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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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er predigte mit der Salbung eines Jnspirirten, und verstand von den politi¬
schen Zustünden Deutschlands ungefähr so viel als ein Cooperscher Indianer.
Der rücksichtslose Unwille, mit dem ihn seine alten Freunde in jener Zeit be¬
handelten, ist daher vollkommen gerechtfertigt, um so mehr, da sie nie ver¬
säumt haben, im Uebrigen die tüchtige und liebenswürdige Persönlichkeit des
Mannes gebührend zu ehren. Sein Fehler war, daß er alles vom Stand¬
punkt des Gemüths entscheiden wollte. In den Beziehungen des Privatlebens
richte das aus, da der so oft gemißbrauchte Ausdruck "schöne Seele" auf
Claudius seine volle Anwendung findet, aber über Politik zu reden hatte er
ebenso wenig Grund als Fräulein von Klettenbcrg. Wie kindlich seine
politischen Begriffe waren zeigt am deutlichsten seine Definition des Adels in
Paul Erdmanns Fest (1783).

Seine Bedeutung für die Literaturgeschichte liegt nach einer andern
Seite hin.

Nach der heillosen Verwirrung, die auf das Elend des dreißigjährigen
Krieges folgte, erhielt die deutsche Literatur und mittelbar die deutsche Ge¬
sellschaft durch zwei Männer ein bestimmtes Gepräge, durch Christian Wolf
und- durch Gottsched. Zwei nüchterne verständige Naturen, denen es im
Denken und Empfinden nur darauf ankam, daß alles nach der Schnur ging.
Daß dieser Despotismus der Convenienz nach jener Verwilderung vorüber¬
gehend ganz am Platz war, wird man heute ebenso wenig bezweifeln, als
daß die wahrhaft schöpferischen Kräfte, die zwei Jahrzehnte nach Gottsched
Auftauchten, sich mit dem vollsten Recht und zum wahren Heil der deutschen
Literatur gegen diese Convenienz auflehnten. Der leitende Gedanke der deut¬
schen Literatur von 1750 -- 1790 und mittelbar auch noch in der folgenden
3eit, war, die Fesseln dieser Convenienz zu brechen. Dazu boten sich zwei
sehr verschiedene Wege, die sich aber häusig begegneten.

Der eine Weg führte zur Natur, der andere zum Ideal. Um die gespreizte
^'d doch triviale Wichtigthuerei zu vermeiden, suchte man entweder recht
gliche, einfach und natürlich zu sein, oder man schwang sich zum Erhabenen
"uf. Das Letztere versuchte Klopstock, der eigentliche Sieger über die Gott-
schedsche Schule, welche die schweizer Kritiker allein nicht würden bezwungen
haben. Wie es bei allen Nachahmungen geschieht, wurde aus der erhabenen
^Pfindung Klopstocks in seiner Schule eine neue Convenienz, die trotz der
^weichenden Formen nicht selten an Gottsched erinnerte. Klopstock riß durch
seinen mächtigen Einfluß auch diejenigen mit fort, die sonst eine ganz entgegen¬
setzte Richtung eingeschlagen haben würden. Goethe selbst, die productivste
^atur, die Deutschland hervorgebracht, würde manche seiner frühern Oden
^Ac Klopstock nicht geschrieben haben. Gewiß hat sein Prometheus dem
^'samen Dichter des Messias viel Verdruß gemacht; und doch würde der


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er predigte mit der Salbung eines Jnspirirten, und verstand von den politi¬
schen Zustünden Deutschlands ungefähr so viel als ein Cooperscher Indianer.
Der rücksichtslose Unwille, mit dem ihn seine alten Freunde in jener Zeit be¬
handelten, ist daher vollkommen gerechtfertigt, um so mehr, da sie nie ver¬
säumt haben, im Uebrigen die tüchtige und liebenswürdige Persönlichkeit des
Mannes gebührend zu ehren. Sein Fehler war, daß er alles vom Stand¬
punkt des Gemüths entscheiden wollte. In den Beziehungen des Privatlebens
richte das aus, da der so oft gemißbrauchte Ausdruck „schöne Seele" auf
Claudius seine volle Anwendung findet, aber über Politik zu reden hatte er
ebenso wenig Grund als Fräulein von Klettenbcrg. Wie kindlich seine
politischen Begriffe waren zeigt am deutlichsten seine Definition des Adels in
Paul Erdmanns Fest (1783).

Seine Bedeutung für die Literaturgeschichte liegt nach einer andern
Seite hin.

Nach der heillosen Verwirrung, die auf das Elend des dreißigjährigen
Krieges folgte, erhielt die deutsche Literatur und mittelbar die deutsche Ge¬
sellschaft durch zwei Männer ein bestimmtes Gepräge, durch Christian Wolf
und- durch Gottsched. Zwei nüchterne verständige Naturen, denen es im
Denken und Empfinden nur darauf ankam, daß alles nach der Schnur ging.
Daß dieser Despotismus der Convenienz nach jener Verwilderung vorüber¬
gehend ganz am Platz war, wird man heute ebenso wenig bezweifeln, als
daß die wahrhaft schöpferischen Kräfte, die zwei Jahrzehnte nach Gottsched
Auftauchten, sich mit dem vollsten Recht und zum wahren Heil der deutschen
Literatur gegen diese Convenienz auflehnten. Der leitende Gedanke der deut¬
schen Literatur von 1750 — 1790 und mittelbar auch noch in der folgenden
3eit, war, die Fesseln dieser Convenienz zu brechen. Dazu boten sich zwei
sehr verschiedene Wege, die sich aber häusig begegneten.

