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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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wo namentlich Wutschitsch und Garaschanin an einen Entscheid des Volkes
gegen den Fürsten Hoffnungen für sich knüpften, dann im ganzen Lande, wo
die Partei Miloschs in der letzten Zeit ganz in der Stille eine große Thätig'
keit entwickelt hatte. Der Fürst schwankte einen Augenblick, ob er in die Be¬
rufung der Skupschtina, welche ihm offenbar feindlich sein mußte, willigen
sollte, ebenso die Pforte, welche die Hand Rußlands im Spiele sehn mochte.
Beide gaben indeß nach, und am Andreastag 1858 fanden sich die Vertreter
des Volkes, nach Landesgebrauch bis an die Zähne bewaffnet und von zahl'
reichem ebenfalls bewaffneten Gefolge begleitet, zu Belgrad ein, um zu be¬
rathen, was zu thun sei.

Der Präsident der Versammlung, die beiläufig in einem Brauhause tagte,
war der zu Anfang erwähnte Senator Mischa Barlowetz, der Vicepräsident,
Stephtsche Michailowitsch, ein entschiedener Anhänger der Familie Obrere
witsch. Die Verhandlungen begannen' damit, daß Mischa ein langes Sünden¬
register des Fürsten vortrug. Er habe, hieß es, sich zu den Schwaben und
Türken hingeneigt, dem Lande willkürlich verfahrende Beamte gegeben, si^
in die Verwaltung gemischt, die ihm nichts angehe, sich schwach und ängstlich
bewiesen, die Familie seiner Gemahlin ungehörig bevorzugt u. a. in. Die
Skupschtina rief zu allen diesen Anklagen: Ja wol, so ist es. Ein zweite
Sprecher belehrte sie, daß in ihr die oberste Gewalt des Staates vertreten
sei, was ihr zwar kaum ganz verständlich gewesen sein wird, trotzdem aber
wohl gefiel und sofort zur Anwendung gebracht wurde, als der Vicepräsident
jetzt den Namen Miloschs" nannte. Man beschloß, dem Fürsten seine Stelle
zu kündigen, ihn aufzufordern, er möge abdanken, und zu dem Zweck nuper'
züglich eine Deputation an ihn abzuordnen. Alexander antwortete erst an^
weichend, dann willigte er in das Verlangte, dann, von seiner energisch^
Gemahlin wieder umgestimmt, schwankte er von neuem zu dem Entschluß
zurück, sich zu behaupten. Letzteres war nicht unmöglich, da der größere The>
des Militärs anfangs treu bleiben zu wollen schien. Aber der arme Fürst
verlor wieder den Muth , und so floh er in der Nacht in die Festung Belgrad
die zwar mitten in der Stadt liegt, aber als türkischer Boden betrachtet wird-
Tags darauf verurtheilte ihn die Skupschtina in eonwmaeiam zur Entfernung
von seiner Stelle und zur Verbannung. Garaschanin, der ihn fortgebracht
Wutschitsch, der die Agitation gegen ihn geleitet, Mischa Barlowetz, der ihn
vor der Volksversammlung angeklagt, mochten noch hoffen, an seinen Post^
zu gelangen. Aber schon die nächste Stunde sollte sie eines Bessern belehre"'
Umsonst verwendete sich des Essaxds, der französische Generalconsul, für ^
raschanin. Er stattete den Herren Volksvertretern' einen Besuch ab, versieht
sie des Wohlgefallens seines Kaisers an ihrer Revolution und schloß mit en>c
förmlichen Liebeserklärung an das serbische Volk, "ich liebe und schätze eM


wo namentlich Wutschitsch und Garaschanin an einen Entscheid des Volkes
gegen den Fürsten Hoffnungen für sich knüpften, dann im ganzen Lande, wo
die Partei Miloschs in der letzten Zeit ganz in der Stille eine große Thätig'
keit entwickelt hatte. Der Fürst schwankte einen Augenblick, ob er in die Be¬
rufung der Skupschtina, welche ihm offenbar feindlich sein mußte, willigen
sollte, ebenso die Pforte, welche die Hand Rußlands im Spiele sehn mochte.
Beide gaben indeß nach, und am Andreastag 1858 fanden sich die Vertreter
des Volkes, nach Landesgebrauch bis an die Zähne bewaffnet und von zahl'
reichem ebenfalls bewaffneten Gefolge begleitet, zu Belgrad ein, um zu be¬
rathen, was zu thun sei.

