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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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seiner Unsittlichkeit. aus der andern Seite die absolute Monarchie mit ihrer
souveränen Verhöhnung von Recht und Gesetz, ihrer grenzenlosen Gleichartig¬
st gegen Wahrheit und Sittlichkeit, ihrer Eitelkeit und Selbstgefälligkeit,
ihrer Unfähigkeit und ihrem Uebermuth, ihrer zügellosen Ueppigkeit, ihrer
schamlosen Sinnenlnsi, ihrer ganzen inneren Fäulniß und Verwesung, das
s'ut die treibenden Mächte der Zeit, ihr treues Spiegelbild aber ist der No-
^co. Die Architektur der neuen Zeit hat für Kirche und Palast nur eine
Horrn gefunden, denn sie hatte mir einen Vorwurf, die heidnische Nömerkunst.
^ach aber die Zeit in jener Römerkunst den entsprechenden Vorwurf, daß Ka¬
tholicismus und Despotismus in derselben Kunst ihren Ausdruck, in dem
ociraus entwickelten Rococo aber die höchste Verkörperung ihrer entwickelten
schlichen und staatlichen Gedanken finden konnten und zwar beide in ein
und derselben Form gleich charakteristisch und gleich giltig, das spricht am
schlagendsten der Inhalt der ganzen Zeit aus.

Freie Individualität war das Princip der im fünfzehnten Jahrhundert be¬
gonnenen neuen Zeit. Mächtig und bedeutsam entfaltete sich dieses Princip seit
fünfzehnten Jahrhundert auf kirchlichem und staatlichem Gebiet, auf dein
Gebiet der Kunst. Aber der freien Bewegung tritt eine feindliche Reaction ent¬
gegen. Wie im Mittelalter baut sich eine Autorität auf, die aber nicht wie
I^e M eine innerlich gewordene, als der nothwendige Culminationspunkt der
^"zen bisherigen Entwicklung erscheint, die nur eine äußerlich gemachte oder
^staurirte, willkürlich gesetzte ist. Während sich so im Mittelalter unter der
^'gide der Autorität der Gedanke zu höchster Blüte entfaltet, konnte uinge-
^hre die moderne Autorität, und wäre sie, wie die restaurirte katholische auch
äußerlich scheinbar dieselbe gewesen, alle schöpferische Kraft nur ersticken. Eine
^ve Entwicklung folgt ihren innern Gesetzen; die äußere Form ist der orga-
'^sche Ausdruck des innern Wesens. Eine willkürliche Autorität schreibt will-
^'und die Form vor, die der Entwicklung Gesetz sein soll. Diese Form ist
^ot, weil nicht lebendig gezeugt. Der Geist aber kann eine Form nicht be-
^ven, die nicht die seine ist; innerhalb ihrer Schranken kann er sich nur durch
Willkür bethätigen. Die Willkür wird um so größer sein, da die Neproduc-
der- um des äußern Schemas willen gegebenen Form nur eine äußerliche
kann. Die innere organische Gliederung sehlt; das Ganze erscheint nur
^ ein durch äußeren Machtspruch subjektiven Beliebens zusammengehaltenes
Kgregat innerlich fremdartiger, widersprechender Bestandtheile. Die Repro-
^lion wird im Einzelnen wol den äußern Schein der Gesetzmäßigkeit wäh-
len Ganzen und Großen wird sie nnr Spiel, nur Willkür sein. -- Die
" ^egung des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts mündet aus in
"we Autorität, das achtzehnte Jahrhundert beginnt mit schrankenloser Willkür.




seiner Unsittlichkeit. aus der andern Seite die absolute Monarchie mit ihrer
souveränen Verhöhnung von Recht und Gesetz, ihrer grenzenlosen Gleichartig¬
st gegen Wahrheit und Sittlichkeit, ihrer Eitelkeit und Selbstgefälligkeit,
ihrer Unfähigkeit und ihrem Uebermuth, ihrer zügellosen Ueppigkeit, ihrer
schamlosen Sinnenlnsi, ihrer ganzen inneren Fäulniß und Verwesung, das
s'ut die treibenden Mächte der Zeit, ihr treues Spiegelbild aber ist der No-
^co. Die Architektur der neuen Zeit hat für Kirche und Palast nur eine
Horrn gefunden, denn sie hatte mir einen Vorwurf, die heidnische Nömerkunst.
^ach aber die Zeit in jener Römerkunst den entsprechenden Vorwurf, daß Ka¬
tholicismus und Despotismus in derselben Kunst ihren Ausdruck, in dem
ociraus entwickelten Rococo aber die höchste Verkörperung ihrer entwickelten
schlichen und staatlichen Gedanken finden konnten und zwar beide in ein
und derselben Form gleich charakteristisch und gleich giltig, das spricht am
schlagendsten der Inhalt der ganzen Zeit aus.

