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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Straße des Erwerbs nach dem Westen einschlugen. Am Hofe Alexanders und
der Diadochen spielten sie bereits eine große Rolle, während in Griechenland
selbst ihre Constellationslehre wol vorher schon bekannt gewesen war, (das
spartanische Gesetz, welches nicht gestattete ins Feld zu rücken, bevor der Voll'
molto eingetreten war, deutet darauf hin), aber verhältnißmäßig keinen be¬
deutenden Einfluß gewonnen hatte. Nirgend fanden die Sterndeuter aber
einen günstigeren Boden als in Rom während des Unterganges der Repub¬
lik und in der Kaiserperiode. Mehre Ursachen vereinigten sich, ihnen dort
gute Aufnahme zu sichern. Der Römer war überhaupt abergläubischer als
der Grieche; Zeichendeuterei und Wahrsagerei umspann bereits das Staats'
und Privatleben; der stark fatalistisch gefärbte Volksglaube konnte der An¬
nahme einer unabwendbaren Vorherbestimmung jedes Menschen von der Ge-
burt an nicht abhold sein, und als nun in der allgemeinen Auflösung des
sittlichen Lebens der Glaube an die alten Institute der Divination unterging,
als die Formen und Religionen aller Völker sich in Rom zu vermischen be'
garnen, als in Hinblick auf den auffallenden Wechsel und das Wandelbare
der menschlichen Schicksale die irreligiöse Generation den obersten Rang in
der Götterwelt der blinden Fortuna einräumte: da wurde auch die Neugierde
auf die kommenden Dinge mächtiger und jeder Ehrgeizige hegte endlich den
Wunsch, den Schleier seiner Zukunft zu lüften. So kommt es denn, daß die
Astrologen nicht wenig, sowol absichtlich, als auch zufällig in die damaligen
Geschicke der Welt mit eingegriffen haben; ja, man kann dreist behaupten,
daß manche ihrer Prophezeihungen wirklich eingetroffen sind, dadurch, daß
energische Naturen das ihnen verkündigte hohe Ziel fest ins Auge faßten und
so endlich in blindem Vertrauen auf die Wahrheit ihres Horoskops die vor'
gespiegelte Zukunft in eine wirkliche verwandelten.

Schon im Jahre 139 v. Chr. wurden die Sterndeuter, in Rom Chal-
däer oder Mathematiker genannt (die jetzige Mathematik hieß Geometrie)
durch ein Edict des Prätors Cornelius Hispallus bedeutet, innerhalb
zehn Tagen Rom und Italien zu verlassen. Doch scheinen sie damals noch
eine ziemlich verachtete Classe gewesen zu sein. Der erste angesehene Man"
den sie ganz bethörten, war der Consul Octavius. Er ließ sich im Jah^
87 bei der Annäherung seines Feindes Marius von den Chaldüern bewegen-
in der Hauptstadt zu bleiben, und als er von den Trabanten des neuen Mach^
Haders auf dem curulischen Sessel niedergehauen worden war, fand man u>
seinem Busen eine Tafel mit dem trügerischen Horoskop. Marius selbst h"'
sehr viel auf die Wahrsagekunst und soll selbst in den Tagen der höchsten Ge'
fahr festes Vertrauen zu einer alten Prophezeihung gehegt haben, die ihw
das siebenmalige Consulat verheißen hatte. "Sulla, sagt Plutarch, ^
nicht nur seinen Tod voraus, sondern beschrieb ihn auch gleichsam. Den"


Straße des Erwerbs nach dem Westen einschlugen. Am Hofe Alexanders und
der Diadochen spielten sie bereits eine große Rolle, während in Griechenland
selbst ihre Constellationslehre wol vorher schon bekannt gewesen war, (das
spartanische Gesetz, welches nicht gestattete ins Feld zu rücken, bevor der Voll'
molto eingetreten war, deutet darauf hin), aber verhältnißmäßig keinen be¬
deutenden Einfluß gewonnen hatte. Nirgend fanden die Sterndeuter aber
einen günstigeren Boden als in Rom während des Unterganges der Repub¬
lik und in der Kaiserperiode. Mehre Ursachen vereinigten sich, ihnen dort
gute Aufnahme zu sichern. Der Römer war überhaupt abergläubischer als
der Grieche; Zeichendeuterei und Wahrsagerei umspann bereits das Staats'
und Privatleben; der stark fatalistisch gefärbte Volksglaube konnte der An¬
nahme einer unabwendbaren Vorherbestimmung jedes Menschen von der Ge-
burt an nicht abhold sein, und als nun in der allgemeinen Auflösung des
sittlichen Lebens der Glaube an die alten Institute der Divination unterging,
als die Formen und Religionen aller Völker sich in Rom zu vermischen be'
garnen, als in Hinblick auf den auffallenden Wechsel und das Wandelbare
der menschlichen Schicksale die irreligiöse Generation den obersten Rang in
der Götterwelt der blinden Fortuna einräumte: da wurde auch die Neugierde
auf die kommenden Dinge mächtiger und jeder Ehrgeizige hegte endlich den
Wunsch, den Schleier seiner Zukunft zu lüften. So kommt es denn, daß die
Astrologen nicht wenig, sowol absichtlich, als auch zufällig in die damaligen
Geschicke der Welt mit eingegriffen haben; ja, man kann dreist behaupten,
daß manche ihrer Prophezeihungen wirklich eingetroffen sind, dadurch, daß
energische Naturen das ihnen verkündigte hohe Ziel fest ins Auge faßten und
so endlich in blindem Vertrauen auf die Wahrheit ihres Horoskops die vor'
gespiegelte Zukunft in eine wirkliche verwandelten.

