des Jahres mußte Claudius die „Nachrichten" aufgeben, weil er nach
^ Ansicht des Besitzers das Geschäft zu unordentlich führte.

^ Bode hatte die Gründung einer neuen Zeitschrift, des „Boten", beschlos-
^> und von ihm beauftragt, siedelte sich Claudius Weihnachten 1770 nach
^Midsbeck über. Den 1. Januar 1771 erschien die erste Nummer:


Ich bin ein Bote und nichts mehr,
Was man mir gibt, das bring ich her,
Gelehrte und polie'sehe Mühr;
Von Alp Bey und seinem Heer,
Vom Tartarchcm, der wie ein Bär
Die Menschen frißt am schwarzen Meer,
(Der ist kein angenehmer Herr)
Von Persien, wo mit seinem Speer
Der Prinz Hcratlius wüthet sehr.
Vom rothen Gold, vom Sternenheer,
Von Unschuld, Tugend, die noch mehr
Als Gold und Name sind —

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[0345] Claudius fand an den liberalen Religionsansichten seiner Freunde noch keinen Anstoß. — Die „Adreßcomptoirnachrichtcn" waren im Ganzen ein bloßes ^eschäftsblatt; der einzige originelle Artikel (11. Nov. 1769) ist ein Brief¬ wechsel, worin ein junger Mensch vom Lande an seinen Vater über die Anf¬ ührung der Minna von Barnhelm berichtet, im Glauben, es sei alles selbst- eUebte Wirklichkeit. Der Artikel ist allerliebst, aber — nichts weniger als ^ir>. Der gute Junge schreibt u. a.: „Mir war den ganzen Abend das Herz 5° groß- und so warm — ich hatte einen so heißen Durst nach edlen Thaten ja ich glaube wahrhaftig, wenn man solche Leute oft sähe, man könnte ^dlich selbst rechtschaffen und großmüthig mit ihnen werden." Der Vater antwortet: „Die Götter (die Götter!) geben dem Menschen ein Herz, das Aufwallen und mit dem wärmeren Blut sanfte Nöthe in sein Gesicht. Thränen ^ seine Augen, und mit ihnen Empfindung der Seligkeit und unwiderstehlich ^>ßes Wonnegefühl durch jede kleinste Nerve strömen könnte .... Du hast weiches unverdorbenes Herz u. s. w." — So reflectirt weder ein naiver ^ohn noch ein naiver Vater. Kräftiger spricht sich die Tante über den „gott- ^'gessencn Sündenwisch" aus. der in schlechte Häuser geht. — Einen viel Züchtigeren Einfluß als Lessing gewann Herder, als er Februar 1770 durch ^Mburg kam, auf den strebsamen Jüngling: damals noch nicht der ernsthafte ^usistvnalrath, sondern übersprudelnd von innerm Lebenstrieb, eine Fülle Ideen, noch in der Währung, im Kopf, und bereit, jeder schwächeren "tur seinen Stempel aufzuprägen. Auch Herder war bezaubert von „dem Duften Menschen", den er je gekannt. Lessing verließ Hamburg Ostern 1770; halb Jahr darauf siedelte sich Klopstock daselbst an. Aber schon zu An- ^'S des Jahres mußte Claudius die „Nachrichten" aufgeben, weil er nach ^ Ansicht des Besitzers das Geschäft zu unordentlich führte. ^ Bode hatte die Gründung einer neuen Zeitschrift, des „Boten", beschlos- ^> und von ihm beauftragt, siedelte sich Claudius Weihnachten 1770 nach ^Midsbeck über. Den 1. Januar 1771 erschien die erste Nummer: Ich bin ein Bote und nichts mehr, Was man mir gibt, das bring ich her, Gelehrte und polie'sehe Mühr; Von Alp Bey und seinem Heer, Vom Tartarchcm, der wie ein Bär Die Menschen frißt am schwarzen Meer, (Der ist kein angenehmer Herr) Von Persien, wo mit seinem Speer Der Prinz Hcratlius wüthet sehr. Vom rothen Gold, vom Sternenheer, Von Unschuld, Tugend, die noch mehr Als Gold und Name sind —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/345>, abgerufen am 24.07.2024.