Freie Individualität war das Princip der im fünfzehnten Jahrhundert be¬
gonnenen neuen Zeit. Mächtig und bedeutsam entfaltete sich dieses Princip seit
fünfzehnten Jahrhundert auf kirchlichem und staatlichem Gebiet, auf dein
Gebiet der Kunst. Aber der freien Bewegung tritt eine feindliche Reaction ent¬
gegen. Wie im Mittelalter baut sich eine Autorität auf, die aber nicht wie
I^e M eine innerlich gewordene, als der nothwendige Culminationspunkt der
^»zen bisherigen Entwicklung erscheint, die nur eine äußerlich gemachte oder
^staurirte, willkürlich gesetzte ist. Während sich so im Mittelalter unter der
^'gide der Autorität der Gedanke zu höchster Blüte entfaltet, konnte uinge-
^hre die moderne Autorität, und wäre sie, wie die restaurirte katholische auch
äußerlich scheinbar dieselbe gewesen, alle schöpferische Kraft nur ersticken. Eine
^ve Entwicklung folgt ihren innern Gesetzen; die äußere Form ist der orga-
'^sche Ausdruck des innern Wesens. Eine willkürliche Autorität schreibt will-
^'und die Form vor, die der Entwicklung Gesetz sein soll. Diese Form ist
^ot, weil nicht lebendig gezeugt. Der Geist aber kann eine Form nicht be-
^ven, die nicht die seine ist; innerhalb ihrer Schranken kann er sich nur durch
Willkür bethätigen. Die Willkür wird um so größer sein, da die Neproduc-
der- um des äußern Schemas willen gegebenen Form nur eine äußerliche
kann. Die innere organische Gliederung sehlt; das Ganze erscheint nur
^ ein durch äußeren Machtspruch subjektiven Beliebens zusammengehaltenes
Kgregat innerlich fremdartiger, widersprechender Bestandtheile. Die Repro-
^lion wird im Einzelnen wol den äußern Schein der Gesetzmäßigkeit wäh-
len Ganzen und Großen wird sie nnr Spiel, nur Willkür sein. — Die
„ ^egung des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts mündet aus in
"we Autorität, das achtzehnte Jahrhundert beginnt mit schrankenloser Willkür.




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[0273] seiner Unsittlichkeit. aus der andern Seite die absolute Monarchie mit ihrer souveränen Verhöhnung von Recht und Gesetz, ihrer grenzenlosen Gleichartig¬ st gegen Wahrheit und Sittlichkeit, ihrer Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, ihrer Unfähigkeit und ihrem Uebermuth, ihrer zügellosen Ueppigkeit, ihrer schamlosen Sinnenlnsi, ihrer ganzen inneren Fäulniß und Verwesung, das s'ut die treibenden Mächte der Zeit, ihr treues Spiegelbild aber ist der No- ^co. Die Architektur der neuen Zeit hat für Kirche und Palast nur eine Horrn gefunden, denn sie hatte mir einen Vorwurf, die heidnische Nömerkunst. ^ach aber die Zeit in jener Römerkunst den entsprechenden Vorwurf, daß Ka¬ tholicismus und Despotismus in derselben Kunst ihren Ausdruck, in dem ociraus entwickelten Rococo aber die höchste Verkörperung ihrer entwickelten schlichen und staatlichen Gedanken finden konnten und zwar beide in ein und derselben Form gleich charakteristisch und gleich giltig, das spricht am schlagendsten der Inhalt der ganzen Zeit aus. Freie Individualität war das Princip der im fünfzehnten Jahrhundert be¬ gonnenen neuen Zeit. Mächtig und bedeutsam entfaltete sich dieses Princip seit fünfzehnten Jahrhundert auf kirchlichem und staatlichem Gebiet, auf dein Gebiet der Kunst. Aber der freien Bewegung tritt eine feindliche Reaction ent¬ gegen. Wie im Mittelalter baut sich eine Autorität auf, die aber nicht wie I^e M eine innerlich gewordene, als der nothwendige Culminationspunkt der ^»zen bisherigen Entwicklung erscheint, die nur eine äußerlich gemachte oder ^staurirte, willkürlich gesetzte ist. Während sich so im Mittelalter unter der ^'gide der Autorität der Gedanke zu höchster Blüte entfaltet, konnte uinge- ^hre die moderne Autorität, und wäre sie, wie die restaurirte katholische auch äußerlich scheinbar dieselbe gewesen, alle schöpferische Kraft nur ersticken. Eine ^ve Entwicklung folgt ihren innern Gesetzen; die äußere Form ist der orga- '^sche Ausdruck des innern Wesens. Eine willkürliche Autorität schreibt will- ^'und die Form vor, die der Entwicklung Gesetz sein soll. Diese Form ist ^ot, weil nicht lebendig gezeugt. Der Geist aber kann eine Form nicht be- ^ven, die nicht die seine ist; innerhalb ihrer Schranken kann er sich nur durch Willkür bethätigen. Die Willkür wird um so größer sein, da die Neproduc- der- um des äußern Schemas willen gegebenen Form nur eine äußerliche kann. Die innere organische Gliederung sehlt; das Ganze erscheint nur ^ ein durch äußeren Machtspruch subjektiven Beliebens zusammengehaltenes Kgregat innerlich fremdartiger, widersprechender Bestandtheile. Die Repro- ^lion wird im Einzelnen wol den äußern Schein der Gesetzmäßigkeit wäh- len Ganzen und Großen wird sie nnr Spiel, nur Willkür sein. — Die „ ^egung des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts mündet aus in "we Autorität, das achtzehnte Jahrhundert beginnt mit schrankenloser Willkür.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/273>, abgerufen am 24.07.2024.