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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Tag bringen. Wissenschaft und Kunst würden hintenangesetzt werden, die ver¬
schiedenen Gemeinden würden sich aufs tödtlrchste bekämpfen und. um diesen
bunten Atomismus voll zu machen, würden ein Dutzend Mormonenheilande
aufstelln und die Gläubigen zum Kampf gegen die Ungläubigen vereinen.
Oder ist die Königsberger Sonntagspost wirklich so blind, daß sie diese Keime
der Verrücktheit und Barbarei in unserm Zeitalter gar nicht wahrnimmt?
Freilich hat sie öfters den Lehrsatz ausgesprochen. die Natur des Menschen
ist immer gut! da aber die Geschichte bekanntlich vieles Bö,e enthält, und
die Geschichte für den gewöhnlichen Blick des Sterblichen nur von Menschen
gemacht wird, so werden diese Anhänger des sonderbarsten aller Grundsatze
zur Erklärung der Geschichte wol deu Teufel zu Hilfe nehmen müssen. Mr
erlauben uns die bescheidne Behauptung, daß innerhalb dieses Atonnsmus
bei unserm hauptsächlich durch Eugen Tue und ähnliche Propheten vor¬
gebildeten Publicum die ausgemachtesten Charlatane den. größten Anklang
finden würden.

Noch einmal: wir sind keine Propheten, aber wir erlauben uns doch die
Behauptung. daß wenn man sich diese absurde Voraussetzung als möglich
und wirklich denkt, in dreißig Jahren folgendes das Endresultat ,ein würde:
Deutschland würde katholisch sein.

Die Reformation war. wie wir bereits bemerkten, durchführbar, wert
Luther mit dem vollen Glauben eiues wirklichen Berufs auftrat; sie schlug
zum Heil aus. weil er mit seiner dämonischen Kraft einen unüberwindlichen
despotischen Ordnungssinn verband. Er konnte das alte Kirchengebäude ein-
reißen. weil sein Wille sicher und seine Hand sest genug war. um sofort em
neues aufzurichten. Man hat sich oft über die Härte beschwert, mit welcher
er Karlstadt, den Wiedertäufern und andern subMven Propheten entgegentrat;
wo nahm er. fragt man. das Recht her, gegen andere despotisch zu sem. da
er selber doch den Despotismus bekämpfte ? Er nahm das Recht ans feinem
Glauben, der ihn keinen Augenblick im Zweifel darüber ließ, daß er nur den
Willen Gottes durchführe; er nahm den Inhalt seines Glaubens aus seinem
Jnstinct für Ordnung; er bewies seinen Beruf, indem er. der arme Doctor,
der Diener seines Kurfürsten, mit einem Despotismus ohne Gleichen Deutsch¬
land beherrschte. Nachher konnte er sterben, denn sein Gebäude stand fest;
25 Jahre vorher hätten Karlsstadt, die Wiedertäufer und die andern subjec-
tiven Propheten, wenn man sie frei gewähren ließ, das Reich wieder der
katholischen Kirche überliefert. Was Luther im Großen war, das waren
Knox und Calvin im Kleinen: haue Eichenherzen, gar nicht.sentimental, gar
nicht rücksichtsvoll, garnicht geistreich; aber ihr Wille war souverän. spottet
nur über ihre Einseitigkeit! freut euch eurer erweiterten höheren Bildung,
wrer größern Humanität! Ihr werdet freilich dem Teufel kein Tintenfaß ans


Grenz boten I. 1LS9.

Tag bringen. Wissenschaft und Kunst würden hintenangesetzt werden, die ver¬
schiedenen Gemeinden würden sich aufs tödtlrchste bekämpfen und. um diesen
bunten Atomismus voll zu machen, würden ein Dutzend Mormonenheilande
aufstelln und die Gläubigen zum Kampf gegen die Ungläubigen vereinen.
Oder ist die Königsberger Sonntagspost wirklich so blind, daß sie diese Keime
der Verrücktheit und Barbarei in unserm Zeitalter gar nicht wahrnimmt?
Freilich hat sie öfters den Lehrsatz ausgesprochen. die Natur des Menschen
ist immer gut! da aber die Geschichte bekanntlich vieles Bö,e enthält, und
die Geschichte für den gewöhnlichen Blick des Sterblichen nur von Menschen
gemacht wird, so werden diese Anhänger des sonderbarsten aller Grundsatze
zur Erklärung der Geschichte wol deu Teufel zu Hilfe nehmen müssen. Mr
erlauben uns die bescheidne Behauptung, daß innerhalb dieses Atonnsmus
bei unserm hauptsächlich durch Eugen Tue und ähnliche Propheten vor¬
gebildeten Publicum die ausgemachtesten Charlatane den. größten Anklang
finden würden.

Noch einmal: wir sind keine Propheten, aber wir erlauben uns doch die
Behauptung. daß wenn man sich diese absurde Voraussetzung als möglich
und wirklich denkt, in dreißig Jahren folgendes das Endresultat ,ein würde:
Deutschland würde katholisch sein.