Der eine Weg führte zur Natur, der andere zum Ideal. Um die gespreizte
^'d doch triviale Wichtigthuerei zu vermeiden, suchte man entweder recht
gliche, einfach und natürlich zu sein, oder man schwang sich zum Erhabenen
"uf. Das Letztere versuchte Klopstock, der eigentliche Sieger über die Gott-
schedsche Schule, welche die schweizer Kritiker allein nicht würden bezwungen
haben. Wie es bei allen Nachahmungen geschieht, wurde aus der erhabenen
^Pfindung Klopstocks in seiner Schule eine neue Convenienz, die trotz der
^weichenden Formen nicht selten an Gottsched erinnerte. Klopstock riß durch
seinen mächtigen Einfluß auch diejenigen mit fort, die sonst eine ganz entgegen¬
setzte Richtung eingeschlagen haben würden. Goethe selbst, die productivste
^atur, die Deutschland hervorgebracht, würde manche seiner frühern Oden
^Ac Klopstock nicht geschrieben haben. Gewiß hat sein Prometheus dem
^'samen Dichter des Messias viel Verdruß gemacht; und doch würde der


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[0341] er predigte mit der Salbung eines Jnspirirten, und verstand von den politi¬ schen Zustünden Deutschlands ungefähr so viel als ein Cooperscher Indianer. Der rücksichtslose Unwille, mit dem ihn seine alten Freunde in jener Zeit be¬ handelten, ist daher vollkommen gerechtfertigt, um so mehr, da sie nie ver¬ säumt haben, im Uebrigen die tüchtige und liebenswürdige Persönlichkeit des Mannes gebührend zu ehren. Sein Fehler war, daß er alles vom Stand¬ punkt des Gemüths entscheiden wollte. In den Beziehungen des Privatlebens richte das aus, da der so oft gemißbrauchte Ausdruck „schöne Seele" auf Claudius seine volle Anwendung findet, aber über Politik zu reden hatte er ebenso wenig Grund als Fräulein von Klettenbcrg. Wie kindlich seine politischen Begriffe waren zeigt am deutlichsten seine Definition des Adels in Paul Erdmanns Fest (1783). Seine Bedeutung für die Literaturgeschichte liegt nach einer andern Seite hin. Nach der heillosen Verwirrung, die auf das Elend des dreißigjährigen Krieges folgte, erhielt die deutsche Literatur und mittelbar die deutsche Ge¬ sellschaft durch zwei Männer ein bestimmtes Gepräge, durch Christian Wolf und- durch Gottsched. Zwei nüchterne verständige Naturen, denen es im Denken und Empfinden nur darauf ankam, daß alles nach der Schnur ging. Daß dieser Despotismus der Convenienz nach jener Verwilderung vorüber¬ gehend ganz am Platz war, wird man heute ebenso wenig bezweifeln, als daß die wahrhaft schöpferischen Kräfte, die zwei Jahrzehnte nach Gottsched Auftauchten, sich mit dem vollsten Recht und zum wahren Heil der deutschen Literatur gegen diese Convenienz auflehnten. Der leitende Gedanke der deut¬ schen Literatur von 1750 — 1790 und mittelbar auch noch in der folgenden 3eit, war, die Fesseln dieser Convenienz zu brechen. Dazu boten sich zwei sehr verschiedene Wege, die sich aber häusig begegneten. Der eine Weg führte zur Natur, der andere zum Ideal. Um die gespreizte ^'d doch triviale Wichtigthuerei zu vermeiden, suchte man entweder recht gliche, einfach und natürlich zu sein, oder man schwang sich zum Erhabenen "uf. Das Letztere versuchte Klopstock, der eigentliche Sieger über die Gott- schedsche Schule, welche die schweizer Kritiker allein nicht würden bezwungen haben. Wie es bei allen Nachahmungen geschieht, wurde aus der erhabenen ^Pfindung Klopstocks in seiner Schule eine neue Convenienz, die trotz der ^weichenden Formen nicht selten an Gottsched erinnerte. Klopstock riß durch seinen mächtigen Einfluß auch diejenigen mit fort, die sonst eine ganz entgegen¬ setzte Richtung eingeschlagen haben würden. Goethe selbst, die productivste ^atur, die Deutschland hervorgebracht, würde manche seiner frühern Oden ^Ac Klopstock nicht geschrieben haben. Gewiß hat sein Prometheus dem ^'samen Dichter des Messias viel Verdruß gemacht; und doch würde der 42 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/341>, abgerufen am 24.07.2024.