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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die Kirchenväter Partei zu nehmen; wir wollen unsere gesellschaftlichen und
politischen Einrichtungen unsern und den allgemeinen Interessen gemäß con-
serviren oder reformiren, ohne alle Rücksicht daraus, was Moses in Judäa
für gut befunden hat; und wir bitten unsere Herrn Theologen, die lichtfreund¬
lichen wie die rechtgläubigen, höflichst um die Erlaubniß, von ihren dogma¬
tischen Streitfragen'gar keine Notiz zu nehmen, über die Auslegung dieses
oder jenes Glaubensartikels uns gnr nicht den Kopf zu zerbrechen.

Wenn wir aber der Theologie gegenüber Laien sind. so fällt es uns
deshalb nicht ein. der sittlich-religiösen Gemeinschaft zu entsagen, auf der
unser ganzes Leben, unser ganzes Empfinden wurzelt. Wir wollen nicht mit
Herwegh die Kreuze aus der Erde reißen, welche auf den Gräbern unsrer
Väter stehn, welche unsre und die Gräber unsrer Kinder verzieren sollen;
wir treiben mit dem Kreuz keinen Fetischdienst, wie Calderons Eusebio. aber
es ist uns das Sinnbild, welches eine tausendjährige Geschichte verknüpft.
Seit der Reformation ist die Kirche eine Seite unfers wirklichen Lebens ge¬
worden, die den schönsten und edelsten Regungen unsrer Natur die Weihe
gibt, die wir nicht entbehren wollen und entbehren können, auch wenn wir
alle theologischen Lehrbücher gern entbehren, auch wenn uns manche wohl¬
meinende Predigt lästig Me. Nicht der individuelle Prediger, nicht das von
Steinen gebaute Haus macht bei uns die Kirche, der Zusammenhang ist ein
geistiger, und dieser Zusammenhang des Lebens findet eine schöne ^ym- -
bout. Die Taufe weiht das Kind in jene Menschenrechte ein. die es bei den
Heiden nicht besaß ; die Einsegnung der Ehe gibt ihr einen tiefern, der sitt¬
lichen Natur des Menschen angemessenen Charakter, als sie im Heidenthum
hatte, die Confirmation eröffnet uns eine weitere und heiligere Gemeinschaft
als die enge Gemeinschaft der antiken Stadt, und jeder Sonntag erinnert
uns durch die Sammlung, zu weicher die Glocke auch diejenigen aufruft, die
ihr nicht folgen, daran, daß diese Erde nicht blos aus chemischen Präparaten
besteht, sondern daß ein Himmel sie umschließt. Wir sind protestantische
Christen, obgleich wir Laien sind.

Untersuchen wir nun, ob dieses neue Princip durch die freien Gemeinden,
falls es möglich wäre, ihren Zweck wirklich zu erreichen, gefördert oder gehemmt
wird, so müssen wir das Letzte behaupten.

Zunächst treiben sie uns wieder in die Theologie, der wir grade zu ent¬
fliehen hoffen. So lange ich bei der Kirche meiner Väter bleibe, habe ich
nicht nöthig, mein theologisches Glaubensbekenntniß an den Tag zu legen
und zu rechtfertigen; der Reformer kann sich dieser Rechtfertigung nicht ent-
ziehn. und da der greifbare Gegensatz des allen und neuen Glaubens doch
zunächst ein dogmatischer ist, so muß er sich nothgedrungen wieder über Althias
und Fürsich. über Homiousios und Homousios klar werden.


die Kirchenväter Partei zu nehmen; wir wollen unsere gesellschaftlichen und
politischen Einrichtungen unsern und den allgemeinen Interessen gemäß con-
serviren oder reformiren, ohne alle Rücksicht daraus, was Moses in Judäa
für gut befunden hat; und wir bitten unsere Herrn Theologen, die lichtfreund¬
lichen wie die rechtgläubigen, höflichst um die Erlaubniß, von ihren dogma¬
tischen Streitfragen'gar keine Notiz zu nehmen, über die Auslegung dieses
oder jenes Glaubensartikels uns gnr nicht den Kopf zu zerbrechen.

Wenn wir aber der Theologie gegenüber Laien sind. so fällt es uns
deshalb nicht ein. der sittlich-religiösen Gemeinschaft zu entsagen, auf der
unser ganzes Leben, unser ganzes Empfinden wurzelt. Wir wollen nicht mit
Herwegh die Kreuze aus der Erde reißen, welche auf den Gräbern unsrer
Väter stehn, welche unsre und die Gräber unsrer Kinder verzieren sollen;
wir treiben mit dem Kreuz keinen Fetischdienst, wie Calderons Eusebio. aber
es ist uns das Sinnbild, welches eine tausendjährige Geschichte verknüpft.
Seit der Reformation ist die Kirche eine Seite unfers wirklichen Lebens ge¬
worden, die den schönsten und edelsten Regungen unsrer Natur die Weihe
gibt, die wir nicht entbehren wollen und entbehren können, auch wenn wir
alle theologischen Lehrbücher gern entbehren, auch wenn uns manche wohl¬
meinende Predigt lästig Me. Nicht der individuelle Prediger, nicht das von
Steinen gebaute Haus macht bei uns die Kirche, der Zusammenhang ist ein
geistiger, und dieser Zusammenhang des Lebens findet eine schöne ^ym- -
bout. Die Taufe weiht das Kind in jene Menschenrechte ein. die es bei den
Heiden nicht besaß ; die Einsegnung der Ehe gibt ihr einen tiefern, der sitt¬
lichen Natur des Menschen angemessenen Charakter, als sie im Heidenthum
hatte, die Confirmation eröffnet uns eine weitere und heiligere Gemeinschaft
als die enge Gemeinschaft der antiken Stadt, und jeder Sonntag erinnert
uns durch die Sammlung, zu weicher die Glocke auch diejenigen aufruft, die
ihr nicht folgen, daran, daß diese Erde nicht blos aus chemischen Präparaten
besteht, sondern daß ein Himmel sie umschließt. Wir sind protestantische
Christen, obgleich wir Laien sind.

