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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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vom Jnselchen Seriphus wieder zurückgerufen zu werden. Bei ihm befragt
sich deine Hausfrau über den zögernden Tod ihrer gelbsüchtigen Mutter, vor¬
bei aber über den deinigen; wann sie die Schwester, wann ihre Oheime zur
ewigen Ruhe begleiten werde, ob ihr Geliebter sie überleben werde? Sie hat
jedoch feine astrologischen Kenntnisse und weiß nichts von den Häusern und
Kräften der Planeten. Hüte dich aber, einer Frau zu begegnen, in deren
Händen du ein abgenutztes, bernsteingelbes astrologisches Tagebuch erblickst!
Sie befragt niemanden, sondern ertheilt schon selbst Antworten, sie wird sich
nicht von der Stelle rühren, sobald ihr die Berechnungen des Thrasullus ab¬
wichen, mag der Mann ins Feld ziehen, oder ins Vaterland heimkehren,
beliebt es ihr, eine Spazierfahrt bis zum ersten Meilenstein zu machen, wird
die Stunde dazu dem Buche entnommen; juckt der etwas geriebene Winkel
Auges, so wird das Horoskop gestellt und darnach Augensalbe gefordert;
uegt sie krank, so ist keine Stunde zum Speisen schicklicher, als welche der
Mßte Astrolog Aegyptens Petosiris gerathen hat." Einen passenden historischen
^eleg zu dieser Stelle liefert die von Tacitus im 1L. Buche der Annalen er¬
zählte Verrätherei des Antistius Sostanus. Dieser war wegen einiger Spott¬
gedichte auf Nero aus eine Insel verbannt worden und machte dort mit einem
berühmten Chaldäer, Namens Pnmmenes. Bekanntschaft. Letzterer lebte
ebenfalls dort im Exil, unterhielt aber mit seinen vornehmen Kunden in
Nun einen lebhaften Briefwechsel. Hierauf baute Antistius seinen Bestciungs-
plcm. Nachdem er sich in des Chaldäers Vertrauen eingeschlichen, suchte er sich
Unter dessen römischen Correspondenten einen römischen Edlen, Namens Antejus
"us. Derselbe hatte bei Neros Mutter in Gunst gestanden und war daher
dem Kaiser verhaßt; außerdem hatten seine Reichthümer einen Reiz für Nero.
Antistius sing also dessen Briefe auf, stahl daun bei Pcunmenes des Antejus
Horoskop und Prophezeihungen über den Regenten und denuncirte den Frage¬
steller wegen Hochverraths. Er erreichte zwar seinen Zweck und erlangte die
Freiheit, wurde aber bei Vespasians Regierungsantritt als Angeber wieder
"Uf dieselbe Insel zurückgeschickt. -- Die angesehenen Astrologen ließen sich
theuer bezahlen (in einer Anekdote des Appulejus bekommt Diaphanes
einer griechischen Stadt für Angabe eines glücklichen Reisetages 100 Denare),
^der auch der gemeine Mann hatte Gelegenheit, die Sterne zu befragen.
"Das plebejische Schicksal," sagt Juvenal. "hat seinen Stand im Cirkus oder
"Uf dem Walle (jeßt Porta San Lorenzo); dort fragt die Frau des Schenk-
^U'ass. ob sie ihren Mann 'verlassen und deu Kleidertrvdler heirathen soll."
^und diese vagabundirenden Sterndeuter erkundigten sich nach Jahr, Tag und
stunde der Geburt und rechneten dann mit Hilfe von Nechensteinchen, die
""f einer Tafel aufgelegt wurden oder an den Fingern den Bescheid aus.
^hre Manieren beschreibt der jüngere Plinius am Beispiel seines Feindes, des


vom Jnselchen Seriphus wieder zurückgerufen zu werden. Bei ihm befragt
sich deine Hausfrau über den zögernden Tod ihrer gelbsüchtigen Mutter, vor¬
bei aber über den deinigen; wann sie die Schwester, wann ihre Oheime zur
ewigen Ruhe begleiten werde, ob ihr Geliebter sie überleben werde? Sie hat
jedoch feine astrologischen Kenntnisse und weiß nichts von den Häusern und
Kräften der Planeten. Hüte dich aber, einer Frau zu begegnen, in deren
Händen du ein abgenutztes, bernsteingelbes astrologisches Tagebuch erblickst!
Sie befragt niemanden, sondern ertheilt schon selbst Antworten, sie wird sich
nicht von der Stelle rühren, sobald ihr die Berechnungen des Thrasullus ab¬
wichen, mag der Mann ins Feld ziehen, oder ins Vaterland heimkehren,
beliebt es ihr, eine Spazierfahrt bis zum ersten Meilenstein zu machen, wird
die Stunde dazu dem Buche entnommen; juckt der etwas geriebene Winkel
Auges, so wird das Horoskop gestellt und darnach Augensalbe gefordert;
uegt sie krank, so ist keine Stunde zum Speisen schicklicher, als welche der
Mßte Astrolog Aegyptens Petosiris gerathen hat." Einen passenden historischen
^eleg zu dieser Stelle liefert die von Tacitus im 1L. Buche der Annalen er¬
zählte Verrätherei des Antistius Sostanus. Dieser war wegen einiger Spott¬
gedichte auf Nero aus eine Insel verbannt worden und machte dort mit einem
berühmten Chaldäer, Namens Pnmmenes. Bekanntschaft. Letzterer lebte
ebenfalls dort im Exil, unterhielt aber mit seinen vornehmen Kunden in
Nun einen lebhaften Briefwechsel. Hierauf baute Antistius seinen Bestciungs-
plcm. Nachdem er sich in des Chaldäers Vertrauen eingeschlichen, suchte er sich
Unter dessen römischen Correspondenten einen römischen Edlen, Namens Antejus
"us. Derselbe hatte bei Neros Mutter in Gunst gestanden und war daher
dem Kaiser verhaßt; außerdem hatten seine Reichthümer einen Reiz für Nero.