Der Präsident der Versammlung, die beiläufig in einem Brauhause tagte,
war der zu Anfang erwähnte Senator Mischa Barlowetz, der Vicepräsident,
Stephtsche Michailowitsch, ein entschiedener Anhänger der Familie Obrere
witsch. Die Verhandlungen begannen' damit, daß Mischa ein langes Sünden¬
register des Fürsten vortrug. Er habe, hieß es, sich zu den Schwaben und
Türken hingeneigt, dem Lande willkürlich verfahrende Beamte gegeben, si^
in die Verwaltung gemischt, die ihm nichts angehe, sich schwach und ängstlich
bewiesen, die Familie seiner Gemahlin ungehörig bevorzugt u. a. in. Die
Skupschtina rief zu allen diesen Anklagen: Ja wol, so ist es. Ein zweite
Sprecher belehrte sie, daß in ihr die oberste Gewalt des Staates vertreten
sei, was ihr zwar kaum ganz verständlich gewesen sein wird, trotzdem aber
wohl gefiel und sofort zur Anwendung gebracht wurde, als der Vicepräsident
jetzt den Namen Miloschs" nannte. Man beschloß, dem Fürsten seine Stelle
zu kündigen, ihn aufzufordern, er möge abdanken, und zu dem Zweck nuper'
züglich eine Deputation an ihn abzuordnen. Alexander antwortete erst an^
weichend, dann willigte er in das Verlangte, dann, von seiner energisch^
Gemahlin wieder umgestimmt, schwankte er von neuem zu dem Entschluß
zurück, sich zu behaupten. Letzteres war nicht unmöglich, da der größere The>
des Militärs anfangs treu bleiben zu wollen schien. Aber der arme Fürst
verlor wieder den Muth , und so floh er in der Nacht in die Festung Belgrad
die zwar mitten in der Stadt liegt, aber als türkischer Boden betrachtet wird-
Tags darauf verurtheilte ihn die Skupschtina in eonwmaeiam zur Entfernung
von seiner Stelle und zur Verbannung. Garaschanin, der ihn fortgebracht
Wutschitsch, der die Agitation gegen ihn geleitet, Mischa Barlowetz, der ihn
vor der Volksversammlung angeklagt, mochten noch hoffen, an seinen Post^
zu gelangen. Aber schon die nächste Stunde sollte sie eines Bessern belehre"'
Umsonst verwendete sich des Essaxds, der französische Generalconsul, für ^
raschanin. Er stattete den Herren Volksvertretern' einen Besuch ab, versieht
sie des Wohlgefallens seines Kaisers an ihrer Revolution und schloß mit en>c
förmlichen Liebeserklärung an das serbische Volk, „ich liebe und schätze eM


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[0240] wo namentlich Wutschitsch und Garaschanin an einen Entscheid des Volkes gegen den Fürsten Hoffnungen für sich knüpften, dann im ganzen Lande, wo die Partei Miloschs in der letzten Zeit ganz in der Stille eine große Thätig' keit entwickelt hatte. Der Fürst schwankte einen Augenblick, ob er in die Be¬ rufung der Skupschtina, welche ihm offenbar feindlich sein mußte, willigen sollte, ebenso die Pforte, welche die Hand Rußlands im Spiele sehn mochte. Beide gaben indeß nach, und am Andreastag 1858 fanden sich die Vertreter des Volkes, nach Landesgebrauch bis an die Zähne bewaffnet und von zahl' reichem ebenfalls bewaffneten Gefolge begleitet, zu Belgrad ein, um zu be¬ rathen, was zu thun sei. Der Präsident der Versammlung, die beiläufig in einem Brauhause tagte, war der zu Anfang erwähnte Senator Mischa Barlowetz, der Vicepräsident, Stephtsche Michailowitsch, ein entschiedener Anhänger der Familie Obrere witsch. Die Verhandlungen begannen' damit, daß Mischa ein langes Sünden¬ register des Fürsten vortrug. Er habe, hieß es, sich zu den Schwaben und Türken hingeneigt, dem Lande willkürlich verfahrende Beamte gegeben, si^ in die Verwaltung gemischt, die ihm nichts angehe, sich schwach und ängstlich bewiesen, die Familie seiner Gemahlin ungehörig bevorzugt u. a. in. Die Skupschtina rief zu allen diesen Anklagen: Ja wol, so ist es. Ein zweite Sprecher belehrte sie, daß in ihr die oberste Gewalt des Staates vertreten sei, was ihr zwar kaum ganz verständlich gewesen sein wird, trotzdem aber wohl gefiel und sofort zur Anwendung gebracht wurde, als der Vicepräsident jetzt den Namen Miloschs" nannte. Man beschloß, dem Fürsten seine Stelle zu kündigen, ihn aufzufordern, er möge abdanken, und zu dem Zweck nuper' züglich eine Deputation an ihn abzuordnen. Alexander antwortete erst an^ weichend, dann willigte er in das Verlangte, dann, von seiner energisch^ Gemahlin wieder umgestimmt, schwankte er von neuem zu dem Entschluß zurück, sich zu behaupten. Letzteres war nicht unmöglich, da der größere The> des Militärs anfangs treu bleiben zu wollen schien. Aber der arme Fürst verlor wieder den Muth , und so floh er in der Nacht in die Festung Belgrad die zwar mitten in der Stadt liegt, aber als türkischer Boden betrachtet wird- Tags darauf verurtheilte ihn die Skupschtina in eonwmaeiam zur Entfernung von seiner Stelle und zur Verbannung. Garaschanin, der ihn fortgebracht Wutschitsch, der die Agitation gegen ihn geleitet, Mischa Barlowetz, der ihn vor der Volksversammlung angeklagt, mochten noch hoffen, an seinen Post^ zu gelangen. Aber schon die nächste Stunde sollte sie eines Bessern belehre"' Umsonst verwendete sich des Essaxds, der französische Generalconsul, für ^ raschanin. Er stattete den Herren Volksvertretern' einen Besuch ab, versieht sie des Wohlgefallens seines Kaisers an ihrer Revolution und schloß mit en>c förmlichen Liebeserklärung an das serbische Volk, „ich liebe und schätze eM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/240>, abgerufen am 24.07.2024.