Schon im Jahre 139 v. Chr. wurden die Sterndeuter, in Rom Chal-
däer oder Mathematiker genannt (die jetzige Mathematik hieß Geometrie)
durch ein Edict des Prätors Cornelius Hispallus bedeutet, innerhalb
zehn Tagen Rom und Italien zu verlassen. Doch scheinen sie damals noch
eine ziemlich verachtete Classe gewesen zu sein. Der erste angesehene Man»
den sie ganz bethörten, war der Consul Octavius. Er ließ sich im Jah^
87 bei der Annäherung seines Feindes Marius von den Chaldüern bewegen-
in der Hauptstadt zu bleiben, und als er von den Trabanten des neuen Mach^
Haders auf dem curulischen Sessel niedergehauen worden war, fand man u>
seinem Busen eine Tafel mit dem trügerischen Horoskop. Marius selbst h"'
sehr viel auf die Wahrsagekunst und soll selbst in den Tagen der höchsten Ge'
fahr festes Vertrauen zu einer alten Prophezeihung gehegt haben, die ihw
das siebenmalige Consulat verheißen hatte. „Sulla, sagt Plutarch, ^
nicht nur seinen Tod voraus, sondern beschrieb ihn auch gleichsam. Den"


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[0314] Straße des Erwerbs nach dem Westen einschlugen. Am Hofe Alexanders und der Diadochen spielten sie bereits eine große Rolle, während in Griechenland selbst ihre Constellationslehre wol vorher schon bekannt gewesen war, (das spartanische Gesetz, welches nicht gestattete ins Feld zu rücken, bevor der Voll' molto eingetreten war, deutet darauf hin), aber verhältnißmäßig keinen be¬ deutenden Einfluß gewonnen hatte. Nirgend fanden die Sterndeuter aber einen günstigeren Boden als in Rom während des Unterganges der Repub¬ lik und in der Kaiserperiode. Mehre Ursachen vereinigten sich, ihnen dort gute Aufnahme zu sichern. Der Römer war überhaupt abergläubischer als der Grieche; Zeichendeuterei und Wahrsagerei umspann bereits das Staats' und Privatleben; der stark fatalistisch gefärbte Volksglaube konnte der An¬ nahme einer unabwendbaren Vorherbestimmung jedes Menschen von der Ge- burt an nicht abhold sein, und als nun in der allgemeinen Auflösung des sittlichen Lebens der Glaube an die alten Institute der Divination unterging, als die Formen und Religionen aller Völker sich in Rom zu vermischen be' garnen, als in Hinblick auf den auffallenden Wechsel und das Wandelbare der menschlichen Schicksale die irreligiöse Generation den obersten Rang in der Götterwelt der blinden Fortuna einräumte: da wurde auch die Neugierde auf die kommenden Dinge mächtiger und jeder Ehrgeizige hegte endlich den Wunsch, den Schleier seiner Zukunft zu lüften. So kommt es denn, daß die Astrologen nicht wenig, sowol absichtlich, als auch zufällig in die damaligen Geschicke der Welt mit eingegriffen haben; ja, man kann dreist behaupten, daß manche ihrer Prophezeihungen wirklich eingetroffen sind, dadurch, daß energische Naturen das ihnen verkündigte hohe Ziel fest ins Auge faßten und so endlich in blindem Vertrauen auf die Wahrheit ihres Horoskops die vor' gespiegelte Zukunft in eine wirkliche verwandelten. Schon im Jahre 139 v. Chr. wurden die Sterndeuter, in Rom Chal- däer oder Mathematiker genannt (die jetzige Mathematik hieß Geometrie) durch ein Edict des Prätors Cornelius Hispallus bedeutet, innerhalb zehn Tagen Rom und Italien zu verlassen. Doch scheinen sie damals noch eine ziemlich verachtete Classe gewesen zu sein. Der erste angesehene Man» den sie ganz bethörten, war der Consul Octavius. Er ließ sich im Jah^ 87 bei der Annäherung seines Feindes Marius von den Chaldüern bewegen- in der Hauptstadt zu bleiben, und als er von den Trabanten des neuen Mach^ Haders auf dem curulischen Sessel niedergehauen worden war, fand man u> seinem Busen eine Tafel mit dem trügerischen Horoskop. Marius selbst h"' sehr viel auf die Wahrsagekunst und soll selbst in den Tagen der höchsten Ge' fahr festes Vertrauen zu einer alten Prophezeihung gehegt haben, die ihw das siebenmalige Consulat verheißen hatte. „Sulla, sagt Plutarch, ^ nicht nur seinen Tod voraus, sondern beschrieb ihn auch gleichsam. Den"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/314>, abgerufen am 24.07.2024.