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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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scheinen die Chaldäer den Tod des beschränkten Kaisers erwartet zu haben.
Wenigstens läßt der über den Aberglauben seiner Zeit hoch erhabene Philo¬
soph Seneca in seiner Spottschrift auf den Tod des Claudius den Mercur
zu einer der Parzen sagen: "Gestatte doch endlich einmal den Astrologen die
Wahrheit zu sagen, die jenen, seitdem er Kaiser geworden ist, in jedem Jahre,
in jedem Monate begraben lassen!" Die zweite Gemahlin des Kaisers. Agrip-
pina, die würdige Mutter Neros, war ganz in den Händen der Mathematiker.
Der Sohn des Thrasyllus hatte ihr vorausgesagt, daß ihr Sohn zwar den
Thron besteigen, aber seine Mutter todten werde, worauf sie erwiedert haben
soll: "Mag er mich todten, wenn er nur Kaiser wird!" Die Astrologen wäre"
serner mit Schuld an der Verheimlichung vom Tode des Claudius, we>^
Agrippina erst die von ihnen bestimmte glückliche Stunde zur Proclaminmg
des neuen Kaisers abwarten wollte. Mit Nero begann die eigentliche goldene
Zeit der Wahrsagerei. Er selbst duldete nicht nur die Chaldäer, sondern ließ
sich selbst oft von ihnen die Zukunft enthüllen. Da sagten ihm denn einige vor¬
aus, daß er einmal die Krone wieder verlieren würde, und er soll darauf "ut
desto größeren Eiser der Musik obgelegen haben, dn er sie als seine künftig
Ernährerin ansah; andere versprachen ihm die Herrschaft über den Orient,
namentlich das Königreich Jerusalem, mehre endlich auch die Wiedereinsetzung
in die verlorene Würde. Die Erscheinung eines Kometen beunruhigte ihn
und aus den Rath des Astrologen Babilus suchte er das Verderben durch
mehre aus den Vornehmsten gewählte Schlachtopfer von sich abzuwälzen.
Auch die berüchtigte Poppäa Sabina war von Mathematikern ("den schlecht
echten Werkzeugen einer Fürstin", bemerkt Tacitus) umgeben, die in alle ihre Ge¬
heimnisse eingeweiht waren. Kein Wunder daher, wenn die ängstliche Scheu vor
den Planeten in alle Verhältnisse des Lebens eindrang, wenn selbst in der
Heilkunde Krinas aus Marseille als Stifter einer neuen Schule sein Glück
machte, -- er hinterließ gegen 600,000 Thaler zum Bau der Stadtmauern
von Marseille, nachdem er die gleiche Summe bei Lebzeiten schon einer o.n-
dem Stadt zugewendet hatte -- die nach genauer Beobachtung astrologisch^
Stundentafeln Speisen und Arzneien zu nehmen vorschrieb. Am treffendste"
charakterisier diese Zustände Juvenals sechste Satire ungefähr mit folgenden
Worten: "den Chaldäern schenkt man sehr großes Vertrauen; was ein Astr^'
log sagt, dem glaubt man, als sei es ein Orakelspruch des Jupiter AnunoN'
Der angesehenste unter ihnen ist aber, wer mehrmals verbannt worden ist'
denn es fließt der Kunst Vertrauen zu. wenn an der rechten und linken Hu>^
die Fesseln geklirrt haben, wenn man recht lange im Gefängniß des Feldlager^
geschmachtet "hat. Einer, der noch nicht verurtheilt worden ist, wird nie den
Geist der Weissagung besitzen, nur ein solcher, der kaum dem Tode entrinne!?
konnte, dem es mit Mühe glückte auf eine der Cykladen geschickt und endlich


scheinen die Chaldäer den Tod des beschränkten Kaisers erwartet zu haben.
Wenigstens läßt der über den Aberglauben seiner Zeit hoch erhabene Philo¬
soph Seneca in seiner Spottschrift auf den Tod des Claudius den Mercur
zu einer der Parzen sagen: „Gestatte doch endlich einmal den Astrologen die
Wahrheit zu sagen, die jenen, seitdem er Kaiser geworden ist, in jedem Jahre,
in jedem Monate begraben lassen!" Die zweite Gemahlin des Kaisers. Agrip-
pina, die würdige Mutter Neros, war ganz in den Händen der Mathematiker.
Der Sohn des Thrasyllus hatte ihr vorausgesagt, daß ihr Sohn zwar den
Thron besteigen, aber seine Mutter todten werde, worauf sie erwiedert haben
soll: „Mag er mich todten, wenn er nur Kaiser wird!" Die Astrologen wäre»
serner mit Schuld an der Verheimlichung vom Tode des Claudius, we>^
Agrippina erst die von ihnen bestimmte glückliche Stunde zur Proclaminmg
des neuen Kaisers abwarten wollte. Mit Nero begann die eigentliche goldene
Zeit der Wahrsagerei. Er selbst duldete nicht nur die Chaldäer, sondern ließ
sich selbst oft von ihnen die Zukunft enthüllen. Da sagten ihm denn einige vor¬
aus, daß er einmal die Krone wieder verlieren würde, und er soll darauf »ut
desto größeren Eiser der Musik obgelegen haben, dn er sie als seine künftig
Ernährerin ansah; andere versprachen ihm die Herrschaft über den Orient,
namentlich das Königreich Jerusalem, mehre endlich auch die Wiedereinsetzung
in die verlorene Würde. Die Erscheinung eines Kometen beunruhigte ihn
und aus den Rath des Astrologen Babilus suchte er das Verderben durch
mehre aus den Vornehmsten gewählte Schlachtopfer von sich abzuwälzen.
Auch die berüchtigte Poppäa Sabina war von Mathematikern („den schlecht
echten Werkzeugen einer Fürstin", bemerkt Tacitus) umgeben, die in alle ihre Ge¬
heimnisse eingeweiht waren. Kein Wunder daher, wenn die ängstliche Scheu vor
den Planeten in alle Verhältnisse des Lebens eindrang, wenn selbst in der
Heilkunde Krinas aus Marseille als Stifter einer neuen Schule sein Glück
machte, — er hinterließ gegen 600,000 Thaler zum Bau der Stadtmauern
von Marseille, nachdem er die gleiche Summe bei Lebzeiten schon einer o.n-
dem Stadt zugewendet hatte — die nach genauer Beobachtung astrologisch^
Stundentafeln Speisen und Arzneien zu nehmen vorschrieb. Am treffendste"
charakterisier diese Zustände Juvenals sechste Satire ungefähr mit folgenden
Worten: „den Chaldäern schenkt man sehr großes Vertrauen; was ein Astr^'
log sagt, dem glaubt man, als sei es ein Orakelspruch des Jupiter AnunoN'
Der angesehenste unter ihnen ist aber, wer mehrmals verbannt worden ist'
denn es fließt der Kunst Vertrauen zu. wenn an der rechten und linken Hu>^
die Fesseln geklirrt haben, wenn man recht lange im Gefängniß des Feldlager^
geschmachtet "hat. Einer, der noch nicht verurtheilt worden ist, wird nie den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/318>, abgerufen am 24.07.2024.