Die Reformation war. wie wir bereits bemerkten, durchführbar, wert
Luther mit dem vollen Glauben eiues wirklichen Berufs auftrat; sie schlug
zum Heil aus. weil er mit seiner dämonischen Kraft einen unüberwindlichen
despotischen Ordnungssinn verband. Er konnte das alte Kirchengebäude ein-
reißen. weil sein Wille sicher und seine Hand sest genug war. um sofort em
neues aufzurichten. Man hat sich oft über die Härte beschwert, mit welcher
er Karlstadt, den Wiedertäufern und andern subMven Propheten entgegentrat;
wo nahm er. fragt man. das Recht her, gegen andere despotisch zu sem. da
er selber doch den Despotismus bekämpfte ? Er nahm das Recht ans feinem
Glauben, der ihn keinen Augenblick im Zweifel darüber ließ, daß er nur den
Willen Gottes durchführe; er nahm den Inhalt seines Glaubens aus seinem
Jnstinct für Ordnung; er bewies seinen Beruf, indem er. der arme Doctor,
der Diener seines Kurfürsten, mit einem Despotismus ohne Gleichen Deutsch¬
land beherrschte. Nachher konnte er sterben, denn sein Gebäude stand fest;
25 Jahre vorher hätten Karlsstadt, die Wiedertäufer und die andern subjec-
tiven Propheten, wenn man sie frei gewähren ließ, das Reich wieder der
katholischen Kirche überliefert. Was Luther im Großen war, das waren
Knox und Calvin im Kleinen: haue Eichenherzen, gar nicht.sentimental, gar
nicht rücksichtsvoll, garnicht geistreich; aber ihr Wille war souverän. spottet
nur über ihre Einseitigkeit! freut euch eurer erweiterten höheren Bildung,
wrer größern Humanität! Ihr werdet freilich dem Teufel kein Tintenfaß ans


Grenz boten I. 1LS9.
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[0027] Tag bringen. Wissenschaft und Kunst würden hintenangesetzt werden, die ver¬ schiedenen Gemeinden würden sich aufs tödtlrchste bekämpfen und. um diesen bunten Atomismus voll zu machen, würden ein Dutzend Mormonenheilande aufstelln und die Gläubigen zum Kampf gegen die Ungläubigen vereinen. Oder ist die Königsberger Sonntagspost wirklich so blind, daß sie diese Keime der Verrücktheit und Barbarei in unserm Zeitalter gar nicht wahrnimmt? Freilich hat sie öfters den Lehrsatz ausgesprochen. die Natur des Menschen ist immer gut! da aber die Geschichte bekanntlich vieles Bö,e enthält, und die Geschichte für den gewöhnlichen Blick des Sterblichen nur von Menschen gemacht wird, so werden diese Anhänger des sonderbarsten aller Grundsatze zur Erklärung der Geschichte wol deu Teufel zu Hilfe nehmen müssen. Mr erlauben uns die bescheidne Behauptung, daß innerhalb dieses Atonnsmus bei unserm hauptsächlich durch Eugen Tue und ähnliche Propheten vor¬ gebildeten Publicum die ausgemachtesten Charlatane den. größten Anklang finden würden. Noch einmal: wir sind keine Propheten, aber wir erlauben uns doch die Behauptung. daß wenn man sich diese absurde Voraussetzung als möglich und wirklich denkt, in dreißig Jahren folgendes das Endresultat ,ein würde: Deutschland würde katholisch sein. Die Reformation war. wie wir bereits bemerkten, durchführbar, wert Luther mit dem vollen Glauben eiues wirklichen Berufs auftrat; sie schlug zum Heil aus. weil er mit seiner dämonischen Kraft einen unüberwindlichen despotischen Ordnungssinn verband. Er konnte das alte Kirchengebäude ein- reißen. weil sein Wille sicher und seine Hand sest genug war. um sofort em neues aufzurichten. Man hat sich oft über die Härte beschwert, mit welcher er Karlstadt, den Wiedertäufern und andern subMven Propheten entgegentrat; wo nahm er. fragt man. das Recht her, gegen andere despotisch zu sem. da er selber doch den Despotismus bekämpfte ? Er nahm das Recht ans feinem Glauben, der ihn keinen Augenblick im Zweifel darüber ließ, daß er nur den Willen Gottes durchführe; er nahm den Inhalt seines Glaubens aus seinem Jnstinct für Ordnung; er bewies seinen Beruf, indem er. der arme Doctor, der Diener seines Kurfürsten, mit einem Despotismus ohne Gleichen Deutsch¬ land beherrschte. Nachher konnte er sterben, denn sein Gebäude stand fest; 25 Jahre vorher hätten Karlsstadt, die Wiedertäufer und die andern subjec- tiven Propheten, wenn man sie frei gewähren ließ, das Reich wieder der katholischen Kirche überliefert. Was Luther im Großen war, das waren Knox und Calvin im Kleinen: haue Eichenherzen, gar nicht.sentimental, gar nicht rücksichtsvoll, garnicht geistreich; aber ihr Wille war souverän. spottet nur über ihre Einseitigkeit! freut euch eurer erweiterten höheren Bildung, wrer größern Humanität! Ihr werdet freilich dem Teufel kein Tintenfaß ans Grenz boten I. 1LS9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/27>, abgerufen am 24.07.2024.