Antistius sing also dessen Briefe auf, stahl daun bei Pcunmenes des Antejus
Horoskop und Prophezeihungen über den Regenten und denuncirte den Frage¬
steller wegen Hochverraths. Er erreichte zwar seinen Zweck und erlangte die
Freiheit, wurde aber bei Vespasians Regierungsantritt als Angeber wieder
"Uf dieselbe Insel zurückgeschickt. — Die angesehenen Astrologen ließen sich
theuer bezahlen (in einer Anekdote des Appulejus bekommt Diaphanes
einer griechischen Stadt für Angabe eines glücklichen Reisetages 100 Denare),
^der auch der gemeine Mann hatte Gelegenheit, die Sterne zu befragen.
"Das plebejische Schicksal," sagt Juvenal. „hat seinen Stand im Cirkus oder
"Uf dem Walle (jeßt Porta San Lorenzo); dort fragt die Frau des Schenk-
^U'ass. ob sie ihren Mann 'verlassen und deu Kleidertrvdler heirathen soll."
^und diese vagabundirenden Sterndeuter erkundigten sich nach Jahr, Tag und
stunde der Geburt und rechneten dann mit Hilfe von Nechensteinchen, die
""f einer Tafel aufgelegt wurden oder an den Fingern den Bescheid aus.
^hre Manieren beschreibt der jüngere Plinius am Beispiel seines Feindes, des


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[0319] vom Jnselchen Seriphus wieder zurückgerufen zu werden. Bei ihm befragt sich deine Hausfrau über den zögernden Tod ihrer gelbsüchtigen Mutter, vor¬ bei aber über den deinigen; wann sie die Schwester, wann ihre Oheime zur ewigen Ruhe begleiten werde, ob ihr Geliebter sie überleben werde? Sie hat jedoch feine astrologischen Kenntnisse und weiß nichts von den Häusern und Kräften der Planeten. Hüte dich aber, einer Frau zu begegnen, in deren Händen du ein abgenutztes, bernsteingelbes astrologisches Tagebuch erblickst! Sie befragt niemanden, sondern ertheilt schon selbst Antworten, sie wird sich nicht von der Stelle rühren, sobald ihr die Berechnungen des Thrasullus ab¬ wichen, mag der Mann ins Feld ziehen, oder ins Vaterland heimkehren, beliebt es ihr, eine Spazierfahrt bis zum ersten Meilenstein zu machen, wird die Stunde dazu dem Buche entnommen; juckt der etwas geriebene Winkel Auges, so wird das Horoskop gestellt und darnach Augensalbe gefordert; uegt sie krank, so ist keine Stunde zum Speisen schicklicher, als welche der Mßte Astrolog Aegyptens Petosiris gerathen hat." Einen passenden historischen ^eleg zu dieser Stelle liefert die von Tacitus im 1L. Buche der Annalen er¬ zählte Verrätherei des Antistius Sostanus. Dieser war wegen einiger Spott¬ gedichte auf Nero aus eine Insel verbannt worden und machte dort mit einem berühmten Chaldäer, Namens Pnmmenes. Bekanntschaft. Letzterer lebte ebenfalls dort im Exil, unterhielt aber mit seinen vornehmen Kunden in Nun einen lebhaften Briefwechsel. Hierauf baute Antistius seinen Bestciungs- plcm. Nachdem er sich in des Chaldäers Vertrauen eingeschlichen, suchte er sich Unter dessen römischen Correspondenten einen römischen Edlen, Namens Antejus "us. Derselbe hatte bei Neros Mutter in Gunst gestanden und war daher dem Kaiser verhaßt; außerdem hatten seine Reichthümer einen Reiz für Nero. Antistius sing also dessen Briefe auf, stahl daun bei Pcunmenes des Antejus Horoskop und Prophezeihungen über den Regenten und denuncirte den Frage¬ steller wegen Hochverraths. Er erreichte zwar seinen Zweck und erlangte die Freiheit, wurde aber bei Vespasians Regierungsantritt als Angeber wieder "Uf dieselbe Insel zurückgeschickt. — Die angesehenen Astrologen ließen sich theuer bezahlen (in einer Anekdote des Appulejus bekommt Diaphanes einer griechischen Stadt für Angabe eines glücklichen Reisetages 100 Denare), ^der auch der gemeine Mann hatte Gelegenheit, die Sterne zu befragen. "Das plebejische Schicksal," sagt Juvenal. „hat seinen Stand im Cirkus oder "Uf dem Walle (jeßt Porta San Lorenzo); dort fragt die Frau des Schenk- ^U'ass. ob sie ihren Mann 'verlassen und deu Kleidertrvdler heirathen soll." ^und diese vagabundirenden Sterndeuter erkundigten sich nach Jahr, Tag und stunde der Geburt und rechneten dann mit Hilfe von Nechensteinchen, die ""f einer Tafel aufgelegt wurden oder an den Fingern den Bescheid aus. ^hre Manieren beschreibt der jüngere Plinius am Beispiel seines Feindes, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/319>, abgerufen am 24.07.2024.