Untersuchen wir nun, ob dieses neue Princip durch die freien Gemeinden,
falls es möglich wäre, ihren Zweck wirklich zu erreichen, gefördert oder gehemmt
wird, so müssen wir das Letzte behaupten.

Zunächst treiben sie uns wieder in die Theologie, der wir grade zu ent¬
fliehen hoffen. So lange ich bei der Kirche meiner Väter bleibe, habe ich
nicht nöthig, mein theologisches Glaubensbekenntniß an den Tag zu legen
und zu rechtfertigen; der Reformer kann sich dieser Rechtfertigung nicht ent-
ziehn. und da der greifbare Gegensatz des allen und neuen Glaubens doch
zunächst ein dogmatischer ist, so muß er sich nothgedrungen wieder über Althias
und Fürsich. über Homiousios und Homousios klar werden.


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[0023] die Kirchenväter Partei zu nehmen; wir wollen unsere gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen unsern und den allgemeinen Interessen gemäß con- serviren oder reformiren, ohne alle Rücksicht daraus, was Moses in Judäa für gut befunden hat; und wir bitten unsere Herrn Theologen, die lichtfreund¬ lichen wie die rechtgläubigen, höflichst um die Erlaubniß, von ihren dogma¬ tischen Streitfragen'gar keine Notiz zu nehmen, über die Auslegung dieses oder jenes Glaubensartikels uns gnr nicht den Kopf zu zerbrechen. Wenn wir aber der Theologie gegenüber Laien sind. so fällt es uns deshalb nicht ein. der sittlich-religiösen Gemeinschaft zu entsagen, auf der unser ganzes Leben, unser ganzes Empfinden wurzelt. Wir wollen nicht mit Herwegh die Kreuze aus der Erde reißen, welche auf den Gräbern unsrer Väter stehn, welche unsre und die Gräber unsrer Kinder verzieren sollen; wir treiben mit dem Kreuz keinen Fetischdienst, wie Calderons Eusebio. aber es ist uns das Sinnbild, welches eine tausendjährige Geschichte verknüpft. Seit der Reformation ist die Kirche eine Seite unfers wirklichen Lebens ge¬ worden, die den schönsten und edelsten Regungen unsrer Natur die Weihe gibt, die wir nicht entbehren wollen und entbehren können, auch wenn wir alle theologischen Lehrbücher gern entbehren, auch wenn uns manche wohl¬ meinende Predigt lästig Me. Nicht der individuelle Prediger, nicht das von Steinen gebaute Haus macht bei uns die Kirche, der Zusammenhang ist ein geistiger, und dieser Zusammenhang des Lebens findet eine schöne ^ym- - bout. Die Taufe weiht das Kind in jene Menschenrechte ein. die es bei den Heiden nicht besaß ; die Einsegnung der Ehe gibt ihr einen tiefern, der sitt¬ lichen Natur des Menschen angemessenen Charakter, als sie im Heidenthum hatte, die Confirmation eröffnet uns eine weitere und heiligere Gemeinschaft als die enge Gemeinschaft der antiken Stadt, und jeder Sonntag erinnert uns durch die Sammlung, zu weicher die Glocke auch diejenigen aufruft, die ihr nicht folgen, daran, daß diese Erde nicht blos aus chemischen Präparaten besteht, sondern daß ein Himmel sie umschließt. Wir sind protestantische Christen, obgleich wir Laien sind. Untersuchen wir nun, ob dieses neue Princip durch die freien Gemeinden, falls es möglich wäre, ihren Zweck wirklich zu erreichen, gefördert oder gehemmt wird, so müssen wir das Letzte behaupten. Zunächst treiben sie uns wieder in die Theologie, der wir grade zu ent¬ fliehen hoffen. So lange ich bei der Kirche meiner Väter bleibe, habe ich nicht nöthig, mein theologisches Glaubensbekenntniß an den Tag zu legen und zu rechtfertigen; der Reformer kann sich dieser Rechtfertigung nicht ent- ziehn. und da der greifbare Gegensatz des allen und neuen Glaubens doch zunächst ein dogmatischer ist, so muß er sich nothgedrungen wieder über Althias und Fürsich. über Homiousios und Homousios klar werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/23>, abgerufen am 24.07.2024.